Alexander Jablokov: Der Krieg der Delphine
Sie können sprechen ... und sie sind böse
Alexander Jablokov: Der Krieg der Delphine
(Bastei Lübbe 24180)
Außer den Dinosauriern hat wohl kein irdisches Tier so oft die
SF-Schreiber gereizt, ein Buch darüber zu schreiben, wie der Delphin.
Meist verpaßt man den possierlichen Meeressäugern dabei auf
die eine oder andere Art Intelligenz und Sprache. Dafür gibt es sogar
wissenschaftliche Begründungen, auf die ich hier lieber nicht eingehen
möchte - man kann sie z.B. in Robert Merles "Ein vernunftbegabtes
Tier" nachlesen. Schon äußerlich scheinen die Delphine ja irgendwie
klug und nett auszusehen, und der Film hat es nach "Flipper" sogar fertiggebracht,
den Kinobesuchern einen Verwandten der Delphine, den Killerwal Orca, ans
Herz wachsen zu lassen ("Free Willy 1 & 2").
Also schrieb der Amerikaner mit dem russischen Namen einen Roman, der
das alles auf den Kopf stellt - oder vom Kopf auf die Füße?
Jablokovs Delphine, Wale und Orcas sind auch intelligent, soweit hält
er sich an die Tradition. Man hatte bisher nur nicht den richtigen Dreh
gefunden, um mit ihnen kommunizieren zu können, d.h. sie zum Reden
zu bringen. Aber seine Delphine sind böse.
Und das kam so: In einer entlegenen militärischen Forschungsstation
auf Sachalin findet der russische Oberst Stasow im Jahre 2015 den Dreh.
Nachdem er mit einem griechischen Delphinologen gesprochen hat, der ihm
Geschichten darüber erzählte, wie die Minoer mit Delphinen reden
konnten, "zeigt" der Oberst seinen Delphinen simulierte akustische Bilder
aus der Zeit der minoischen Kultur, inklusive den Vulkanausbruch, der sie
beendete. Diese Eindrücke sind für die Delphine, die sich mit
ihrem Sonar orientieren, gleichbedeutend mit der Realität. Sie versetzen
ihnen einen grausamen Schock. Die ersten Worte, die ein Delphin auf Russisch
hervorstößt, lauten: "Laßt mich sterben!"
Im Vergleich mit diesem Buch ist Merles Roman ein Ammenmärchen.
A. Jablokov schockiert, wo Robert Merle nur warnt. Oberflächlich gesehen,
ist es ganz ähnlich, was dann folgt - die militärische Verwendung
der Delphine nämlich. Doch seine Tiere sind nicht Fa und Bi, keine
unschuldigen Kreaturen, die nur vom Menschen mißbraucht werden. Ihnen
macht der Krieg Spaß, weil er ihnen endlich, nach dreieinhalbtausend
Jahren, die Möglichkeit bietet, sich an den Menschen zu rächen,
die sie in ihren Augen verraten hatten, als das minoische Reich unterging
und sie von den Siegern gejagt wurden.
Außerdem besitzen Orcas und Delphine eine eigenartige Religion,
die von einem schrecklichen Gott kündet, der aus der Tiefe aufsteigen
wird...
2020 bricht der im fernen Osten Krieg aus, zwischen einem neuen russisch-sowjetischen
Staat auf der einen Seite und Japan und den USA auf der anderen. Anfangs
sichern die Delphine den Russen die Überlegenheit, aber schließlich
werden sie doch geschlagen. Stasow landet in einem japanischen KZ, die
überlebenden Delphine zerstreuen sich auf seinen Befehl hin. Jablokov
geht hier sehr weit in seinen Schilderungen, er hegt deutlich keinerlei
Sympathien für die kriegsführenden Seiten. Die Russen sind die
Aggressoren, aber auch die Japaner werden als unmenschliche Bestien dargestellt,
während die Amerikaner die feigen Bombardierer aus der Ferne sind.
Der Autor geht gar nicht mal darauf ein, wie es zum Krieg kommt, das wird
nur in einem Nebensatz erwähnt. Auch die Zeit von der ersten Entdeckung
bis mitten in den Krieg wird einfach als unwesentlich übersprungen.
Man kann nicht sagen, daß er sich verzettelt.
Stasow überlebt die Gefangenschaft und versucht, seinen Teil dazu
beizutragen, daß die Menschen eine Beziehung mit den Delphinen aufbauen
können. Man hat sie inzwischen als intelligente Rasse anerkannt und
verhandelt mit ihnen. (Infolge dieser Anerkennung wird Stasow als Kriegsverbrecher
angeklagt.) Im zweiten Teil des Romans tritt aber immer mehr die geheimnisvolle
religiöse Prophezeiung vom Gott aus der Tiefe in den Vordergrund.
Das Schicksal des Oberst, das eng mit dem der Delphine verknüpft ist,
führt ihn schließlich sogar bis zum Jupiter, wo man eine Lebensform
entdeckt hat, mit der die Orcas Kontakt aufnehmen wollen.
Der Roman ist neben seiner spannenden Handlung auch eine böse
Anklage der Art und Weise, wie die Menschen heute mit den vermutlich zweitintelligentesten
Wesen auf der Erde umspringen. Es ist sicher kein Zufall, daß gerade
die Wale und Delphine jagenden Japaner als so üble Leute dargestellt
sind. Der letzte Blauwal, der einsam auf dem Ozean an einer Vergiftung
starb, ist nach Ansicht der blutdurstigen Orcas der erste Vorbote Gottes
gewesen, der die Veränderung der Welt ankündigte. Und tatsächlich
ist die Welt dann nicht mehr das, was sie war - dafür haben sowohl
der Krieg, als auch die plötzlich redenden Delphine gesorgt. Andererseits
erscheint das Buch auch als ein bewußtes Pendant zu den verniedlichenden
Darstellungen in Literatur und Film, zu den man sicher stehen kann, wie
man will. Ein eher bitteres Buch, das nicht gerade von Optimismus sprüht.
Und schließlich ist es eins der ersten SF-Bücher, die sich mit
der veränderten Weltlage in den 90ern auseinandersetzten und eine
Prognose wagten.
Alles in allem, eine Empfehlung zum Lesen. Aber vielleicht nicht gerade
in den Ferien an irgendeinem südlichen Strand. Wie leicht könnte
da etwas aus dem Wasser kommen...
A Deeper Sea, (c) by Alexander Jablokov 1992, übersetzt von Jürgen Martin 1994, 381 Seiten, DM 9.90
SX 71
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