Anne McCaffrey: Damia

Anne McCaffrey: Damia
(Ace Books 1992, 341 Seiten, $ 5.95)


Schon als ich vor einiger Zeit "The Rowan" las, war ich begeistert von McCaffreys Darstellung der Welt der telepathischen Talente der fernen Zukunft (siehe SX 19). Bald darauf erfuhr ich von zwei anderen Büchern, die zusammen mit dem vorliegenden einen Zyklus darstellen. Zur Erinnerung, "To Ride Pegasus" und "Pegasus in Flight" beschrieben die Anfänge der Nutzung vielfältiger psionischer Talente auf der Erde, "The Rowan" handelte zeitlich viel später, als sogar die interstellare Raumfahrt der Menschheit hauptsächlich auf den Telekineten aufbaut. Das neue Buch der Autorin beschreibt nun das Leben der Tochter Rowans, Damia, handelt also unmittelbar nach den Ereignissen im vorangegangenen Buch. Der eigentliche Haupthandlungsträger ist jedoch Afra, der Vertraute Rowans. Damia ist zu Anfang des Romans noch nicht einmal geboren.
Afra ist ein T-3, also ein ziemlich gutes Talent. Er stammt von einem "methodistischen Planeten" bei Capella, seine Haut ist grün und seine Augen sind gelb, dennoch ist er ein Mensch. (Diese physischen Unterschiede erklärt die Autorin zumindest im vorliegenden Buch nicht.) Nach einer nicht besonders glücklichen Kindheit mit übertrieben strenger Erziehung schafft es Afra, in die Crew des Turmes von Kallisto aufgenommen zu werden, den Rowan als Prime (Primus, Talent erster Ordnung) seit kurzem führt. Jene Türme haben die Aufgabe, Raumfahrzeuge aller Art telekinetisch auf ihren Weg durch die Galaxis zu bringen - eines der interessantesten Konzepte überhaupt, die der Talente-Zyklus der SF zu bieten hat, meine ich. Schon bald wird Afra die rechte Hand Rowans, jedoch bleibt seine Beziehung zu ihr auf freundschaftlicher Basis. Rowan findet schließlich ihren richtigen Gefährten, einen Prime von Deneb, was Afra nicht daran hindert, weiter mit ihr befreundet zu sein.
Damia kommt als Rowans drittes Kind zur Welt und offenbart schon in frühester Jugend ihr erstaunliches Talent. Es ist völlig klar, daß sie einst Prime sein wird. Afra fällt bei ihrer Betreuung eine wichtige Rolle zu, da Rowan als Turm-Chefin nicht sehr viel freie Zeit hat.
Nun, die Kleine entwickelt sich, wird auf Deneb von der Großmutter erzogen und bekommt endlich ihren eigenen Turm. Eigentlich wirklich eine Lebensgeschichte mit all ihren Sorgen und Freuden, Verwirrungen und Aufregungen, die man sich im Zusammenhang mit der Entwicklung eines talentierten Kindes nur vorstellen kann. Erst gegen Ende des Buches kommt es zu einer dramatischen Zuspitzung der Handlung, als ein Alien mit sehr bösen Absichten aufkreuzt, das nur unter großen Opfern vernichtet werden kann. Damia findet schließlich sogar in Afra ihren Partner, denn der Altersunterschied spielt angesichts der nötigen Geistesverschmelzung eine zweitrangige Rolle.
Was mir schon beim Lesen des Pern-Zyklus' der Autorin auffiel, taucht auch hier wieder auf. McCaffrey schildert Ereignisse gern in ihren Büchern mehrfach, nur von einem anderen Standpunkt aus. Nebenrollen werden zu Hauptpersonen und entwickeln die Angelegenheit weiter. So ist es auch hier. Afra kennt man aus "The Rowan" bereits, und fast die ganze erste Hälfte des Buches greift die Geschehnisse des vorherigen noch einmal auf, wenn auch in geraffter Form und mit anderen Akzenten. Das setzt die Kenntnis des Vorläufers unbedingt voraus, will man nicht im Verständnis der Andeutungen scheitern. Es wäre jedoch falsch, wollte man McCaffrey Ideenlosigkeit vorwerfen. Fast scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Es ist vermutlich sogar schwerer, einer Handlung nochmals interessante Aspekte abzugewinnen, ohne sich in langweiligen Wiederholungen zu verlieren. Und das macht die Autorin bestimmt nicht.
Diese Art Schreibtechnik erscheint mir charakteristisch für Anne McCaffrey, und mir ist kein weiterer Autor bekannt, der so verfährt.
Inhaltlich bietet der Roman kaum besondere Action, er ist anders angelegt, ohne deshalb weniger spannend zu sein. Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt die Autorin vor allem in der ersten Hälfte des Buches die Entwicklung des Kleinkindes Damia - Spannungseffekte entstehen hier z.B. dadurch, daß ihre Fähigkeiten sie als Zweijährige immer öfter in Gefahr bringen, schließlich lebt sie unter einer Kuppel auf dem Jupitermond Kallisto. Andererseits widmet Anne McCaffrey eine große Aufmerksamkeit der geistigen Entwicklung und Veränderung von Rowan, die mit ihrer Mutterschaft einhergeht. Es wäre auch recht unpassend gewesen, wenn sich ihr Charakter an dieser Stelle nicht verändert hätte. Sicher liegt in der Darstellung menschlicher Charaktere eine Hauptstärke der Autorin, weniger im Ausmalen kosmischer Konflikte und Schlachten. Der Talente-Zyklus ist daher auch als ein großartiges Epos von den Möglichkeiten des menschlichen Geistes zu verstehen. Die Konflikte liegen fast ausschließlich im "inner space", es gibt nicht einmal die sonst so verbreiteten Prototypen des Bösewichts, also negative Charaktere. Das ist tatsächlich ein so auffallender Punkt, daß man ihn schon als Botschaft betrachten kann.
McCaffreys Welt ist eine des Verständnisses, der Toleranz und der Anerkennung von besonderen Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen. Sie ist eine Utopie, in der jeder seinen Platz nach seinen Möglichkeiten findet und ausfüllt. Als solche ist sie freilich eine Traumwelt, aber warum sollte denn eigentlich jede phantastische Welt nur die unsere widerspiegeln und nicht auch einmal ein anderes, wenn auch nicht erreichbares Ideal zeigen?
Eine äußere Bedrohung dieses Idylls gibt es allerdings. Das sind die Aliens, Beetles - Käfer genannt, die Deneb bereits zweimal angegriffen haben. Eine zweite Alienform, die von außerhalb der Galaxis kam und Damia fast das Leben kostete, wird beschrieben. Bevor man auf irgendwelche Gedanken kommen kann, taucht jedoch eine dritte Rasse auf, die zur Abwechslung mal freundlich gesinnt ist. Am Ende des Buches gelingt der Kontakt und die Menschheit erfährt einige Neuigkeiten über ihre alten Feinde, die Käfer, welche auch die Neuankömmlinge bedrohen.
Was denkt sich da der Leser? Natürlich, im nächsten Band wird die Konfrontation mit den Beetles erfolgen, und dieses Buch heißt "Damia's Children" und ist als Hardcover bereits erhältlich. Also dann, bis auf weiteres! 

SX 43

 

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