Piers Anthonys Xanth

Wortspiele bis zum Exzess
Piers Anthonys Xanth (Teil1)


Im SOLAR-X 68 hatte ich schon einmal versucht, mit der Besprechung des Xanth-Zyklus zu beginnen. Zwar las ich nach „Chamäleon-Zauber“, dem ersten Band, schon damals noch zwei weitere, aber besprochen habe ich sie dann doch nicht. Das liegt nicht etwa daran, daß es ab dem zweiten Band keinen Spaß mehr macht, diesen Zyklus zu lesen, im Gegenteil. Ich kam einfach nicht mehr dazu. Erst jetzt fing ich wieder an, die Bücher von Anfang an durchzulesen.
Der Zyklus ist ziemlich alt, aber dann auch wieder nicht. „Chamäleon-Zauber“ erschien 1977 (dt. 1983) - doch weitere Bände kommen bis heute in schöner Regelmäßigkeit heraus. Bei einem Autor, der im Jahr drei oder vier Romane abliefert, kein Wunder. (Romane meine ich, keine Heftchen...)
Xanth ist ein Land - genauer: eine Halbinsel - auf einer ansonsten scheinbar recht normalen Welt, das sich von dieser dadurch unterscheidet, daß es in ihm Magie gibt. Es gibt sie nicht einfach nur, sie durchdringt buchstäblich alles. Anthony geht hier weiter als jeder andere Autor. Wenn schon Magie, dann richtig, scheint er sich gedacht zu haben. Sie ist eine Naturkraft wie jede andere und als solche im Laufe der Evolution nutzbar gemacht worden. Was sich daraus ergibt, ist von Absatz zu Absatz immer wieder verblüffend, und nicht selten auch witzig. Ein Rezensent muß hier entweder sehr ausführlich werden oder sich in Andeutungen ergehen. Das macht eine Besprechung des Zyklus’ auch ziemlich schwer.
Das Land Xanth scheint gleichzeitig an alle möglichen anderen Gegenden der Welt zu grenzen, die man (in Xanth) Mundania nennt, später fügt Anthony hinzu, daß es auch an verschiedene Epochen grenzt. Erst im vierten Band wird klar, daß Mundania eigentlich unsere ganz normale Welt sein muß. Überhaupt arbeitet er in diesem Zyklus anfangs recht spontan, hat man den Eindruck. Wenn er sagt, mit Magie ist alles möglich, so scheint er das auch auf seinen Schreibstil zu beziehen. Die literarische Welt Xanth wird von ihm ständig weiterentwickelt, bisher waren dabei noch keine gravierenden Widersprüche zu entdecken. Vermutlich denkt er sich beim Schreiben diese neuen Details einfach aus, ohne vorher ein spezielles Konzept dazu zu haben. Andererseits kann man das nach den ersten paar Romanen noch nicht sicher sagen.
Im ersten Band ging es darum, wie der junge Bink auf einer Suche (Queste) quer durch Xanth sein besonderes magisches Talent entdeckt - jeder dort hat ein anderes und alle sind sie einzigartig. Nebenbei kämpft er noch gegen den Bösen Zauberer Trent, der sich dann als gar nicht so böse erweist und neuer König wird. Im hauptsächlichen Ergebnis dieses ersten Bandes wird die magische Barriere, die Xanth für einige Zeit von der gewöhnlichen Außenwelt abschirmte, wieder ausgeschaltet, Bink erkennt, daß er ein Magier wie Trent und zwei andere ist, und findet eine Frau.
Der zweite Roman, „Zauber-Suche“, handelt davon, wie sich Bink mit seinem centaurischen Kumpel Chester und anderen Wesen auf die Suche nach der Quelle der Magie von Xanth begibt.
Wieder begegnet er verschiedenen interessanten Charakteren und erlebt haarsträubende Abenteuer. Die Quelle wird auch gefunden: Es ist ein Dämon namens X(A/N)th, der im Untergrund eine gewisse Spielstrafe absitzen muß. Aus ihm sickert Magie aus... Der Held Bink, der in seiner naiven Redlichkeit (sprich: Blödheit) von kaum einem anderen Fantasy-Helden überboten wird, läßt den Dämon frei und muß erleben, wie Xanth nun plötzlich ohne Magie ist.
Zum Glück für die Serie kommt der Dämon am Ende zurück, so daß das magische Land für weitere Abenteuer gerettet ist.
Wie ich schon andeutete, konnte mich Bink als Figur nicht so recht begeistern. Zu unverständlich waren mir seine Motivationen. Vielleicht merkte Anthony selbst, daß er mit diesem Charakter brechen mußte, denn im nächsten Buch ist Binks Sohn die Hauptperson. Andererseits kann es auch sein, daß er mit dieser Verschiebung nur seinem Leserpublikum besser gerecht werden wollte.
In „Zauber-Schloss“ muß der etwa 12jährige Magier (!) Dor eine Aufgabe erfüllen, für die man eigentlich einen richtigen, barbarischen Heldenkrieger brauchte. Nun, mit Magie ist alles möglich: Dor schlüpft in den Körper eines richtigen, barbarischen Heldenkriegers. Nicht genug damit, er reist gleichzeitig achthundert Jahre in der Zeit zurück, indem er sich entsprechend verkleinert in die Handlung eines magischen Teppichs begibt. Da eine Spinne zufällig dem gleichen Zauber unterworfen wird, bekommt er einen echt ungewöhnlichen und auch unverzichtbaren Begleiter - eine nunmehr mannsgroße, intelligente Spinne.
Dor soll in der Vergangenheit den Zombiemeister auf Schloß Roogna aufsuchen, denn in der Gegenwart möchte das wiederbelebte Gespenst Millie, daß auch ihr Liebster, der Zombie Jonathan, ins Reich der Lebenden zurückkehrt. Da es nur vor 800 Jahren einen Magier gab, der das bewerkstelligen konnte - eben der Zombiemeister - muß Dor zeitreisen. Mit dem richtigen Zauber des Guten Zauberers Humfrey kein Problem.
Als er Millie, die Lebende, in der Vergangenheit trifft und sich die Ereignisse zunehmend verwirren, ist es am Ende nicht mehr besonders überraschend, daß sich der einsame und verfemte Zombiemeister in Millie verliebt und schließlich als Jonathan herausstellt. Ein klein wenig plump. Dor ist der letzte, der den naheliegenden Schluß zieht...
Aus den Widersprüchen zwischen dem Intellekt eines Kindes (na ja, nicht immer sehr überzeugend kindlich) und der äußeren Gestalt eines erwachsenen Kriegers ergeben sich einige amüsante Situationen, in denen Anthony auch ein paar erotische Anspielungen macht. Für Kinder ist sein Zyklus mit den ständigen Wortspielen und Absurditäten ohnehin viel zu hintersinnig.
Dor hat auch das nächste Abenteuer zu bestehen, auf der „Zentauren-Fahrt“ des vierten Bandes. Ein paar Jahre sind vergangen und König Trent geht auf eine geheime Handelsmission ins mundäne Ausland. Während seiner Abwesenheit soll Dor als zukünftiger König proberegieren.
Anfangs klappt auch alles ganz gut, aber dann wird klar, daß Trent nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zurückkommt. Er wird gefangengehalten. Also muß Dor mit seinen Freunden, der Prinzessin Irene, dem Zentauren Chet und dem nun belebten Ex-Golem Grundy, aufbrechen, um den König und seine Frau zu retten.
Vorher werden sie aber vom Magier Humfrey noch auf die Zentaureninsel geschickt, wo es ein Problem gibt, das ihnen andererseits helfen soll. Wie sich herausstellt, lebt dort der Zentauren-Magier Arnolde, den sie auf ihrer Reise unbedingt brauchen.
Anthonys Figuren sind für meinen Geschmack bis zu diesem Punkt nicht besonders einprägsam oder interessant. Dor schlägt sich die Hälfte der Zeit mit pubertären Problemchen herum, die sich größtenteils um diverse Körperteile von Irene ranken. Er ist von genauso stumpfsinniger Naivität wie sein Vater Bink. Nein, wegen den Charakteren habe ich nicht weitergelesen. Eigentlich eher wegen dem Ambiente von Xanth. Auf Schritt und Tritt brütet Anthony neue logische Absurditäten aus, die zum großen Teil auf Wortspielen beruhen. Mit der Sprache geht er wirklich kunstvoll um. Er nimmt meistens einfach alles wörtlich - und der Leser ist erstaunt, was für seltsame Begriffe wir täglich gebrauchen. Man könnte unzählige Beispiele aufführen, die aber ihres Zusammenhanges beraubt, vielleicht nicht mehr so wirken. Der Übersetzer muß es schwer gehabt haben, denn bekanntlich lassen sich englische Wortspiele nicht so einfach ins Deutsche übertragen. Manchmal mußte eine Fußnote nachhelfen.
So sind Alpträume (nightmare) oder Nachtmahre eben Pferde. Man ißt Orangen, aber auch Blaue und Grüne. Löwenmäulchen sind sehr bissige Pflanzen. Kleidung wächst auf Bäumen (Einmal kommen sie an einer Jeansplantage vorbei!), genauso Milch und Kakao.
Auch der Titel des Buches, der sich auf ein Schlüsseldetail bezieht, wird für solche Spiele verwendet: „Centaur Aisle“. Ein aisle bezeichnet neben anderen Dingen eine Schneise oder einen engen Durchgang. Es handelt sich hierbei um das Talent des Zentauren Arnolde, einen schmalen Korridor zu fabrizieren, in dem die Magie auch in Mundania wirksam bleibt. Durch die Verwendung des Wortes „Durchgang“ werden die Helden und der Leser aber zunächst fälschlicherweise auf eine Art Passage orientiert, durch die man nach Mundania kommt.
Ein solches Talent widerspricht zwar allem, was Anthony bisher über die Magie von Xanth preisgegeben hat, aber was soll’s? Ohne magische Hilfe hätten die Teenager ihr Königspaar sicher nicht aus der Gewalt eines mittelalterlichen Thronräubers befreien können, sind sie doch so bescheuert, sich von dem Manne, den sie verdächtigen, bewirten zu lassen. Und prompt finden sie sich im Kerker wieder...
Bevor es ermüdend wird, wechselt Anthony wieder seinen Haupthelden. In „Elfen-Jagd“ hat Prinz Dor nur noch eine Art „Cameo-Auftritt“. Der Protagonist ist der schon früher aufgetauchte Oger Krach. Eigentlich ist er ja nur ein Halboger, da seine Mutter (technisch gesehen) menschlich ist... Oger sind normalerweise die dümmsten und brutalsten aller Ungeheuer von Xanth. Dieser jedoch bildet eine Ausnahme, weil er schon lange mit Menschen zusammenlebt.
Krach erhält als Antwort auf eine Frage, die er gar nicht weiß, vom Magier Humfrey den Auftrag, die Halbnymphe Tandy auf einer Wanderung zu begleiten.
Weil man kein Buch mit einem strohdummen Helden schreiben (oder lesen) kann, der nur in einzeiligen Reimen spricht, stürzt Krach als nächstes in eine „Schlauschlinge“, die ihn mit dem Fluch der Klugheit schlägt.
Damit beginnen die Abenteuer aber erst. Nach und nach schart Krach scheinbar zufällig eine Gruppe von jungen weiblichen Geschöpfen um sich, die alle irgendwohin müssen und ihre eigenen Probleme haben. Und ihre eigenen, speziellen Fähigkeiten, welche in traditioneller Fantasymanier noch nützlich sein sollen. Da ist eine Zentaurin, eine Sirene, ein Koboldmädchen, eine Elfe und sogar ein Mädchen aus Messing, das aus einer imaginär-psychedelischen Welt im Inneren eines Hypnokürbisses stammt!
Anthony übertrifft sich in diesem Buch mit Einfällen selbst, wie man schon am letzten Satz sehen kann. (Die Halloween-artigen Kürbisse sollen noch eine bedeutende Rolle im Zyklus spielen!) Dabei ist die Reise an sich gar nicht so wichtig, viel eher die Selbstfindung des Ogers, der ganz unogerhaft immer wieder bereit ist, Leben und Seele für die Sicherheit der ihm anvertrauten Mädchen zu opfern. Und endlich gibt es damit einen Helden, der auch als Charakter interessant ist, von dem man gern etwas liest.
Ungewöhnlich sind die Beziehungen, welche die Gestalten untereinander eingehen. Anthony schreibt dabei recht freizügig von Verbindungen, die man unter anderen Umständen vielleicht als Sodomie bezeichnen würde. Natürlich gibt es keine „eindeutigen Szenen“, das wäre bei der Zielgruppe etwas verfehlt, aber in seinen Andeutungen geht der Autor schon ziemlich weit. In Xanth ist eben alles möglich.

1 Chamäleon-Zauber (A Spell For Cameleon), 1977, Bastei Lübbe 1983
2 Zauber-Suche (The Source Of Magic), 1979, BL 1984
3 Zauber-Schloss (Castle Roogna), 1979, BL 1984
4 Zentauren-Fahrt (Centaur Aisle), 1981, BL 1984
5 Elfen-Jagd (Ogre, Ogre), 1982, BL 1985
(alle übersetzt von Ralph Tegtmeier) 

SX 101

 

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