Amadeus Firgau: Sorla Flußkind
Amadeus
Firgau: Sorla Flußkind
(Verlag Stendel, 1990)
Es ist schon erstaunlich: Die renommierten SF-Verlage bringen, wenn
sie es überhaupt noch tun, als Werke deutscher Autoren zum größten
Teil solche Texte heraus, nach deren Lektüre man stöhnt, man
habe es ja gewußt. Und andererseits erscheinen bei unbekannten Kleinverlagen
(?) sehr interessante und gute Werke, die leider nie die Verbreitung und
den Bekanntheitsgrad finden werden, die ihnen gebührten.
Thomas Hofmann entdeckte den Stendel Verlag und besorgte zwei Taschenbücher,
die beide auf der Empfehlungsseite stehen (siehe seine Rezi zu den ,,Artus-Sagen"
auf S. 17).
"Sorla Flußkind" gehört ins Schubfach der Fantasy, wenn
der Verlag ihn auch als "phantastischen Roman" beschreibt. Das Buch ist
immerhin schon in der dritten Auflage erschienen, wenn auch über deren
Stärke nichts bekannt ist.
Es handelt vorrangig von dem etwa 9-jährigen Jungen Sorla, der
eine höchst seltsame Kindheit verbringt. Erzeugt von einer Frau und
einem Mann jeweils obskurer Herkunft, wird er zunächst von einem Flußtrollweib
aufgezogen, die ihn schließlich in die Obhut der Gnome gibt, wo er
etwas lernen soll. Hier, bei den Gnomen im Berginneren, spielt der größte
Teil des Romans. Der Junge wird ausgebildet und erlebt gar haarsträubende
Abenteuer, bis er am Ende zu den Menschen geht, wo er trotz allem wohl
hingehört. Der "Medien - Informations -Dienst" nennt das Buch auf
dem Klappentext "Ein Simplicissimus der phantastischen Literatur", womit
offenbar auf das Genre des Bildungsromans angespielt wird, wenn ich mich
nicht täusche. In der Tat trägt das Werk gewisse Züge eines
solchen, ist aber überdurchschnittlich spannend und aktionsreich.
Anfänglich war ich ein wenig verwirrt. Ein kleines Kind als Hauptheld
läßt ein Kinderbuch vermuten, noch dazu, wenn der Klappentext
davon spricht, es wecke "wieder die Sehnsüchte und Träume des
Kindes, welches in jedem von uns lebt." Die Sprache schien mir anfangs
auch eher kinderbuchhaft: einfach, geradlinig, erzählend. Aber dann
regten sich Zweifel. Und am Ende bin ich mir sicher, daß man das
Werk des Stuttgarters Firgau nicht ins Kinderbuchregal stellen kann.
Was zunächst märchenhaft getragen (ich suche immer noch nach
beschreibenden Worten) daherkommt, schlägt plötzlich, ohne jede
Vorwarnung um. Unvermittelt schildert der Autor Szenen nackter Brutalität
und ekelhafter Grausamkeit, wie sie sich sogar mancher Horror-Autor zu
schreiben scheuen würde. Und dann geht es im Märchenstil weiter
... bis zum nächsten Schock.
Die Welt zwischen den Gnomen, Chrebils (eine Art Goblins), Elfen und
Menschen ist beim zweiten Hinsehen ziemlich hart und brutal. Da ist der
Berg Pelkoll, in den Sorla kommt, fast wie eine Zuflucht. Aber auch hier
kann er schließlich nicht bleiben, und als er gehen muß, ist
das fast wie die Vertreibung aus dem Paradies - auch eine Schlange spielt
eine große Rolle dabei.
Außerdem offenbart sich in diesem Abschnitt daß selbst
die höflichen und freundlichen Gnome ihre Leichen im Keller haben.
Manche Szenen - vor allem die gewalttätigen - wirken eigenartig
unmotiviert und bleiben andererseits auch ohne größere Konsequenz.
Sie sind wie Bilder eingefügt, wie etwas, das die Helden der Geschichte
nicht kontrollieren können, was sich ihrem Einfluß entzieht,
eben halt passiert. Einzige sichtbare Funktion ist die langfristige erzieherische
Wirkung auf Soda.
Firgau hält sich an Traditionen. Es gibt eine Queste, die allerdings
nicht Hauptzweck des Buches ist, eigentlich sind es sogar gleich zwei.
Sorla findet dafür Begleiter und Freunde, die ihm helfen und ihn beeinflussen.
Die Archetypen der Zwerge, Gnome und Elfen haben ihr gewöhnliches
Outfit wie lange Bärte oder spitze Ohren und Nachtsicht. Aber es gibt
auch Dinge, in denen der Autor seinen eigenen Beitrag leistet. Vor allem
in der Beschreibung einiger Naturreligionen, die er sich vermutlich ausdachte,
ist die Eigenständigkeit seiner Welt zu erkennen. Trotz der Anlehnung
an bewährte Fantasy-Muster ist der Autor doch recht zurückhaltend.
Zwar hat Sorla geheimnisvolle Eltern, die Mutter besitzt ohne Zweifel elfisches
Blut, ist aber ein Findelkind; der Vater wird einmal mit Prinz angeredet,
ist jedoch ein Dieb, der von einer Geisterfrau begleitet wird. Aber Sorla
entpuppt sich nicht etwa als messianischer Retter der Welt oder eines Volkes.
Er ist einfach ein Kind, das am Ende des Buches durch seine Abenteuer verändert
ins Leben aufbricht. Ein paar Handlungslinien sind am Schluß noch
offen, so daß eine Fortsetzung des Buches nicht unmöglich wäre.
Aber notwendig ist sie nicht.
Taschenbuch, 307 Seiten, ca. DM 20, ISBN 3-926789-04-2
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