Arkadi und Boris Strugazki: Praktikanten
Arkadi
und Boris Strugazki: Praktikanten
(Aufbau Taschenbuch Verlag 1994)
Die Strugazkis gehörten zweifellos zu den Lieblingsautoren der
SF-Fans und -Leser in der DDR; jedenfalls war das bei mir der Fall. Zu
einer Zeit und in einem Land, wo das Wort Zyklus im Zusammenhang mit Literatur
praktisch unbekannt war, faszinierte mich das fast geschlossene, vielseitige
Universum, in dem die meisten der Strugazki-Romane spielten. Ich war frustriert,
da es mir anfangs nicht gelang, alle Zusammenhänge zu verstehen, als
ich noch nicht alle Bücher besaß. Und dann, weil manche gar
nicht auf Deutsch erschienen sind. Bis heute kenne ich nicht den Rest des
Buches "Mittag, 22. Jahrhundert", von dem ich unlängst hörte,
daß man nur die Action-Teile übersetzt, aber die utopischen
weggelassen habe. War selbst damals sowjetische Phantastik der DDR zu heiß?
Bei einigen Werken der Strugazkis ist das ja nachgewiesenermaßen
selbst in der Sowjetunion der Fall gewesen.
Weshalb der jetzt endlich vorliegende Roman "Praktikanten" nur auszugsweise
erschien, kann ich auch jetzt nicht mit Bestimmtheit sagen. Systemkritisch
ist er jedenfalls nicht gerade, kein Vergleich mit Büchern wie "Der
Montag fängt am Samstag an" oder ähnlichen späteren Werken.
Ich kannte jedenfalls nur zwei kurze Teile des Buches, wenn ich auch im
Augenblick nicht einmal sagen kann, wo ich sie schon las. Das ist auch
ein Formfehler des Verlages, den ich hier kritisieren muß. Es findet
sich an keiner Stelle eine Erwähnung des originalen Erscheinungsjahres
oder der Copyrights der in der DDR erschienenen Auszüge. Schämt
man sich dafür? Das Alter kann das Buch ja ohnehin nicht verleugnen,
seine gesellschaftlichen Konzepte sind inzwischen hoffnungslos überholt,
lassen nur noch wehmütige Nostalgie aufkommen.
In "Mittag, 22. Jahrhundert" (Das Neue Berlin 1989) findet sich übrigens
in Erik Simons Essay "Mittagssonne und Wolkenschatten" die Angabe 1962
zum Buch "Praktikanten".
Die Kenntnis der einen Geschichte, die sich als der Schluß des
Bandes herausstellte ("Der Mensch muß leben"), war für mich
bei der Lektüre nicht gerade hilfreich, denn dadurch war mir der doch
ziemlich traurige Schluß immer gegenwärtig. Ich will versuchen,
nicht zuviel Inhalt zu erzählen, damit das nicht auch anderen so geht.
Der Roman spielt in der ersten Phase der Entwicklung des besagten Universums.
Das Sonnensystem wird erforscht und besiedelt, aber die Sterne hat man
noch nicht erreicht. Die Helden dieser Etappe sind die Raumfahrer um Kapitän
Bykow, die der Leser schon in "Atomvulkan Golkonda" kennenlernte, wohl
dem ersten Roman der Gebrüder. Hier sind sie nun schon gealtert, einer
von ihnen muß gar auf der Erde zurückbleiben. Das Buch dreht
sich um die Reise von der Erde über den Mars bis zum Saturn, die Jurkowski
als Inspektor der Weltraumbehörde mit den anderen und dem Praktikanten
Jura unternimmt. Letzterer ist eigentlich zufällig dabei, aber die
erlebende Person. Die Reise mit ihren einzelnen Stationen dient dazu, die
Zustände, und vor allem den Entwicklungsstand der Menschen und Dinge
in dieser Welt darzustellen. Grundthema dahinter - denn die Bücher
der Strugazkis waren und sind nie einfach nur oberflächliche Abenteuerreißer
- ist nicht mehr und nicht weniger als der Sinn der menschlichen Existenz.
Und zwar von einer durchaus idealistischen, idealkommunistischen Warte
aus gesehen. (Vielleicht ist es das, weshalb es nie in der DDR erschien.)
Die Idee ist, daß die schöpferische Arbeit das Grundbedürfnis
des Menschen sei. Andeutungsweise gibt es wohl noch kapitalistische Staaten,
in denen das monetäre Denken der Menschen vorherrscht, aber anscheinend
nicht mehr lange. In der Welt der strugazkischen Zukunft (jedenfalls in
diesem Zyklus) leben gute, bewußte, fleißige Menschen - das
wahre Idealbild, das unerreichbar bleibt. Die Probleme der Menschheit wurden
gelöst, sie beginnt nach dem All zu greifen. Was für eine schöne
Utopie! Hier muß ich dem Verlag zustimmen, der schreibt, daß
sich diese menschheitsgeschichtlichen Vorstellungen heute aufregender lesen
als je zuvor. Bald wird es eine Zeit geben, da muß man sich solcher
Bücher bedienen, will man erfahren, wie sich Menschen eine (ideal-)
sozialistische oder (ideal-) kommunistische Zukunft vorstellten. Ja, das
gab es auch: Träume von einem positiven Ausgang des Experiments. Nicht
nur Zamjatin oder Orwell. Daß es nicht geklappt hat, ist wohl am
wenigsten Schriftstellern wie den Strugazkis zuzuschreiben, das haben sie
mit ihren späteren Büchern deutlich gezeigt.
Auch der vorliegende Roman ist keineswegs eine blauäugige Schilderung
einer nie erreichbaren Utopie. Im Gegenteil - die Diskrepanz zur Realität
muß schon vor Jahren vielen sauer aufgestoßen sein. Mit ihren
guten Menschen erinnerten die Autoren daran, wie es eigentlich sein sollte.
Einige Stellen lesen sich heute freilich recht eigenartig. Es gibt
da ab der Seite 167 eine Diskussion zwischen einem "kapitalistischen" Ingenieur
und einem Vertreter der scheinbar zur Hälfte kommunistischen Welt
über politische Dinge, genauer gesagt, über das Verhältnis
Kapitalismus - Kommunismus. "Der Mensch ist nun mal von Natur aus ein Stück
Vieh. Geben Sie ihm einen vollen Trog, nicht schlechter als beim Nachbarn,
lassen Sie ihn sich den Bauch vollschlagen und einmal am Tag über
irgendeine simple Vorstellung lachen. Sie werden mir gleich sagen: Wir
können ihm mehr bieten. Und was soll er mit mehr? Er wird euch antworten:
Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten..." Das sagt der Amerikaner.
Und irgendwo hat er recht, wie die Realität zeigt. Nicht der Idealist
der Strugazkis hat am Ende gewonnen, sondern ihr Synonym für den schlechten
Menschen, der Spießbürger. Diesen nehmen die Autoren nicht nur
in einem Buch aufs Korn.
Das Buch hat durch die Zeit eine ganz andere Dimension gewonnen, meine
ich. Liest man es heute, dann viel aufmerksamer als damals, als man als
unbedarfter Teenie die positiven Aussichten der strugazkischen Welt noch
fast als gegeben hinnahm.
Der Roman ist eines dieser MUSS für SF-Fans, und besonders für
alle, die noch vor nicht allzu langer Zeit die Bücher Strugazkis mehr
als einmal lasen. Mein Rat ist: Kauft Euch das Buch, und dann kramt die
alten Sachen noch einmal heraus. Ich habe gemerkt, daß es sich lohnt.
[Staschjorui, © Arkadi & Boris Strugazki 1962, übersetzt
von Aljonna Möckel und Erik Simon 1994, 281 Seiten, DM 14.80, ISBN
3-7466-1026-5]
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