Schafskälte


Schafskälte

- In den nächsten Tagen erwarten wir wieder einmal die Schafskälte. Herr Professor, können Sie unseren Zuschauern das Phänomen vielleicht allgemein verständlich erklären?
- Selbstverständlich, Frau Kutzner. Es ist wirklich nicht so schwer zu verstehen.
Wie sicher jeder weiß, bewegt sich die Erde auf einer Bahn um die Sonne, die elliptisch ist. Ähem, die Bahn, meine ich. Also ein langgestreckter Kreis.
- Ja, Herr Professor, das dürfte hinlänglich bekannt sein.
- Auf dieser Bahn nun gelangt die Erde manchmal in kältere und manchmal in wärmere Gebiete des Sonnensystems. Das bewirkt vor allem den Wandel der Jahreszeiten, aber auch kurzfristige Schwankungen der allgemeinen Temperatur. Diese verschiedenen Gebiete haben sich nach meiner eigenen Theorie, die ich G.U.T. nenne, also die Große Universelle Temperaturentheorie, schon bei der Entstehung des Sonnensystems aus Dichtefluktuationen der Dunklen Materie …
- Entschuldigen Sie, Professor Wulfling, aber …
- Ja, natürlich. Verzeihen Sie meine Abschweifung. Die Schafskälte also. Der Name kommt übrigens vom altgermanischen Sternbild des Schafes, in dem sich die Sonne stets dann befindet, wenn die Erde das Gebiet großer Kälte durchfliegt. Manche meinen, dass die Germanen damals ihre Schafspelze wieder hervorholten und deshalb … Nun ja. Man muss wissen, dass die Erdbahn nicht nur elliptisch ist, sondern auch ein wenig geneigt, so dass sich die Erde im Laufe der Jahrhunderte manchmal näher an der großen Kälte des kosmischen Eises befindet und manchmal weiter von ihr entfernt ist. In diesem Jahr erwarten wir eine der größeren Annäherungen, die Schafskälte könnte also recht heftig werden. Was passiert nun dabei genau?
Wie bei den normalen Jahreszeiten durchfliegt die Erde während der Schafskälte eine Kaltzone im Sonnensystem. Es ist aber zum Glück nur eine winzig kleine, wie eine Art Aufwölbung des kosmischen Eises, das man im Volksmund auch die überfrorene Hölle nennt. Manchmal passiert es dabei, dass die Erdscheibe das Eis wie im Winter kurz streift, so dass große Mengen empor gewirbelt werden und es sogar im Juni zu Schneefällen kommen kann.
- Also ein kurzer Wintereinbruch, bevor es richtig Sommer wird?
- Sie haben Recht, Frau Kutzner. Die Erde hat übrigens großes Glück, dass sie auf ihrer Bahn überhaupt die Höll... ich meine das kosmische Eis berührt. Die heftigen Niederschläge nach einem solchen Aufschrammen des Eises gleichen die Wasserverluste der Erdscheibe wieder aus, welche an den Stellen, wo der Ozean durch die Brüche im Randgebirge abfließt, unvermeidlich auftreten. Nehmen wir den Mars, dessen Umlaufbahn nur um weniges höher liegt. Er kommt nie in Berührung mit dem kosmischen Eis und hat sein Wasser schon vor Jahrmillionen verloren. Im Teleskop kann man seine staubtrockene, rötliche Scheibe gut studieren.
- Vielen Dank, Herr Professor. Das war sehr aufschlussreich. Nun, meine Damen und Herren, die Wettervorhersage für die nächsten zwei Wochen auf der ganzen Erdscheibe. Ziehen Sie sich warm an!

© Wilko Müller jr. 2008


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