Alexander Jablokov: Nimbus

Alexander Jablokov: Nimbus
(Bastei Lübbe 24 213)


Nach dem "Krieg der Delphine" wendet sich Jablokov nun einem weiteren Aspekt der modernen mißbräuchlichen Wissenschaft zu. Nämlich der Gehirnchirurgie. Und natürlich wieder einmal ihren ganz speziellen Schrecken.
Das neue Buch ist eine gekonnte Mischung aus hard core SF - ohne die Weltraumfahrt bemühen zu müssen - und Thriller; das Zitat von "Starlog" auf der Buchrückseite stimmt wirklich. Er mischt etwas von Chandler und Hammett mit Gibson und Sterling. Denn auch der Cyber-"punk" kommt nicht zu kurz, den man lieber als Cyberspace bezeichnen sollte. Aber was sich halt eingebürgert hat, wird man nicht mehr los, auch wenn es nicht ganz zutrifft.
Jablokov ist ein bitterböser Autor, hat man nach dem zweiten Roman den Eindruck. Seine Forscher stehen im Solde der Militärs und verüben damit in größter Blauäugigkeit Verbrechen. Zu den Menschen hat er wohl überhaupt kein Vertrauen. In diesem Buch geht es allerdings nicht darum, was die Gruppe aus dem Projekt Nimbus in den Devolutionskriegen in Bessarabien angestellt hat. Man kann nur erahnen, daß es schlimme Sachen gewesen sein müssen, denn der Hauptheld hat sich selbst mental blockiert, um der Erinnerung zu entgehen.
Dabei bestand Nimbus nicht einmal aus lauter Rambo-Typen, es waren im Gegenteil beinahe geniale Gehirnforscher. Irgendwie ging es im Krieg darum, bestimmten moldawische Revolutionäre neue Persönlichkeiten zu verpassen. Und dank der inzwischen entwickelten Technologie, kann man sogenannte Virts ins Gehirn pflanzen und so den maßgeschneiderten Cybermenschen erschaffen. Auch die Devolutionskriege, welche Anfang des 21. Jahrhunderts den größten Teil der Welt erfaßt und verändert haben, werden kaum genauer beschrieben. Sie bleiben etwas Großes, schrecklich Düsteres im Hintergrund der fiktiven Vergangenheit.
Zur Zeit der Handlung hat sich die Gruppe aus Projekt Nimbus in Chicago verteilt, und jeder versucht, sein eigenes Leben zu leben. Peter Ambrose, jetzt ein Jazzpianist, baut "in der Freizeit" zahlenden Kunden Verbesserungen in ihre Gehirne ein. Was natürlich illegal ist. Aber plötzlich macht ihn sein Computer darauf aufmerksam, daß ein ehemaliges Mitglied der Gruppe ermordet wurde. Peter will die Leiche besichtigen, doch jemand sprengt sie vor seinen Augen in die Luft, genauso die Wohnung des Toten. So sieht sich der Gehirnchirurg und Jazzer in die Rolle des Detektivs gedrängt. Er muß nachforschen, denn ein zweiter Todesfall zeigt bald darauf, daß es jemand auf die Mitglieder der Gruppe abgesehen hat. Wer und warum, das bleibt bis zum Schluß ein gut gehütetes Geheimnis des Autors.
Eine furiose Jagd nach dem Mörder und nach Peters Vergangenheit beginnt. Mehr und mehr wird enthüllt, doch nur, um es alles noch komplizierter zu machen. Polizei und Konzerne mischen sich ein, die Mitglieder der Gruppe tauchen aus der Versenkung auf, jedoch nur, um gleich darauf fast alle umzukommen. Der Stil ist dabei tatsächlich etwas wie Gibsons, was einem Buch nicht unbedingt immer guttut. Hier kann man die chaotisch anmutende Handlung gerade noch ertragen, wenn auch die Vielzahl der schnell wechselnden Personen (und ihrer Aliase) verwirrt. Man muß schon etwas hartgesotten sein, um z.B. das plötzliche Auftauchen einer Schneelandschaft in Ambroses Wohnzimmer nicht zum Anlaß zu nehmen, in eine mentale Schleife zu stürzen und den Absatz stumpfsinnig kichernd immer wieder zu lesen. Außerdem brilliert Jablokov geradezu mit unglaublich bildhaften Ausdrücken, wenn er etwas beschreiben will. Das kann schon mal zu Schockzuständen führen.
Natürlich ist das Buch nichts für Freunde der seichten Unterhaltung. Das neurochirurgische Gefasel gehört eben dazu, und man überliest es gekonnt, wie man es auch bei einer heinleinschen Abhandlung über die Technik einer faltbaren Raumschiffkombüse oder so tun würde. So etwas gehört zwar dazu, ist aber nicht unbedingt für die Entwicklung der Geschehnisse von Wichtigkeit. Außerdem ist der Roman so spannend, wie eine Thriller-Krimi-SF-Kombination nur sein kann.
Ein besonderes Lob für die Gestaltung des Titelbildes von Tony Stone Images. Das trifft den Inhalt genau, ein solcher Kopf wird im Buch sogar kurz erwähnt.
Also, wer nicht vor einem Buch zurückschreckt, das eine wilde Fahrt in eine nahe und apokalyptisch böse Zukunft verspricht, voller finsterer Geheimnisse und Andeutungen, die alle zu erklären, der Autor nicht im Traum vorhat, der sollte sich "Nimbus" zulegen.
 

Nimbus, (c) by Alexander Jablokov 1993, übersetzt von Michael Kubiak 1996, 411 Seiten, DM 10.90 

SX 77

 

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