Anne McCaffrey: PERN-Zyklus

PERN: Die Welt der Drachen
Der Zyklus von Anne McCaffrey


Der vollständige Zyklus umfaßt (bisher):
1. Die Welt der Drachen (Dragonflight) 1968
2. Die Suche der Drachen (Dragonquest) 1971
3. Drachengesang (Dragonsong) 1976
4. Drachensinger (Dragonsinger) 1977
5. Der weiße Drache (The White Dragon) 1978
6. Drachentrommeln (Dragondrums) 1979
7. Moreta - Die Drachenherrin von Pern (Moreta: Dragon Lady of Pern) 1983
8. Nerilkas Abenteuer (Nerilka's Story) 1986
9. Drachen - Dämmerung (Dragonsdawn) 1988
10. Die Renegaten von Pern (The Renegades of Pern) 1989
11. All the Weyrs of Pern (noch nicht auf Deutsch)
und zusammen mit Robin Wood: People of Pern (Kunstbuch)

Drachen - das klingt nach Fantasy. Möglicherweise lesen deshalb etliche hartgesottene SF-Fans den Pern-Zyklus gar nicht erst. Womit sie ihm aber Unrecht tun. Es stellt sich nämlich bald heraus, daß die Drachen Anne McCaffreys alles andere als mythische Geschöpfe aus der Requisitenkiste der Fantasy sind. Der Zyklus ist meiner Ansicht nach eindeutig ins Feld der Science Fiction zu rechnen, obwohl sich das Heyne SF-Lexikon da nicht so festlegen will. Man stößt nicht sofort auf diese Tatsache, einiges wird zunächst nur angedeutet und dann später erst tatsächlich enthüllt. Aber Roman für Roman wird das Bild klarer.
Als ich den Auftrag übernahm, "Die Renegaten von Pern" zu rezensieren, war mir das Anlaß, den restlichen Zyklus zu beschaffen und zu lesen. Wer den Zyklus schon kennt und sammelt, wird sich "Die Renegaten..." natürlich zulegen, wer ihn allerdings nicht kennt, wird nicht - und sollte nicht! - mit diesem Buch beginnen. Dieser Artikel soll daher auch anderen, die noch zögern, sich die zehn Bände zuzulegen, einen Einblick geben, um was es hier eigentlich geht, ohne viel von der Handlung zu verraten.
Pern, das ist eine dieser vergessenen Koloniewelten der Menschheit, die auch anderwärts durch die SF geistern. So etwas macht sich ja gut, man erklärt, wie die Menschen überhaupt auf diese Welt gekommen sind, setzt sie dann der Welt und ihren Eigenarten aus und hat nebenbei ein paar historische Mysterien für seine Helden parat. Ein solcher Hintergrund läßt sich dazu verwenden, sehr viele Dinge durchzuspielen. Man kann ihn in eine Space Opera genausogut einbauen wie in eine pure Fantasy-Handlung (z.B. in Silverbergs Majipoor).
Anne McCaffrey hat mit Pern eine der bekannteren Hintergrund-Welten geschaffen. Man kann schon sagen, daß der Zyklus eine Art Kultserie geworden ist. Was allerdings neben den Drachen seine Faszination ausmacht, läßt sich in drei Worten kaum beschreiben.
Die Legende geht, daß am Anfang natürlich das Wort war, nämlich in Form von zwei Novellen, "Dragon Quest" und "Weyr Search" (Das Lexikon nennt statt der ersten Story allerdings "Dragonrider".), die den Hugo und den Nebula errangen. Vielleicht angespornt von diesem Erfolg begann die amerikanische Autorin, die später nach Irland zog, Romane über Pern zu schreiben, in welche die genannten Novellen eingebaut wurden.
Pern, das ist ein Planet der "goldenen Sonne Rubkat im Sagittarius-Sektor", wie erstmals im Vorwort zum 3. Band nachzulesen ist. Eine offensichtlich sehr hochentwickelte Menschheit beherrscht die Galaxis zusammen mit anderen intelligenten Rassen. Auch das wird erst in einem der späteren Bücher mitgeteilt. Der Planet wurde von drei Kolonisierungsschiffen angeflogen, um eine Gesellschaft aufzubauen, die sich bewußt von der "Technokratie" der übrigen Menschheit lossagte.
Allerdings erlebten die ersten Siedler eine böse Überraschung. Das Paradies erwies sich als tödliche Falle. Ein von Rubkat eingefangener Himmelskörper, den die Autorin zunächst als roten Stern bezeichnet, der aber anscheinend doch eher als Planet anzusehen ist, nähert sich periodisch etwa aller zweihundert Jahre Pern, um Wolken einer höchst aggressiven Lebensform eingekapselt durch den Raum auf die Oberfläche Perns zu schicken. Diese "Sporen" oder "Fäden" haben die üble Angewohnheit, organische Materie sofort zu zersetzen. Wer oder was von ihnen getroffen wird, ist zum Untergang verurteilt.
In dieser Situation erschaffen die Genetiker der Expedition aus einer einheimischen Lebensform, den Feuerechsen, die berühmten Drachen von Pern, die mit ihrem Feueratem gegen die Fäden zu kämpfen beginnen. Die Angelegenheit mit den Genetikern wird so erklärt, daß sie bei einer Alien-Zivilisation ausgebildet wurden, welche die Genmanipulation wohl zur Lebensweise gemacht hatte. Die Experimente mit Menschen gingen jedoch schief, oder es kam nur zu Teilerfolgen wie z.B. erblicher telepathischer Begabung, Sprechen mit Delphinen usw. Eine alte Überlebende jener Schüler der Aliens ist Mitglied der ersten Expedition und ihre Rettung. Die Drachen werden einerseits genetisch maßgeschneidert in eine Evolution geschickt, die über Jahrtausende hinweg immer größere, intelligentere und bessere Drachen erzeugt.
Andererseits bringen viele der mutierten Menschen die Fähigkeit mit, sich telepathisch mit den Geschöpfen zu verständigen. Die Sache ist durchaus logisch konstruiert, wenn man Gelegenheit hat, sie im Überblick zu betrachten.
Nun muß man aber nicht glauben, daß der Zyklus auch so aufgebaut ist. Nein, die Handlung von Band 1 beginnt laut einer später eingeführten Zeittabelle etwa zweieinhalb Jahrtausende nach der Landung! Es ist die Zeit des 9. Erscheinens des roten Sterns. Und diese bleibt durch den ganzen Zyklus eigentlich die zentrale Handlungszeit, auch wenn einige Bücher nicht hier spielen.
Die richtige zeitliche Reihenfolge der Bücher wäre 9., 7., 8., 1., 2., 3., 4., 5., 6.,10. Band. Aber man kann sie kaum so lesen, da einiges in Band 9 zum Beispiel nicht verständlich wäre, wenn man die Bücher 1 bis 6 noch nicht kennt, obwohl Band 9 die Landung auf Pern schildert. Auch die Bände 7 und 8 setzen diese Kenntnis voraus, obwohl sie zeitlich 900 Jahre früher als die anderen spielen.
Die Bücher 1 bis 6 stellen die Haupthandlung dar. In ihnen werden die Erlebnisse jeweils anderer Personen in der Zeit kurz vor dem ersten Fädenfall bis etliche Jahrzehnte später geschildert. Die Drachenreiter, die für die Bekämpfung der Fäden verantwortlich sind, haben am Anfang keinen guten Stand auf Pern, denn es sind seit vielen Jahrhunderten keine Fäden mehr gefallen und man hält die Einrichtung der Drachenreiter für ein lästiges Relikt.
Der Rest der Bevölkerung ist in einer quasi mittelalterlichen Gesellschaft mit Burgen und Bauern und Gilden organisiert. Im jahrtausendelangen Kampf ums Überleben ist alles alte Wissen verlorengegangen. Man weiß nicht einmal mehr, daß man von einer anderen Welt kam.
Nun, jedenfalls kommt es wieder zu einer Annäherung des roten Sterns und Pern kann durch die wenigen existierenden Drachenreiter gerade noch einmal gerettet werden.
Um diese Ereignisse voller politischer Intrigen und Ambitionen, heldenhafter Aufopferung und spannender Wiederentdeckung der eigenen Wurzeln ranken sich die Erlebnisse der verschiedenen Hauptfiguren. Meist ist es so angelegt, daß der nächste Band die Nebenhandlung einer bisher wenig wichtigen Gestalt aufgreift und von deren Warte aus schildert.
Das ist durchaus interessant zu lesen und vor allem gekonnt in Szene gesetzt. Die Heldin eines alten Liedes (bzw. einer Lehrballade) taucht in Band 7 auf, die Nummer 8 wendet wieder die bewährte Taktik einer Nebenfigur an. Das 10. Buch der Serie greift schließlich wieder auf die Haupthandlung zurück, nachdem vorher die Ausgangssituation nach der Landung beschrieben wurde.
Eine weitere wichtige Entwicklung innerhalb des Zyklus ist im Status der handelnden Helden zu sehen.
Die der ersten Bände sind Drachenreiter und Weyrherrinnen, dann konzentriert sich die Autorin auf die Bewohner der Burgen, die hier von "Baronen" geführt werden, bleibt aber damit noch in der Oberschicht Perns. Danach wendet sie sich den Gilden zu, hauptsächlich der wichtigsten, der Harfnergilde - eine Art Bewahrer des Wissens und die eigentlichen politischen Führer Perns. Im zehnten Teil widmet sie sich vor allem den Ausgestoßenen, den Renegaten und nicht Seßhaften. Je mehr sich der Zyklus vor dem Leser entfaltet, um so tiefer erhält er einen Einblick in die Gesellschaft des Planeten, seine soziale Struktur, die Lage der Bewohner.
Immer umfassender wird auch das Bild von der Entwicklung, die zur Situation in der Gegenwart führte, einschließlich der Dinge, die von den Einwanderern in Gang gesetzt wurden. Die Welt Pern stellt sich inzwischen als eine komplexe Konstruktion mitsamt einem astrophysikalischen Hintergrund und einem Ökosystem dar.
Die Helden Anne McCaffreys sind überwiegend junge Mädchen und Frauen, wenn es auch einige männliche Gestalten gibt, die große Bedeutung haben. Dennoch möchte ich ihre Pern-Bücher auf keinen Fall als feministisch bezeichnen. Jedenfalls nicht in der Weise, daß ein Übergewicht auf derartige Themen gelegt würde. Freilich, die Welt Pern ist eine männlich dominierte. Frauen leiden zumeist unter ihren Vätern, Brüdern oder ungeliebten Männern. Im Laufe der Handlung "emanzipieren" sie sich auch immer irgendwie, sie finden einen Platz im Leben, eine neue Position, die ihrem Leben einen Sinn gibt.
Und doch halte ich das nicht für das Hauptthema der Bücher. Ich zähle mich nämlich auch zu den Lesern, denen eine solche Einseitigkeit - wie man sie vor allem bei M. Zimmer-Bradley findet - gehörig auf den Geist geht. Ich glaube, McCaffrey hat genau den richtigen Weg gefunden, weiblich zu schreiben, nicht aber übertrieben feministisch.

Pern ist trotz der Gefahren, des rauhen Lebens ein Paradies - ein Idealbild, und nicht zuletzt auch eine Utopie.
Es gibt keinerlei Rassentrennung, keine religiösen Probleme - das Fehlen dieser Aspekte ist auffallend, vor allem weil in Band 9 noch etwas derartiges angedeutet wird. Der Planet hat die Menschheit endlich geeint, könnte man denken. Jedoch ein Einheitsbrei ist sie auch wieder nicht. Es gibt Unterschiede, Gier und Habsucht, Liebe und Haß. Was wären das sonst wohl für Menschen?
Aber gleichzeitig ist Pern ein Dorf. Ein Planet, wo sich trotz der Kommunikationsschwierigkeiten die wichtigsten Leute kennen und - wenn auch nicht unbedingt immer mögen - so doch regelmäßig treffen und austauschen. Von Ereignissen erfahren immer alle. Wichtig dafür sind natürlich die Drachen und Feuerechsen, die sich teleportieren können und so sehr schnell jeden Punkt auf dem Planeten erreichen. Man lebt auf dem Planeten tatsächlich so eng zusammen wie sonst in einer räumlich sehr kleinen Gemeinde. Die Drachen streifen herum und suchen Nachwuchs für die Reiter, die Menschen teilen ihr Wissen und ihre Erfahrungen - ein Idealbild eben. Kulmination dieses Ideals stellt der wiederbesiedelte Südkontinent dar, das sprichwörtliche Paradies. Es wird vor allem in Band 10 gemeinschaftlich neu besiedelt - wobei man auch die eigene Vergangenheit in Form der alten Landestelle wiederentdeckt. Welch krasser Gegensatz zu Territorialansprüchen und Kriegen der realen Menschheit!
Pern ist die Fluchtwelt davor, und das wird in Band 9, dem Buch von der Landung, sehr deutlich gemacht. Admiral Benden und seine Getreuen sind gerade aus einem unter offenbar mehreren kriegerischen Konflikten gekommen, mit der erklärten Absicht, dieser Welt den Rücken zu kehren.
Und ich glaube, das ist es, diese Utopie, die den hauptsächlichen Reiz der Pern-Bücher ausmacht. Neben allen anderen Effekten der Weltenromane, der Wiedererkennung von Plätzen und Helden, der eigenen Geschichte und all der Kleinigkeiten, an denen man einen wirklich guten Zyklus erkennt.
Natürlich haben die Bücher auch ein paar kleinere Schwächen. Der oft erwähnte 9. Band wirkt vielleicht etwas konstruiert und so, als ob die Ereignisse, die eigentlich in Jahrhunderten hätten stattfinden können, nun mit Macht in die ersten paar Jahre gequetscht wurden. Andererseits findet der aufmerksame Leser für die meisten scheinbaren Widersprüche dann doch eine Erklärung.
Wenn man nur den 10. Band liest, wird vermutlich der Schluß ein wenig überraschen, wo die Perner einen Bunker mitsamt Computerkommunikationseinrichtung ausgraben und Kontakt mit den noch im Orbit befindlichen Siedlungsraumschiffen aufnehmen. Das geht in diesem Buch ziemlich schnell, aber es ist bereits in Band 5 oder 6 vorbereitet und zum Teil beschrieben worden, so daß sich McCaffrey nun auf andere Schwerpunkte konzentrierte.
Aber das sind Geringfügigkeiten, die nicht beim Genießen der Abenteuer der verschiedenen Helden stören können.

Der Pern-Zyklus ist einer von denen, die man ruhig sammeln kann. Wenn er auch mit Band 11 wohl noch nicht abgeschlossen zu sein braucht, wer einmal an dieser Welt Gefallen gefunden hat, wird gern immer wieder in sie zurückkehren. Beim Verlag dürfte es sicher nicht mehr alle Bände geben, aber es existieren ja genügend spezialisierte Antiquariate, in denen man sich die Bücher zusammensuchen kann, wie ich es auch gemacht habe.
Also dann, auf in die Welt der Drachen! 

SX 41


 
 

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