Anne McCaffrey: Lyon's Pride
Anne McCaffrey: Lyon's Pride
(Corgi Books 1994, 347 Seiten, £ 3.99)
Schon mit Spannung von mir erwartet, traf nun der nächste Teil
des "Talente"-Zyklus McCaffreys ein. Meines Wissens ist auf Deutsch bisher
nur der erste Teil, "To Ride Pegasus" (Wilde Talente, Heyne 1986) aus dem
Jahre 1973 erschienen. In SOLAR-X 19, 32, 43 und 49 besprach ich bereits
die vorhergehenden Teile des Zyklus. 1990 nahm Anne McCaffrey das Thema
der Talente mit "The Rowan" wieder auf, um 1991 den Anschlußroman
"Pegasus In Flight" nachzureichen, der die Verbindung der zeitlich später
liegenden Handlung zum ersten Teil herstellte. Es folgten "Damia" (1992),
"Damia's Children" (1992) und nun "Lyon's Pride" (Lyons Stolz).
Im Universum der Talente gibt es keine sichtbare Verbindung
zu den anderen Schauplätzen von Zyklen McCaffreys. Wesentlichste Grundidee
ist, daß telepathisch und telekinetisch hochbegabte Personen - eben
jene Talente - die gesamte Gesellschaft durchdringen. In den Romanen
geht es freilich hauptsächlich um die in der Raumfahrt eingesetzten
Talente. Sie sind dafür verantwortlich, Fracht und Personen
von Sonnensystem zu Sonnensystem zu transportieren und die Kommunikation
quer durch die Galaxis aufrechtzuerhalten.
Besonders auffallend ist dabei, daß die "übersinnlich" begabten
Menschen nicht als Freaks oder Außenseiter behandelt werden, sondern
- bis auf Ausnahmefälle - hoch geachtet und weitgehend integriert
sind. Kein Wunder, denn die Menschheit ist von ihnen völlig abhängig.
Diese schöne heile Welt wird allerdings von außen bedroht.
Seit "The Rowan" schlägt man sich mit den "Hivern" herum, einer insektoiden
Rasse, die scheinbar nichts anderes in ihrem Mehrfachbewußtsein hat,
als den Trieb, sich fortzupflanzen und neue Planeten zu erobern. Eine weitere
intelligente Rasse, die Mrdini, hat sich mit der Menschheit verbündet,
da auch sie von den Hivern bedroht wird, gegen die sie seit Jahrhunderten
kämpft.
Die Romane handeln im wesentlichen von der Talente-Familie Lyon-Raven
und deren weitverbreiteten Verwandten, die eine große Rolle bei der
Abwehr der Kugelschiffe des Feindes spielen. Dabei räumt die Autorin
den Schicksalen der einzelnen Gestalten großen Raum ein, auch wenn
es zunehmend kriegerisch zugeht. Immer wird gezeigt, wie sich die Personen
entwickeln, ihre speziellen Probleme bewältigen und zueinander finden.
Diesmal geht es in mehreren Handlungsteilen darum, wie einige Kugelschiffe
verfolgt werden, die man in "Damia's Children" entdeckt hatte. Der Roman
endet mit der Vernichtung einer großen Zahl solcher Schiffe. Obwohl
man nicht alle Planeten gefunden hat, die von den Hivern besetzt wurden,
ist die Gefahr offenbar erst einmal gebannt. Diese letzte Vernichtungsaktion
erinnerte mich irgendwie an "Ender's Game", sowohl in der Art des Gegners,
als auch in der skrupellosen Auslöschung des Feindes durch die technisch
überlegene Allianz. Bei McCaffrey fehlen jedoch fast ganz die philosophischen
Implikationen einer solchen Tat - nur am Rande werden gewaltsame Proteste
auf der Erde erwähnt, und ein paar der Helden machen sich vorsichtig
besorgte Gedanken. Auch die in Aussicht gestellten Versuche der Kontaktaufnahme
mit dem Hive-Bewußtsein und der Lösung von deren Bevölkerungsproblem
können am Ende nicht ganz von den friedlichen Absichten der Menschen
überzeugen. (Dieser Teil erinnerte mich nun wieder an "The Gripping
Hand", kürzlich hier besprochen.) Sicher, die Hives stellen eine unmittelbare
Bedrohung dar, und sie scheinen nicht reden zu wollen, aber der Massenmord
an ihnen ging mir den Helden des Buches dann doch etwas zu glatt von der
Hand. Außerdem war die technische Realisierung desselben längst
offensichtlich, so daß es nur überraschte, wieso man nicht schon
eher darauf gekommen war.
Der Stolz der Familie Lyon ist es, bei diesem interstellaren Feldzug
eine entscheidende Rolle gespielt zu haben - trotz ihrer eigentlich pazifistischen
Grundeinstellung. "Ein Krieg, in dem nur die Feinde sterben" - was soll
man davon halten? Irgendwie ist Anne McCaffrey hier auf ein Gebiet geraten,
das mir die Aussage dieses Buches doch etwas fragwürdig vorkommen
läßt. So gut geschrieben der Roman auch ist, er hat doch ein
paar Stolperstellen. Einmal weigert sich Rojer Lyon auf dramatische Weise,
dem Befehl zu gehorchen, eine Hiver-Welt (in die Steinzeit?) zu bombardieren
- was seine Mrdini-Gefährten das Leben kostet - später ist aber
gerade er es, der die entsprechende Idee hat, Bomben an Bord der Kugelschiffe
zu teleportieren, was eigentlich ein naheliegender Gedanke hätte sein
müssen. Diese Aktion selbst wirkt dann schon beinahe spielerisch,
wie das Abschießen von Blips auf einem Monitor während eines
Computerspieles. Wieder eine (vielleicht unbewußte?) Anlehnung an
"Ender's Game"?
Nun, wo die Gefahr erst einmal gebannt scheint, wäre ein guter
Punkt, um den Zyklus abzuschließen. Alles Fortführende kann
eigentlich nur eine Wiederholung sein, oder sich inneren Intrigen und Machtkämpfen
zuwenden. Und von denen habe ich in der Realität und der SF-Literatur
langsam genug. Aber irgendwie glaube ich nicht so recht daran, daß
Anne McCaffrey schon ans Aufhören denkt.
Nicht uninteressant scheint mir die Frage zu sein, was die in letzter
Zeit in der SF mehrfach aufgetretenen Konstellationen einer fremden Rasse
mit dem Problem der Bevölkerungsexplosion gegen die Menschheit wohl
für einen Hintergrund haben könnten. Mir scheint sich hier eine
neue alte Angst der westlichen Welt vor der sogenannten "Dritten Welt"
widerzuspiegeln. Eine mehr oder weniger fremdartige Kultur, anhaltende
Bevölkerungsexplosion und das Hereindrängen in den Westen auf
der einen Seite, eine amerikanische Militärmacht, die sich ungehemmt
und mit Billigung der UN als Weltpolizist aufspielen kann, auf der anderen.
Gerade der letztere Aspekt fällt in "Lyon's Pride" doch sehr ins Auge,
wo die Flotte durchs All fegt, um Planeten en masse vor der Hiver-Gefahr
zu bewahren. Selbst die Leichtigkeit, mit der die Feinde am Ende vernichtet
werden, könnte eine Reflexion auf den Golfkrieg sein, der ja von einigen
als Fernseh- oder Videokrieg bezeichnet wird.
Man muß den Autoren der entsprechenden Bücher - ich denke
neben McCaffrey vor allem an Niven und Pournelle - aber zumindest Kredit
dafür geben, daß sie ihre "westliche" Macht immer um die Lösung
des Problems der Anderen ringen lassen, nachdem die sich als unfähig
dazu erwiesen haben. Und diese Nuance ... na ja.
SX 57
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