Anne McCaffrey & S.M. Stirling: Channa
Der Shellperson-Zyklus
Anne McCaffrey & S.M. Stirling: Channa
(Bastei Lübbe 24182)
gelesen von Wilko Müller jr.
"Channa Die Frau, die ein Computerwesen schützte" - kann man sich
einen schöneren Buchtitel vorstellen? Einen intelligenteren, subtileren,
werbeträchtigeren? Im krampfhaften Bemühen, das Ähnlichkeitsprinzip
der Originaltitel des Zyklus widerzuspiegeln, aber dem ersten Irrtum einer
deutschen Titelvergabe (Ein Raumschiff namens Helva) verhaftet, denkt man
sich nun bei BL Sachen aus wie "Das Raumschiff, das ein Mensch war" und
"Das Raumschiff, das sich verliebte". Es ist zum Heulen. Nie werde ich
begreifen, was aus den schönen Titeln geworden ist: "Das Schiff, das
sang", "Das Schiff, das suchte", "Partnerschiff" (im Englischen ein Wortspiel
mit "Partnerschaft") und "Die Stadt, die kämpfte". So müßte
nämlich das vorliegende Buch heißen.
Das war meine erste böse Bemerkung. Noch einen derartigen Gedanken
muß ich anschließen. Der Klappentext... Anne McCaffrey ist
also eine bekannte Fantasy-Autorin, die sich mit "Helva" in die SF wagte.
Soso. Wenn man sich die Titel des "Pern"-Zyklus ansieht, aber sonst keine
Ahnung hat, könnte man wohl auf diese Idee kommen. Leider völlig
daneben. "Pern" ist definitiv SF, und auch sonst ist mir kein Fantasy-Werk
der Autorin bekannt.
Aber nun zum Romanzyklus, den ich mangels eines offiziellen Namens
"Shellperson"-Zyklus nennen möchte, und zum vorliegenden Buch selbst.
"Shellpersonen", oder deutsch "Hüllenmenschen", sind stark körperbehinderte
Menschen, die man mittels einer zukünftigen Technologie in Titanhüllen
mit Lebenserhaltungssystemen steckt. Nach einer speziellen Ausbildung arbeiten
sie als "Gehirne" für Raumschiffe, Raumstationen, Städte und
ganze Planeten, wobei sie volle Bürgerrechte genießen, eher
noch sind sie privilegiert als benachteiligt. Selbstverständlich ist
ihre Kapazität durch zusätzliche Sensoren und Computerverbindungen
erheblich verstärkt. Auch sind sie extrem langlebig. Die oben genannten
Romane schildern Schicksale und Abenteuer von drei Frauen (Helva, Tia und
Nancia), die zu Raumschiffen werden. In der Regel finden sie in ihren männlichen
mobilen Partnern nach einigem Hin und Her einen idealen Gefährten,
selbst Liebe kommt ins Spiel - rein platonisch, versteht sich. Der Roman
"Channa" handelt nun von einem Stationshirn, doch das ist ein Mann namens
Simeon. Channa ist seine neue Partnerin. Zum ersten Mal wird die Handlung
nicht von der Position der Shellperson erzählt, sondern von einer
neutralen, bzw. von der Channas.
Simeon leitet eine riesige Raumstation mit tausenden Menschen an Bord.
(In ähnlichen Büchern hat sich der Begriff "Nexusstation" eingebürgert.)
Channa löst am Anfang seinen pensionierten Partner ab. Es kriselt
ein wenig zwischen den beiden, doch schon schlägt das Universum zu.
Die Kolnari, eine Bande wüstester Piraten, die mit ihrer Kriegsflotte
gerade einen Planeten (!) überfallen haben, sind auf dem Weg, um auch
die Station auszurauben. Zum Glück erhalten deren Bewohner eine Warnung
in Form eines geflohenen Schiffes, so daß man sich ein wenig vorbereiten
kann.
Nach etwa zwei Dritteln des Buches kommen die Kolnari dann tatsächlich,
und sie sind wirklich brutal, mordlustig und ganz und gar bösartig.
Simeon muß vor ihnen geheimgehalten werden - das ist wahrscheinlich
der Grund für den albernen Buchtitel, obwohl Simeon alles andere ist
als ein "Computerwesen".
Man ist von McCaffrey eigentlich einen anderen Stil gewohnt - weniger
grausam, mehr auf die menschlich - psychologische Seite neigend. Das mag
an der Ko-Autorin Stirling (sofern es eine Autorin ist - aber bisher schrieb
McCaffrey nur mit Frauen zusammen) liegen, die möglicherweise für
den größten Teil des Buches verantwortlich ist. Das findet man
ja immer öfter, daß andere die Ideen der Großen weiterverarbeiten.
Dagegen ist nichts zu sagen, wenn der Grundgedanke der "shared world" beibehalten
wird und keine gravierenden Fehler auftreten. Auch die Idee der Shellpersonen
gibt, wie man sieht, noch einige Stories mehr her als nur die vom singenden
Schiff Helva. Vielleicht wendet sich das McCaffrey-Team auch einmal Einsatzmöglichkeiten
außerhalb der Raumfahrt zu - aber die sind vielleicht nicht so interessant.
Vor allem die zweite Hälfte des Buches erinnert im Handlungsablauf
und ein wenig im Stil an Bücher von C.J. Cherryh, die ihre Helden
ja mit Vorliebe durch die finstersten verfügbaren Höllen gehen
läßt. Aber möglicherweise erinnert alles, was auf Nexusstationen
spielt und wo es auch noch ums Kämpfen geht, irgendwie an Cherryh.
Für die mir bekannten Romane Anne McCaffreys (Pern-, Dinosaurierplanet-,
Talente-, Killashandra- und Shellperson-Zyklen) war das detaillierte Schildern
von gräßlichen Szenen jedenfalls bisher nicht typisch. Gleich
am Anfang betreten die Helden - Stationsmanagerin Channa voran (vermutlich
dem Vorbild der Enterprise nacheifernd, wo sich die Brückencrew auch
immer in die gefährlichsten Situationen hineinbeamt) - ein ankommendes
fremdes Schiff, das bis oben hin voll ist mit verfaulenden Leichen. Und
als die Kolnari dann die Station besetzt haben, gibt es auch ein paar Schmäckerchen
für den Gore-Fan.
Es schadet dem Buch allerdings nicht, ein wenig Action ist ja nicht
so schlecht. Und da auf dem Klappentext auch noch (wenn auch fälschlicherweise)
steht, daß Channa sich für Simeon opfern will, ist man natürlich
gespannt, wie das abläuft und ob sie überlebt. Nicht das einzige
Spannungselement, muß ich hinzufügen. Na gut, ein paar Pistolen
baumeln schon sehr deutlich an den Wänden, und sie gehen natürlich
auch los. Aber irgendwie muß man ja das Selbstwertgefühl des
Lesers steigern, der es dann schon vorausgeahnt hat.
Die einzige wirklich kritische Sache besteht darin, daß die Rückständigen
(aus dem Flüchtlingsschiff) und die bösen Piraten beide zu Kolonistenvölkern
gehören, die ihre Ursprünge und kulturellen Wurzeln deutlich
im arabischen Raum haben, die Piraten sind noch dazu von sehr schwarzer
Hautfarbe. (Höre ich da den Golfkrieg nachhallen?) Sicher hat das
Autorinnenpaar damit nichts Böses gemeint, aber leicht kann man das
mißverstehen. Sehr wahrscheinlich versuchte man sogar, einige fundamentalistische
und religiöse Gruppen von heute aufs Korn zu nehmen. Wenn man von
der Rolle der Frau in der islamischen Welt hört, kann einem ja wirklich
das Messer in der Tasche aufgehen - ich sah letztens einen Bericht aus
Jemen, die Typen dort gehören doch alle unter eine Gehirnwäsche.
Aber, wie gesagt, sehr schnell assoziiert man den bösen Fremden mit
einem bestimmten Bild.
Der Roman läßt sich gut lesen, ist spannend geschrieben
und paßt in die Reihe der Shellperson-Bücher hinein. Die Übersetzung
ist auch ganz gut, ich kenne zwei der erwähnten Werke im Original
und weiß, wie schwierig es manchmal ist, bestimmte interne Ausdrücke
ins Deutsche zu übertragen, ohne daß sie dann blöd klingen
(Hüllenmensch!). Nur an der Titelwahl kann ich mich nicht so recht
erfreuen.
[The City Who Fought, (c) Bill Fawcett & Associates 1993, übersetzt von Ralph Tegtmeier 1994, 523 Seiten, DM 9.90]
Andere Bücher aus dem Zyklus:
Anne McCaffrey: The Ship Who Sang, 1969, dt.: Ein Raumschiff namens
Helva, Heyne 1989
Anne McCaffrey & Mercedes Lackey: The Ship Who Searched, Baen Books
1992, dt.: Tia - Das Raumschiff, das sich verliebte, BL 24175
Anne McCaffrey & Margaret Ball: PartnerShip, Baen Books 1992, dt.:
Nancia - Das Raumschiff, das ein Mensch war, BL 24173
Und dann waren da ja auch noch die Piraten:
Anne McCaffrey & Elizabeth Moon: Sassinak
Anne McCaffrey & Jody Lynn Nye: The Death of Sleep
Anne McCaffrey & Elizabeth Moon: Generation Warriors
SX 53
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