Ben Bova: Mars
Ben
Bova: Mars
(New English Library, 1992, 567 Seiten, £ 5.99)
Arthur C. Clarke sagte, dies sei Ben Bovas wichtigstes Buch, und Orson
Scott Card meinte, das sei es, wozu Science Fiction in erster Linie existieren
würde. Tatsächlich ist "Mars" ein bemerkenswerter Roman, ein
Buch, das zu vielfältigen Überlegungen anregen kann.
Das Buch handelt in relativ naher Zukunft, vielleicht trennen uns nur
25 Jahre von den Ereignissen. Einmal abgesehen von dem Umstand, daß
auf Grund der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Lage
in der Welt die Handlung zu diesem Zeitpunkt wohl kaum Realität werden
wird - es könnte so sein. Thema ist der erste Marsflug, ein Projekt,
das im letzten Jahrzehnt immer wieder in der Diskussion war, im Augenblick
jedoch wenig Chancen eingeräumt bekommt. Jedenfalls für den nächstmöglichen
Zeitpunkt.
Eine enorme internationale Anstrengung und viele Milliarden Dollar
sind nötig, um Ben Bovas Helden zum Mars zu schicken. Spiritus rector
des Ganzen ist ein Brasilianer namens Brumado, der praktisch sein Leben
der Initierung und Vorbereitung des Fluges zum Mars widmet. Dieser Persönlichkeit
gelingt es - in der Vergangenheit der Romanhandlung - die Leute zu überzeugen,
daß sie etwas vom Mars hätten, auf die es wirklich ankommt:
die Politiker. Wären Politiker Vernunftgründen zugänglich,
so könnte man sich ein solches Szenario durchaus vorstellen. Eine
praktisch globale Anstrengung, die nicht nur die neue, friedliche Zusammenarbeit
fördert, sondern auch einen enormen Technologieschub bewirkt. Am Ende
steht der Flug zum Mars: russische Hardware, japanische Elektronik und
amerikanische Software - so ähnlich wird die hauptsächliche Beteiligung
der Partner zusammengefaßt. Ben Bova geht dabei noch von einem starken
Rußland aus, einer Art russischen Föderation, die ihr Raumfahrtprogramm
weiterbetrieben hat (er spricht von MIR 5 usw.), was ja heute nicht sehr
wahrscheinlich erscheint.
Um die Besatzung gibt es natürlich eine Menge politisches Gerangel.
Amerikaner und Russen stellen die technische Besatzung, Vertreter anderer
Nationen das wissenschaftliche Team. Insgesamt fliegen 25 Männer und
Frauen in zwei Raumschiffen. Die Hälfte von ihnen landet auf dem Mars.
Die Hauptperson des Romans ist James (Jamie) Waterman, ein Halbindianer
und Geologe, der als Ersatz in letzter Minute einspringen mußte und
sich daher ein wenig als Außenseiter sieht. Aus seiner Sicht wird
die Marshandlung geschildert, ein paar andere Personen wie Brumado auf
der Erde führen weitere Handlungsstränge fort.
Der Roman ist in verschiedene Zeit- und Handlungsebenen gegliedert.
Obwohl er mit der unmittelbaren Landung beginnt, wird auch in Rückblenden
über die Vorbereitung und den Flug selbst berichtet, außerdem
wechselt die Erzählebene immer wieder zur Erde. Zusätzlich dazu
sind einige kurze Kapitel eingeschoben, die sehr mysteriös anmuten.
Im Stile alter indianischer Legenden erzählt, berichten sie jedoch
von Dingen, die gar nichts mit den Indianern zu tun haben können.
Waterman entwickelt sich vom Außenseiter zum de facto wissenschaftlichen
Leiter des Bodenteams. Er ist eine Art Querdenker, der unkonventionell
das durchsetzt, was er für richtig ansieht. Gleich nach der Landung
verursacht er einen Skandal zu Hause auf der Erde, weil er nicht seine
vorbereiteten Worte aufsagt, sondern einen traditionellen indianischen
Gruß. Als er später in einem Marscanyon von weitem eigenartige
Gebilde sieht, setzt er schließlich die Erforschung des Canyons durch.
Sie kommen zwar nicht bis zu den als "Dorf" bezeichneten Formen durch,
finden aber in der Tiefe des gigantischen Tales Leben - eine Art Algenbewuchs.
Nachdem das gesamte Bodenteam fast durch eine Vergiftung draufgegangen
wäre, geht noch einmal alles gut und das Buch schließt mit einem
Quasi-Appell für die Erforschung des Mars. Soweit zum Inhalt.
Der Realismus Ben Bovas ist erstaunlich. Ob es die technische Seite
des Unternehmens ist, die unaufdringlich dargeboten wird, oder die politischen
Schwierigkeiten auf der Erde, alles ist sehr gut vorstellbar. Die kleinlichen
Auseinandersetzungen zu Hause - während die Leute auf dem Mars in
Gefahr schweben - sind derart gut vorstellbar, daß es schon deprimierend
ist. Typisch amerikanischer Unfug mit verordneten Mediensperren, machtgierigen
Politikern, die nur an ihre nächste Wahl denken, und sensationslüsternen
Presseleuten. Ben Bova stellt seine Meinung zu einem eventuellen weiblichen
Vize-Präsidenten sehr deutlich dar: "schrille Lehrerin". Eine hysterische,
ignorante Ziege, die nichts anderes im Kopf hat, als Präsidentin zu
werden, muß als Beispielpolitiker(in) herhalten.
Aus Watermans indianischem Gruß wird rasch ein Politikum gemacht,
und sehr bald ist für die Leute des Marsprojektes auf der Erde fast
nicht mehr wichtig, was auf dem Mars tatsächlich geschieht, es geht
nur noch darum, die Fortsetzung der Erforschung des Nachbarplaneten zu
sichern. Auch hier sagt Bova seine Meinung deutlich, indem er sich auf
das "ermordete" Apollo-Projekt bezieht. Der Mars darf - wenn er in der
Realität je angesteuert wird - kein politisches Prestigeprojekt mit
Kostenminimierung werden, das man dann auch einfach abdreht.
Auch wenn es um die Beschreibung der Szenerie auf dem Mars geht, nutzt
Ben Bova alles, was die heutige Wissenschaft zum Thema zu bieten hat. Man
kann praktisch den Weg der Expedition auf einer Marskarte verfolgen. Die
Darstellung von Farben und Formen, der riesigen Canyons oder Vulkankegel
ist derart genau, daß man meint, die Marsoberfläche vor sich
zu sehen.
Der Autor verzichtete darauf, seine Helden ohne Pause spektakuläre
Entdeckungen machen zu lassen, versunkene Marszivilsationen vor dem Frühstück
auszubuddeln und die degenerierten Nachkommen der Marsianer als Schoßtierchen
einzufangen. Nichts dergleichen. Was Ben Bova schildert, ist genau das,
was eine erste Marsexpedition wohl mehr oder weniger machen könnte.
Harte, gefahrvolle Arbeit - aber auch das pure Abenteuer, auf einem fremden
Planten zu sein. Der Umstand, daß tatsächlich Leben im Vallis
Marineris entdeckt wird - was das "Dorf" darstellt, bleibt ungeklärt
- ist kein Zugeständnis Bovas an dieses Klischee, sondern zeigt einfach
noch einmal auf, was es eigentlich ist, was die Menschheit sich vom Mars
erhofft. Man kann den Roman insgesamt als einen Aufruf werten, ein Erinnern
aller, die das Träumen vom Marsflug schon fast wieder aufgegeben haben,
daran, was möglich wäre. In diesem Zusammenhang muß man
auch das Ende des Buches sehen, das geprägt ist vom Zusammengewachsensein
des Teams, von Heldentum und Optimismus.
"Mars", das ist mit Sicherheit ein Buch zur rechten Zeit, kompetent
und fast ohne Schnörkel geschrieben: glaubwürdig.
SX 49
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