Roger MacBride Allen: Der Ring von Charon
Die Heimgesuchte Erde Erster Roman
(Heyne 06/5912)
Beim Lesen von SF kann es manchmal vorkommen, daß lange Zeit nichts
geschieht, was besonders aufregend wäre. Und eines Tages, wenn man
schon glaubt, daß das Genre wohl nichts neues mehr zu bieten hätte,
schafft es ein Autor doch wieder, zu überraschen.
Roger MacBride Allen beginnt nun zwar auch einen dieser gefürchteten
Zyklen, die aus so dicken Büchern bestehen, daß manche Verlage
aus ihnen zwei oder drei Teile gemacht hätten, aber er verspricht
im Vorwort, daß man seine Bücher immer verstehen wird, "ohne
ein Dutzend anderer Titel gelesen zu haben." Das ist eine Beruhigung.
Ob man "Der Ring von Charon" in jedem Fall verstehen kann, sei dahingestellt,
denn es handelt sich hier um reinste hard core SF. Der Autor mutet seinen
Lesern schon einige gedankliche Ausflüge in wissenschaftliche und
pseudowissenschaftliche Gefilde zu, die beispielsweise eines James P. Hogan
würdig wären. Personenregister, Anhang und Glossar sind für
das Buch schon eine Notwendigkeit wenn ich sie auch vor lauter Spannung
kaum genutzt habe.
Weit draußen im Sonnensystem, in einer Umlaufbahn um den Pluto
Satelliten Charon nämlich, hat man einen Ring gebaut, den größten
Beschleuniger, den es jemals gab. Dort führt eine Gruppe von über
hundert Wissenschaftlern fern der Erde u.a. Gravitationsexperimente durch.
Leider steht die Station vor dem Aus, weil man aufgrund einer Rezession
auf der Erde das Geld streichen will, da nicht die erwarteten spektakulären
Ergebnisse erzielt werden.
Larry Chao, ein junges Genie, ist es, dem doch noch der Durchbruch
gelingt. Gegen den Widerstand des Stationsleiters führt er noch ein
Experiment durch, er schickt einen Gravitationswellenimpuls zu verschiedenen
Empfängern im Sonnensystem.
Unglücklicherweise ist ein solcher Strahl aber der Weckimpuls
für eine uralte Kreatur, die unter der Mondoberfläche liegt und
wartet. Nun ist sie aktiviert, und mit ihr zig tausende weitere im Sonnensystem
versteckte Überraschungen. Die erste Handlung des zunächst als
Wächter bezeichneten Ringes unter der Mondoberfläche ist es,
ein Wurmloch zu öffnen und die Erde in ein völlig anderes und
werweißwo gelegenes Sternsystem zu transportieren. Was bei den im
Sonnensystem verbliebenen Menschen verständlicherweise einiges Befremden
auslöst.
Wenig später beginnen die verschiedenen erwachten Geschöpfe,
den Rest des Sonnensystems zu zerstören. Die Planeten werden buchstäblich
kleingehackt wie sich herausstellt, um eine neue Dyson Sphäre zu erbauen.
In letzter Sekunde gelingt es den Wissenschaftlern um Larry und andere
Hauptgestalten, den Ring von Charon zu benutzen, um die zerstörerische
Aktivität erst einmal zu stoppen.
Die Handlung des Romanes ist sehr komplex, es gibt eine Reihe von Personen,
die an den verschiedensten Orten das Geschehen erleben und z.T. ihre eigenen
Beiträge zu den Lösungen liefern. Hauptsächlich sind es
Wissenschaftler und Raumfahrer, ganz dem Stil eines derartigen SF Romans
entsprechend. Nach so vielen Büchern, in denen verblödete Politiker
und religiöse Spinner die Handlung problematisierten, ist das sehr
erfrischend. Spinner gibt es hier nur in der Gestalt der Bewegung der Nackten
Purpurnen, die auf einem Habitat überlebten. Aber die haben dann auch
echt ein Rad ab...
Das große Rätsel um die Aliens wird mehr oder weniger gelöst.
In den verschiedenen Diskussionen der Helden wird eine Theorie entwickelt,
welche das Vorgehen der Feinde zumindest erklärt. Die Charonier, wie
man sie nennt, sind offenbar gar keine Lebewesen in unserem Sinne, sondern
eher biotechnische Maschinen von Neumann Maschinen, für diejenigen,
denen das was sagt. Sie ignorieren die Menschen nicht nur, sie scheinen
auch gar nicht die Möglichkeit zu haben, sie als das zu erkennen,
was sie sind, weil sie nicht in ihre Erfahrungswelt passen.
MacBride Allen hat sein Versprechen gehalten. Der Roman ist in sich
abgeschlossen, wenn auch nicht jede Einzelheit geklärt wurde. Wenn
man dennoch nach einer Fortsetzung schreiend in den Buchladen rennt, hat
das wohl andere Gründe.
SX 97
The Ring of Charon, (c) 1990 by Roger MacBride Allen, übersetzt von Martin Gilbert 1997, 558 Seiten, DM 17.90
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