Anne McCaffrey gegen Die Planeten-Piraten
Anne McCaffrey gegen Die Planeten-Piraten
- Dinosaurier-Planet, 1978
- Die Überlebenden, 1984
- Sassinak, 1990
- The Death of Sleep, 1990
- Generation Warriors, 1991
Vor einiger Zeit fragte mich jemand, ob ich wüßte, ob Anne
McCaffrey denn nun noch eine Fortsetzung zu den beiden Büchern über
den Dinosaurier-Planeten geschrieben hat. Auf den 1985/86 bei Heyne erschienenen
Bänden war schließlich von einem "Dinosaurier-Planet-Zyklus"
zu lesen - und das noch vor der Dino-Welle! Damals war ich mir nicht sicher,
aber nun kann ich die Frage beantworten.
Der Dinosaurier-Planet-Zyklus ist nicht das, was er zu sein schien,
sondern stellt nur die beiden ersten Bände des Planeten-Piraten-Zyklus
dar. Hat man die Fortsetzungen etwa nur deshalb noch nicht übersetzt,
weil man die Verbindung nicht erkannt hat?
Obwohl, von Fortsetzungen kann man eigentlich nicht sprechen. Anne
McCaffrey und ihre beiden Co-Autorinnen wählten einen recht ungewöhnlichen
Weg für die beiden Folgebände "Sassinak" und "Der Tod des Schlafes".
Beide Bücher enden nämlich genau da, wo auch "Die Überlebenden"
schloß, nachdem sie die Lebensgeschichten von zwei erstaunlichen
Frauen erzählt haben, die in den Dinosaurier-Teilen eher eine Nebenrolle
spielten. Erst "Generationen-Krieger" schließt den weiten Bogen der
Gesamthandlung ab. Man kann vermuten, daß dieses Verfahren und auch
die weitere Handlung nicht von Anfang an geplant waren. Vielleicht hat
McCaffrey ihre ursprünglichen Ideen auch einfach von ihren Kolleginnen
ausarbeiten lassen. Wenn man nach zehn Jahren ein Buch fortsetzt, kann
man sicher einiges anders machen. (Mir sind übrigens auch nur zwei
inhaltliche Fehler aufgefallen, wo etwas nicht zu den ersten Teilen paßt.)
Am Schluß ist jedenfalls eine Serie mit einer vielschichtigen
und komplexen Handlung herausgekommen, die auch an Spannung und Aktion
nichts zu wünschen übrig läßt. Die Haupthelden sind
Frauen, was manchen sicher gleich an Feminismus denken läßt.
Möglicherweise ist es eine Spielart, aber McCaffrey versteht es immer
wieder, ihre Botschaften unaufdringlich zu vermitteln, nicht wie einige
ihrer Autoren-Kolleginnen. Vor allem Sassinak und Lunzie, die Hauptfiguren
der drei späteren Romane, sind glaubwürdige Charaktere mit Schwächen,
Stärken und Fehlern - und vor allem mit einer Geschichte. Sie kommen
nicht aus dem Nichts, sondern ihre Entwicklung wird nachgezeichnet. Tatsächlich
stellt die Entwicklung der beiden Frauen den eigentlichen Inhalt zweier
Romane dar!
Das ganze Geschehen spielt so etwa im 29. Jahrhundert vor dem Hintergrund
einer galaktischen Föderation vernunftbegabter Wesen, der die Menschheit
als wichtiges Mitglied angehört, die aber nicht von Menschen gegründet
wurde. Es gibt überlichtschnelle Kommunikation und Schiffe, eine militärische
"Flotte" und Kolonisierungsbestrebungen im All. Die sogenannten Plus-G-Weltler
(Heavyworlder) sind genetisch an höhere Schwerkraft angepaßte
Menschen, die entsprechende Planeten besiedeln sollen. Wegen ihres Aussehens
glauben viele aber nicht gerade an ihre hohe Intelligenz. Und dann sind
da natürlich die Planeten-Piraten. unglaublich bösartige und
skrupellose Leute, die buchstäblich Planeten kapern, welche gerade
frisch kolonisiert wurden. Dabei ermorden und versklaven sie die Bevölkerung,
ohne daß die Föderation in der Lage zu sein scheint, etwas dagegen
zu tun, und lassen sie dann von anderen besiedeln.
Ein solcher Planet, der vielleicht einmal von Menschen besiedelt werden
soll, ist Ireta. Eine kleine Gruppe aus Menschen und Plus-G-Weltlern, die
von einem riesigen Mutterschiff abgesetzt wurde, erforscht ihn. Schon bald
merken Kai und Varian, die beiden Leiter, daß mit dieser Welt etwas
nicht stimmt. Allerdings ist es doch ein wenig unglaubwürdig, daß
es eine ganze Weile keinem auffällt, was dann erst ein etwas vertrottelter
Biologe feststellt, als er einmal seine Nase aus dem Labor steckt: der
Planet ist von irdischen Dinosauriern besiedelt. Selbst Schiffgeborene
sollten doch mal einen Dino gesehen haben. Aber andererseits ist es so
ungewöhnlich, daß man vielleicht nicht auf diese Idee kommt,
wenn man einen solchen Riesen trifft.
Aber egal. Neben den typischen Vertretern findet man auch golden bepelzte
Flugsaurier, die offensichtlich eine Art Intelligenz entwickelt haben.
Leider kann man nicht ungestört der reinen Forschung frönen,
denn die Plus-G-Weltler entwickeln sich zu einem Problem. Die "Leichtgewichte"
stellen fest, daß sich ihre muskelbepackten Kollegen zunehmend seltsam
verhalten. Das gipfelt darin, daß sie heimlich Saurierfleisch essen.
Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, daß der Genuß von
Fleisch aller Art in der ganzen Föderation streng verboten ist. Die
Begründung erschien mir zwar etwas fadenscheinig, aber dieses Element
ist nötig, um dem Leser später zu zeigen, daß auch die
Guten nicht ohne Fehl sind, da sie an ihrer geradezu bigotten Einstellung
zum Fleischgenuß auch festhalten, wenn es tödlich ist. Für
andere, versteht sich.
Die Plus-G-Weltler meutern schließlich und versuchen die anderen
Menschen umzubringen, doch diese können mit einem Shuttle in eine
Höhle fliehen, wo sie sich in den Kälteschlaf begeben, um auf
das Mutterschiff zu warten. Wenn man nur dieses erste Buch liest, muß
die Meuterei reichlich unmotiviert erscheinen. Was die Heavyworlder wirklich
in die Barbarei zurückfallen und ihre Verbrechen begehen ließ,
wird erst viel später klar, manches erst im letzten Band.
Das Mutterschiff kommt allerdings nicht, und nach vierzig Jahren Kälteschlaf
werden die Überlebenden im zweiten Teil von einem Thek geweckt. Theks
sind die älteste und rätselhafteste Rasse in der Föderation
und praktisch allmächtige Wesen. Der betreffende Vertreter will aber
nur einen alten Kern haben, den Kai ausgrub, eine Art geologische Sonde.
Wie sich herausstellt, waren die Thek schon vor Millionen Jahren auf Ireta,
und sie schafften auch die Dinos von der Erde her.
Die Schläfer erkunden vorsichtig die Gegend und stoßen auch
bald auf die Nachkommen der Meuterer. Ehe sich aber ein Konflikt entwickeln
kann, überschlagen sich die Ereignisse geradezu. Ein illegales Kolonieschiff
der Plus-G-Weltler, für welches die Meuterer in der Zwischenzeit einen
Landeplatz schufen, erscheint auf Ireta, wird aber von einem Flottenkreuzer
an der Ausführung seiner üblen Vorhaben gehindert. Schließlich
greifen auch noch die Thek selbst ein, die den Planeten für sich beanspruchen
und quasi nebenbei ein paar kriminelle Aktivitäten aufdecken: Es scheint,
daß Planeten-Piraten mit den Plus-G-Weltlern im Bunde sind.
Kommandantin des Kreuzers ist eine gewisse Sassinak, die in Lunzie,
der Ärztin der Expedition, eine entfernte Vorfahrin erkennt. Schon
vorher wurde manchmal angedeutet, daß Lunzie viel Zeit im Kälteschlaf
verbrachte, nicht nur die vierzig Jahre auf Ireta. Familienfeier und Ende.
Viel passiert wirklich nicht im zweiten Teil des Dinosaurier-Planeten.
Aber er ist sozusagen der Fokus für die beiden folgenden Bände.
Tatsächlich ist die Thek-Versammlung an seinem Schluß der erste
Kulminationspunkt einer viel längeren Entwicklung. Diese wird nun
dokumentiert.
Sassinaks junge Kolonie wurde von den Piraten überfallen, als
sie zwölf Jahre alt war. Die schwerbewaffneten Banditen schlugen schnell
sämtlichen Widerstand nieder, töteten einen Großteil der
Bevölkerung und verschleppten den Rest, unter ihnen Sassinak, in die
Sklaverei. Kinder, die zu klein dazu waren, wie ihr Bruder, wurden zum
Sterben zurückgelassen. McCaffrey und Elizabeth Moon lassen keinen
Gedanken an irgendwelche Piratenromantik aufkommen. Was da am Anfang geschildert
wird, ist brutal und unmenschlich - nun ja, "unmenschlich" ist eigentlich
das falscheste Wort dafür: nur Menschen sind zu solchen Greueltaten
fähig.
Sassinaks Erlebnisse in den nächsten Jahren werden nicht in Einzelheiten
erzählt. Man bildet sie schließlich zur Raumschiffpilotin aus,
sie soll auf einem Piratenschiff als Sklavin dienen. (Übrigens eine
interessante Idee zum Thema Sklaverei in einer Hight-Tech-Zivilisation.)
Vorher trifft sie jedoch den Sklaven Abe, einen ehemaligen Flottenangehörigen,
der ihr so einiges beibringt und ihr vor allem die Kraft zum Überleben
gibt. Als das Piratenschiff von einem Kreuzer aufgebracht wird, ist sie
in der Lage, die Position des Versteckes der Verbrecher zu verraten. Nach
einer weiteren Ausbildung wird Sassinak Fähnrich bei der Raumflotte.
Ihr einziger - sicher verständlicher - Wunsch ist es, Piraten zu jagen.
Später im Buch ist sie schließlich Kapitän eines eigenen
Kreuzers und gelangt im Rahmen einer Mission nach Ireta, wo sie gerade
rechtzeitig eintrifft, um die Besetzung der Saurier-Welt zu verhindern.
"Der Tod des Schlafes" behandelt Lunzies Schicksal, die im Weltraum
vom Pech verfolgt scheint. Während sie zu einem Einsatz als Ärztin
auf einer Raumstation fliegt, gibt es eine Havarie und sie muß in
einer Rettungskapsel in den Kälteschlaf gehen. Statt nach ein paar
Monaten wird sie aber erst nach vielen Jahrzehnten gefunden - von einem
Thek, der später wiederholt auftaucht. Nachdem sie ihr Fachwissen
wieder auf Vordermann gebracht hat, sucht sie ihre inzwischen siebzigjährige
Tochter, doch ein zweiter Unfall im All schleudert sie wieder zehn Jahre
in die Zukunft. Das dritte Mal trifft sie das Schicksal so auf Ireta. Dieses
Buch dient, wie das vorangegangene, auch dazu, dem Leser die Probleme der
Föderation immer deutlicher werden zu lassen. Beide Heldinnen treffen
verschiedene Leute und enträtseln mehr und mehr die Verschwörung,
die hinter den Piraten steckt und die sich bis in höchste Ebenen der
Föderation erstreckt. Leider ist dem Leser schon bald allzu klar,
wer die Bösewichter sind: die an Geld und Einfluß reichen "Familien",
welche die Wirtschaft nicht nur der Menschheit beherrschen. Wie auch in
"Powers That Be" hat McCaffrey hier einiges gegen kapitalistische Praktiken
zu sagen.
Die "Generationen-Krieger" sind natürlich Sassinak und Lunzie,
die beide unter den Piraten gelitten haben und nun entschlossen sind, die
Sache aufzudecken. Aber der letzte Teil steigert die Verwirrung noch, indem
plötzlich die Motive der Plus-G-Weltler relativiert werden und sich
eine der Rassen der Föderation als aggressiv erweist. Außerdem
ist die Regierung fast hoffnungslos korrupt. In einem aktionsreichen Schluß
kämpft man dennoch um Demokratie und Frieden. Die scheinbar unvermeidlichen
Untergrundkämpfer im - ja: - Untergrund der Hauptstadt und ein paar
rebellische Studenten sind natürlich auch wieder mit dabei. Nur mit
einem Kreuzer könnte selbst Sassinak das Problem nicht realistisch
lösen, deshalb bekommt sie Unterstützung. Die Untergründler
nennen sich komischerweise Samizdat, das ist meines Wissens der
russische Begriff für Selbstverlag. Eine Verbeugung von der Perestroika?
Das Gute erringt aber nur den Sieg, weil die Theks wieder eingreifen.
Man bekommt den Eindruck, daß sie die anderen Rassen wie kleine Kinder
sehen und bei einer Rauferei am Kragen auseinanderzerren.
Soviel zur Handlung des Zyklus, wobei ich natürlich die eigentlichen
Abenteuer ausgespart habe. Während die ersten beiden Teile nicht unbedingt
herausragende Werke darstellen, was Inhalt und Personengestaltung angeht,
waren die drei folgenden dann viel besser durchdacht, moderner und interessanter.
Zudem gibt es viele nebensächliche und trotzdem bemerkenswerte Kleinigkeiten,
die einfach so eingebaut sind, aber für die Handlung keine große
Bedeutung haben. Außer in einem ganz großen Rahmen, der die
fiktive Welt in etlichen hundert Jahren beschreibt. Erwähnen möchte
ich hier nur, daß es sich die Autorinnen nicht nehmen lassen, ein
paar Anspielungen auf Star Trek und den Fankult um Fernsehelden einfließen
zu lassen.
Die Handlung ist nicht nur in ihrer Struktur mit mehreren gleichrangigen
Hauptpersonen komplex, sie beschränkt sich auch inhaltlich nicht auf
ein Thema. Es wäre lohnend, die drei Folgebände der Dinosaurier-Bücher
ins Deutsche zu übersetzen, selbst wenn sie nicht mehr auf der Dinowelle
schwimmen können. Unterhaltsame Bücher mit weiblichen Helden,
die dabei doch natürlich bleiben und keine darkoveranischen Amazonen
werden, sind noch selten in den Regalen.
[Dinosaurier-Planet (Dinosaur Planet), © Anne McCaffrey 1978, übersetzt
von Birgit Reß-Bohusch 1985, Heyne 06/4168, 237 Seiten, DM 6.80]
[Die Überlebenden (Dinosaur Planet 2: The Survivors), © Anne
McCaffrey 1984, übersetzt von Birgit Reß-Bohusch 1986, Heyne
06/4347, 303 Seiten, DM 7.80]
[Sassinak, © Anne McCaffrey & Elizabeth Moon* 1990, Baen Books,
333 Seiten, $ 5.99]
[The Death of Sleep, © Anne McCaffrey & Jody Lynn Nye* 1990,
Baen Books, 380 Seiten, $ 4.95]
[Generation Warriors, © Anne McCaffrey & Elizabeth Moon* 1991,
Baen Books, 345 Seiten, $ 5.99]
(* eigentlich © Bill Fawcett and Associates)
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