Andreas Melzer: Killerbaby
Andreas
Melzer: Killerbaby
(Heyne 06/5076)
Andreas Melzer, der aus der Gegend um Leipzig kommt und heute
- nach allem, was wir wissen - nicht mehr als Autor tätig ist, las
einst ein paar Auszüge aus "Killerbaby" zu einer Veranstaltung unseres
SF-Clubs. Das war zu Zeiten des Golfkrieges, und als wir hörten, daß
Europa in seinem Buch muslimisch ist, von den USA nur noch Reststaaten
übrig sind und weitere ähnlich tiefgreifende Wandlungen stattfanden,
meinten wir, dieses Buch müsse eigentlich jetzt sofort erscheinen.
Leider geht das nicht so schnell - und im Übrigen kann man dem Verlag
nur danken, daß das Buch eines Ostdeutschen überhaupt
erscheint. Wer wird es kaufen? Die Vorurteile gegenüber deutschen
Autoren sind leider in vielen Fällen begründet, wer wird da sein
Geld für einen Unbekannten opfern? (Daß Melzer bereits zwei
Erzählungsbände in der DDR veröffentlichte, dürfte
kaum ein heutiger Käufer wissen.)
Einmal abgesehen davon, daß dieser Roman in der DDR nie erschienen
wäre - da bin ich mir fast sicher - hätte man Melzer bei seinem
hypothetischen Erscheinen dann wohl den Douglas Adams der DDR-SF genannt.
Nennen wir ihn also nun den Douglas Adams der deutschen SF.
Denn bei verschärftem Nachdenken will mir partout kein weiterer
deutscher Autor einfallen, der es schon vermocht hätte, ein so witziges
Buch zu schreiben.
Wie kann ein Buch, das "Killerbaby" heißt, eigentlich witzig
sein? Ist es aber, wenn auch sein Humor eher schwarz zu nennen ist, sehr
schwarz manchmal. Vergleiche zum trockenen englischen Humorstil a là
Adams, Pratchett oder Asprin sind hier durchaus nicht fehl am Platze. In
recht lockerer Art malt Melzer einerseits ein Bild einer scheinbar total
verrückt gewordenen Welt, deren Umwelt genauso aus den Fugen geraten
ist wie die Ordnung der uns bekannten Gesellschaft, und andererseits treibt
er die nicht allzu komplizierte Krimi-Handlung schnell voran.
Diese dreht sich um Jonny, den Sohn eines amerikanischen Killerbosses,
der nach Rotterdam geschickt wird, um zu klären, warum sich die Auftragslage
der dortigen Filiale der Killeragentur dramatisch verschlechtert hat. Es
ist dies eigentlich keine echte Kriminalhandlung, denn dem Leser dürfte
auch ohne Vorkenntnis der erwähnten halleschen Lesung des Autors bald
klar werden, wer hinter dem Billigangebot für Morde steckt. Auch Jonny
findet das heraus, aber es hilft ihm nicht mehr...
Die Figuren Melzers sind gelegentlich fast absurd, aber dann doch wieder
nicht unglaubhaft. Es ist auch nicht unbedingt lustig, was da aus heutigen
Zuständen extrapoliert wird. Ein Lehrer zum Beispiel könnte da
sicher manchmal bestätigend nicken.
Melzer hat es jedenfalls verstanden, auf außergewöhnlich
wenig Seiten - betrachtet man heutige Standards - eine unterhaltsame Geschichte
zu erzählen, deren düstere Komik es schafft, einen Leser für
ein paar Stunden von der düsteren, aber nicht so komischen Realität
abzulenken. Und vielleicht schafft es Melzer sogar, den einen oder anderen
mit dem beinahe provokativen Stoff zum Nachdenken anzuregen.
[1993, 153 Seiten, DM 9,90]
SX 47
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