C. J. Cherryh: Chanurs Legat
C. J. Cherryh: Chanurs Legat
(Heyne 06/5126)
Nicht nur einfach ein "neuer Roman des Chanur-Zyklus" ist das, sondern
der Auftakt zum Späten Chanur-Zyklus, der neuen Generation! Was für
eine Freude.
Frau Cherryh schreibt ja größtenteils SF-Zyklen, den Fantasy-Zyklus
"Tore ins Chaos" (Morgaine-Zyklus) kann man getrost vergessen. Und ihre
SF-Zyklen spielen zumeist in einem Universum, sind also eigentlich
ein einziges Gesamtwerk. Der hauptsächlich als der Pell-Zyklus bekannte
Teil handelt aus der Sicht der Menschen im menschlichen Teil der Galaxis,
und im Chanur-Zyklus sind verschiedene Arten von Aliens in ihrem Bereich
die Handlungsträger. Verbunden ist das alles nur lose, durch Andeutungen
und den pseudowissenschaftlichen Hintergrund - also die Methoden der Raumfahrt,
die technischen Details. Man müßte alles wirklich sehr aufmerksam
noch einmal lesen, um auf die entscheidenden Stellen verweisen zu können.
Im Chanur-Zyklus taucht ein Mensch auf, den es in den Raum des "Paktes"
verschlagen hat. Dieser Mann namens Tully spielt zwar eine große
Rolle, die handelnden Hauptpersonen sind aber katzenartige Wesen, die Hani,
genauer gesagt deren Clan der Chanur. Selbst erst relativ jung als raumfahrende
Rasse, haben sie so ihre Probleme, die durch den Menschen an Bord nur noch
komplizierter werden. In der Heimat häufen sich überdies die
Stimmen der erzkonservativen "Alten Frauen", die gegen Raumfahrt und Kontakte
mit Fremden an sich sind. Ja, bei den Hani spielen die Frauen die Hauptrolle,
den männlichen Hani kommt kaum Bedeutung zu, bzw. eine völlig
andere. Dazu später mehr.
Aber das war ja der alte Zyklus. Ich möchte ihn hier nicht noch
einmal nacherzählen. Wer ihn noch nicht kennt, und Cherryhs Pell-Universum
mag, der sollte darüber nachdenken, sich die Bücher noch irgendwoher
zu beschaffen. Man versteht sicher auch vieles im neuen Buch besser, wenn
man die Vorgeschichte kennt, aber es ist nicht unbedingt erforderlich.
Im Text sind viele Erinnerungen und Andeutungen eingestreut, die das Verständnis
erleichtern.
Hilfy Chanur, eine der Hauptgestalten des ersten Zyklus und die Nichte
der Pyanfar Chanur, die dort eine überragende Rolle spielte, ist die
zentrale Figur dieses Buches. Auf ihrem eigenen Schiff fliegend, versucht
sie nun Handel zu treiben und gleichzeitig dem Dunstkreis ihrer Tante zu
entfliehen, die inzwischen fast so etwas wie eine Herrscherin des bekannten
Weltraumes geworden ist. (Nicht ganz, aber zumindest eine sehr wichtige
Person.) Ein Alien der Rasse der stsho bietet ihr ein Geschäft
an, mit dem sie eine Million verdienen könnte. Es geht nur darum,
einen gewissen Gegenstand an einen bestimmten Ort zu bringen. Natürlich
stellt sich später heraus, daß das beileibe nicht alles ist.
Schon der viele hundert Seiten starke Vertragstext hätte Hilfy stutzig
werden lassen müssen, aber sie nimmt dennoch an.
Was sich daraus entwickelt, ist eine gefährliche Fahrt von Stern
zu Stern, dicht umwoben von einem Gespinst aus politischen Intrigen und
hintergründigen Machtkämpfen zwischen und innerhalb der verschiedenen
Rassen. An Bord des Schiffes - der "Chanurs Legat" - kommt es zu zusätzlichen
Schwierigkeiten, weil man (ähem, frau) einen männlichen Hani
aufgenommen hat, der von einer anderen Crew auf einer Station zurückgelassen
wurde. Es tauchen alte Bekannte aus dem ersten Zyklus auf, wie die Kif
und Mahendo'sat, auch ganz bestimmte Personen. Über allem schwebt
wie ein Schatten die Gegenwart der geheimnisvollen Tante Pyanfar.
Wie immer in Cherryhs Romanen ist das alles für den Leser nicht
leicht durchschaubar. Die interstellare Politik zwischen verschiedenen,
sich nicht unbedingt in Liebe zugetanen Rassen kann gar nicht anders sein
als sehr kompliziert. Das kommt immer wieder deutlich und überzeugend
zum Ausdruck. Andererseits demonstriert die Autorin aber auch an ihren
Protagonisten, daß eine Verständigung trotz aller Differenzen
möglich ist, wenn die Individuen nur aufeinander zugehen und so zu
denken versuchen wie der andere.
Vor allem die Darstellung der verschiedenen Wesen und ihres kulturellen
Hintergrundes ist für mich immer wieder reizvoll. Cherryh versteht
es, jedes ihrer Aliens in eine eigene, fremdartige Kultur einzubetten,
die dann Schritt für Schritt enthüllt und mit den Verhaltensweisen
der Personen in Beziehung gesetzt wird. Platz für Geheimnisse und
ungelöste Rätsel bleibt dabei natürlich auch. Das Denken
und Handeln der verschiedenen Wesen ist durchaus an mancher Stelle nichtmenschlich,
fast so sehr, daß man bestimmte Dinge gar nicht mehr nachvollziehen
kann. Zum Beispiel bleibt die Rolle der immer mal wieder auftauchenden
Tc'a, einer methanatmenden Spezies, vor der alle eine Heidenangst haben,
sehr mysteriös. Vielleich behält sich die Autorin vor, dieses
Rätsel später einmal zum zentralen Gegenstand eines neuen Romanes
zu machen. Auch die Beziehung zum Menschenraum wird hier noch nicht weiter
ausgebaut, obwohl aus Andeutungen zu entnehmen ist, daß Pyanfar noch
immer Kontakte unterhält.
Im vorliegenden Buch geht es noch nicht so hart zu wie in denen des
ersten Zyklus'. Die auftretenden Konflikte sind subtiler, die Machtkonstellationen
haben sich geändert. Am Ende zeigt sich ein etwas seltsames Bild:
zusammen mit den alten Erzfeinden, den Kif, stehen die Chanur auf Wacht
für den Frieden im Pakt. Ihre Gegner sind u.a. offenbar auch andere
Hani, auch der Han, die konservative und isolationistische Regierung des
Heimatplaneten. Einem wesentlichen Ziel Pyanfars und nun auch Hilfy Chanurs
sind sie noch nicht viel näher gekommen: In der Heimat das starre
System überholter Sitten und Bräuche umzustoßen, das zu
einer geradezu barbarischen Lebensweise zwingt.
Letzteres lohnt eine etwas nähere Betrachtung. In der Gesellschaft
der Hani, die physiologisch eine Art Raubkatzen darstellen, sind die weiblichen
Vertreter dominant, wenn es um Intelligenz, Wissenschaft und Politik geht.
Die männlichen Jugendlichen werden von ihren Vätern regelmäßig
in die Wildnis gejagt, wo sie im Kampf gegeneinander überleben müssen.
Fühlt sich so ein Muskelprotz dann stark genug, fordert er einen Clanlord
heraus, um möglichst dessen Stelle einzunehmen. Seit Jahrtausenden
züchteten sich auf diese Weise die männlichen Hani sozusagen
die schöpferische Intelligenz ab. Die Frauen denken in der Regel verächtlich
von ihnen, die nur zu zwei Dingen taugen - kämpfen und Kinder machen.
Es ist eine Art Umkehrung des Frauenbildes unserer Welt, was die Autorin
hier schafft, allerdings nicht so banal, daß nun die Männer
Schwächlinge an Kochtopf, Kinderbett und Kirche sind (wie es die CDU
für die Frauen gerne sähe), sondern indem sie ihnen eine typisch
männliche Rolle zuweist, die dennoch für die Gesellschaft völlig
irrelevant und untergeordnet ist. Ein interesanter Aspekt.
Abschließend noch ein Wort zum Titel der deutschen Ausgabe. Es
ist richtig, daß "lagacy" sich auch mit Legat übersetzen läßt,
aber in der Bedeutung von Erbe, Vermächtnis. Das im Deutschen gebräuchliche
Legat ist jedoch auch ein päpstlicher Gesandter oder ein altrömischer
Unterfeldherr. Es wäre vielleicht günstiger gewesen, das Buch
und das Schiff "Chanurs Erbe" zu nennen, wie ich es der Übersetzerin
empfohlen habe.
[Chanur's Lagacy, © C. J. Cherryh 1992, übersetzt von Rosemarie Hundertmarck 1994, 510 Seiten, DM 14.90]
Der frühe Chanur-Zyklus:
Der Stolz der Chanur (06/4039) [auch als "Das Schiff der Chanur"]
Das Unternehmen der Chanur (06/4264)
Die Kif schlagen zurück (06/4401)
Die Heimkehr der Chanur (06/4402)
SX 55
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