Barbara Hambly: Der schwarze Drache

Barbara Hambly: Der schwarze Drache
(Bastei Lübbe 20096)


Es ist schwer, sich bei diesem Buch zu entscheiden, ob man es empfehlen oder kritisieren sollte. Also eine ambivalente Sache, wie Karsten Kruschel sagen würde. Der Klappentext ist wieder einmal ziemlich unsinnig, also scheint auch BL damit Probleme zu haben, den Inhalt seiner Bücher in zehn Zeilen zu erfassen. An diesem Text kann man sich kaum orientieren. Den Originaltitel "Dragonsbane" könnte man mit Drachentöter übersetzen, aber der vom Verlag gewählte trifft auch den Kern.
Es geht darum, daß irgendein unbestimmtes Königreich zwischen Meer und nördlichen Eiswüsten - ein Stereotyp also - von einem Drachen heimgesucht wird. Es ist ein typisches Reich, in dem die Autorin nur das ansiedelt, was sie für ihre Handlung braucht: Berge, Sümpfe, Wälder, ein paar verlassene Städte, haufenweise Ruinen usw. Alles andere ist unwichtig und wird kaum erwähnt.
Im Norden lebt Lord Aversin, der einmal mit viel Glück einen Drachen umbrachte, welcher die Menschen seines Landes bedrohte. Seine Gefährtin, die Zauberin Jenny Waynest, begegnet in einer Ruinenstadt einem merkwürdigen Don Quichote namens Gareth, der aufgrund von Balladen und Heldenliedern den Drachentöter Aversin zu Hilfe holen will, weil besagter schwarzer Drache die südlicheren Länder verwüstet. Gareth wird als hilfloser Träumer geschildert, der eine ganze Weile braucht, bevor er im Laufe der Handlung aus seinen Phantasievorstellungen in die Realität findet.
Aber wer jetzt Komik erwartet, wird enttäuscht werden. Gareth und auch Aversin sind in einer Fantasyhandlung ziemlich ungewöhnliche Typen, beide Brillenträger, der erste ein Spinner, der zweite ein Möchtegern-Gelehrter. Doch an ihnen ist nichts Komisches, sie wirken eher tragisch. Die Stimmung des ganzen Buches ist so, die Zivilisation verfällt, die Magie wird schwächer, denn Wissen geht auf allen Gebieten verloren. Aversin sammelt alte Bücher, und es ist klar, daß lange keine neuen mehr gedruckt wurden. Das nördliche Land fällt immer mehr der Barbarei anheim, da sich der König im Süden nicht mehr um seinen Schutz kümmert. Es kann auch nicht die böse Hexe sein, die den König ihrer Macht unterworfen hat, sie ist nicht die Ursache, sondern nur eine weitere Erscheinung des Niederganges.
Diese Stimmung versteht die Autorin gut zu vermitteln, man sieht förmlich die öden, menschenleeren Landstriche, die verfallenen Burgen und zerlumpten Leute vor sich. Not und Hunger sind so groß, daß einige Leute zu Kannibalen geworden sind.
Aber leider dehnt und streckt sich die Handlung sehr zäh durch diese Gegenden, nachdem Gareth Aversin und Jenny (die Handlungsträgerin ist) dazu überreden konnte, mit nach Süden zu kommen. Ich las mich durch mehr als die Hälfte des Romans mit einem nervösen Gefühl der Erwartung, wann es denn nun endlich um das Wichtigste ginge. Doch erst muß der dekadente Königshof beschrieben werden, das Wesen der bösen Zauberin und die Gnome/Zwerge müssen erklärt werden, bis wohl auch Lord Aversin die Geduld reißt und er sich mit seinen beiden Begleitern zum Drachen aufmacht.
Er greift den Drachen an, und auch das enttäuscht ein wenig. Vorher wurde viel Aufhebens von Karten der unterirdischen "Tiefe", von Anschleichen und List gemacht, und nun reitet er einfach auf ihn zu und wirft seine Giftharpunen. Fertig.
Jenny holt den halbtoten Aversin zum Lagerfeuer zurück, und dann endlich wird das Buch doch noch spannend. Denn der Drache ist nicht tot. Um Aversin heilen zu können, muß sie an ihm vorbei in die "Tiefe", was der Drache nur gestattet, wenn sie auch ihn heilt. Jenny gelingt beides, indem sie (und die Handlung) sich aus dem starren Drachentöterschema löst und das Wesen des schwarzen Drachen ergründet wird. Letztlich gelingt es ihr mit Hilfe des Drachen auch, die böse Zauberin zu vernichten und das Reich zu retten. Sie wird sogar zeitweise selbst zu einem Drachen!
Bei allem Positiven, das der Roman bietet, muß er doch kritisch betrachtet werden. Zur Langeweile vor allem der ersten Hälfte trägt nicht unbeträchtlich bei, daß der Leser die Zusammenhänge viel eher erahnt als die Helden. Nicht, weil die Erzählerin ihm das abseits vom Geschehen vermittelt, sondern vieles liegt auf der Hand. Wenn die Handlungsträger sich dann "dumm" anstellen, stört der Ärger darüber den Lesefluß.
Wenn es in der Literaturwissenschaft eine Richtung gäbe, die das Drachenbild in der Phantastik erforscht, würde der Roman Barbara Hamblys allerdings einige interessante Aspekte zur Vervollständigung dieses Bildes geliefert haben. Sie geht darauf ein, was Gold für Drachen bedeutet, warum man einem Drachen nicht in die Augen sehen darf und was es mit dem wahren Namen dieser hübschen Wesen auf sich hat. Vielleicht ähneln ihre Begründungen ein wenig sehr denen von Ursula K. LeGuin in "Erdsee", aber irgendwer mußte das ja erstmalig schreiben, damit es Allgemeingut der Fantasy werden konnte.
An der Übersetzung von Andreas Brandhorst gibt es wie immer nichts auszusetzen, und auch das Titelbild von Michael Whelan (vom "Inkarnationen"-Zyklus bekannt) trifft voll ins Schwarze des schwarzen Drachen.

SX 28


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