C. J. Cherryh: Foreigner & Invader

C. J. Cherryh: Foreigner & Invader
(DAW Books 1994/95)

Die beiden Bücher sind für April bei Heyne angekündigt, als "Fremdling" und "Eroberer" - mitsamt den sehr schönen Titelbildern von Michael Whelan. Vorab habe ich mir die Sache schon mal für Euch durchgelesen.

Foreigner:
Durch einen Fehler des Piloten oder einen technischen Defekt, das wird nie ganz klar, kommt das irdische Kolonie-Raumschiff "Phönix" völlig vom Kurs ab. Man ist nicht einmal mehr in der Lage, auch nur einen bekannten Stern zu identifizieren. Nach allem, was die Menschen wissen, mögen sie in einer anderen Galaxie sein. Nach einer notdürftigen Reparatur und dem lebensgefährlichen Auftanken in der Strahlungshölle eines Doppelsternsystems schafft es die Phönix bis in das System des nächsten G5-Sterns (sonnenähnlich). Aber auf dem Planeten, von dem man sich eine Landemöglichkeit erhofft, leben schon die Atevi...
Trotzdem sind die Menschen schließlich zur Landung gezwungen, wenn auch erst nach langer Zeit in einer von ihnen gebauten Orbitalstation. Während die Gilde der Piloten, also die eigentliche Besatzung der "Phönix", weiterfliegen will, um einen unbewohnten Planeten zu finden, neigen die anderen dazu, den Kontakt mit den Einwohnern herzustellen. Dann zwingt das zunehmende Versagen der Station zur Landung, während die "Phönix" irgendwo unterwegs ist.
Diese Vorgeschichte wird am Anfang nur in zwei recht kurzen Kapiteln erzählt, was ziemlich verwirrend ist. Erst danach beginnt die eigentliche Handlung, auf die man sich endlich einstellen kann. Und zwar hunderte Jahre nach dem ersten Kontakt mit den Atevi!
Wie der Leser erfährt, gab es einen Krieg zwischen den Menschen und den Atevi, der damit endete, daß die Menschen (inzwischen einige Millionen) auf einer Insel leben dürfen und den Atevi zum Ausgleich ihre Technologie vermitteln. Letzteres ist die Aufgabe eines einzigen Menschen, der am Hofe des einflußreichsten lokalen Fürsten als eine Art Botschafter lebt. Nur er darf überhaupt unter den Atevi sein.
Das Problem zwischen den beiden Rassen, das auch den Krieg verursachte, ist nicht etwa eine große äußerliche Unterschiedlichkeit. Die Atevi sind größer, stärker und dunkelhäutiger als Menschen, aber ihnen sonst sehr ähnlich. Der Unterschied liegt im Inneren. Sehr grob ausgedrückt, sind die Atevi rein biologisch nicht dazu in der Lage, Vorstellungen wie Freundschaft und Liebe zu begreifen - nicht einmal auf abstrakte Weise. Ihre sozialen Beziehungen untereinander sind wiederum den Menschen größtenteils unverständlich. Bezeichnend für ihre Gesellschaft ist, daß der sanktionierte und angemeldete Mord eine der Grundlagen ihres Rechtssystems ist, bis hinein in die Politik zwischen größeren Assoziationen (Staaten in dem Sinne gibt es auch nicht).
Cherryh schafft es wieder einmal, eine absolut überzeugende fremde Kultur aufzubauen. Sie ist enorm konsequent, und wenn sie behauptet, die Atevi können diese speziellen Dinge nicht begreifen, dann können sie es auch nicht. Ohne die Ausnahme, die andere Autoren gern zulassen, um schließlich doch eine Verständigungsbasis zu finden. Das Fesselnde ist hier ja gerade, wie der "Botschafter" Bren Cameron es fertigbringt - oder auch nicht - trotzdem etwas zu erreichen. Natürlich bleibt die Autorin nicht bei dem einen Detail stehen. Sie entwickelt durch das gesamte Buch hindurch mit dem Erleben Brens ein Bild der Atevi-Kultur auf der einen Seite, und der Einflüsse der Menschen, die über Generationen hinweg gezielt Technologie weitergegeben haben, auf der anderen.
Auch lange nach dem Krieg schwelen noch Konflikte, und plötzlich sieht sich Bren mit einer Situation konfrontiert, die zunehmend seiner Kontrolle entgleitet. Ein Mordanschlag wird auf ihn verübt, der Führer der Assoziation schickt ihn unversehens tief ins Inland, wo noch nie ein Mensch war... und vieles mehr.
Cameron ist allein unter Wesen, die er zu verstehen glaubte, und die doch völlig fremd für ihn geblieben sind. Er ringt unter äußerstem Druck geradezu qualvoll darum, ihre Motive zu begreifen oder ihnen die seinen zu vermitteln. Doch er schafft es nicht. Die Handlung reißt ihn als beinahe passive Figur mit, ohne daß er sich wehren kann. Hilflos ausgeliefert ist er den politischen Intrigen einer Rasse, die vierzehn Begriffe für "Verrat" kennt, doch kein einziges Wort für "Liebe".
Natürlich ist das wieder einmal typisch Cherryh. Wie ich schon oft die Gelegenheit hatte, anzumerken, gehen ihre Helden und Heldinnen fast immer durch eine Hölle des Ausgeliefertseins, sind sie Spielball von Mächten, deren wirkliche Motive sie nicht ergründen können. Dennoch wiederholt sich die Autorin nicht, zumindest nicht in erkennbaren Details. Mancher mag bei diesem Buch an die Trilogie der Sterbenden Sonnen erinnert werden, doch die Ähnlichkeit beschränkt sich auf die Figur des einsamen menschlichen Helden unter der fremden Rasse und ist wirklich sehr weit gefaßt. Mich erinnerte einiges am Verhältnis des Protagonisten zu seinen Atevi-Gegenübern an LeGuins "Winterplanet". Auch dort gab es bestimmte soziale Schlüsselbegriffe, an denen eine Kultur orientiert war, und die der Protagonist kaum adäquat übersetzen oder verständlich machen konnte.
Auch typisch für die Schreibweise von Cherryh ist, daß sie dem Leser nichts unter die Nase reibt. Der Leser ist bei ihr der Beobachter, und die Handlung läuft einfach vor ihm ab. Nichts wird erklärt, wir sind genauso hilflos wie Bren Cameron, wir verstehen nichts... Bis zum Ende des ersten Bandes klärt sich einiges auf, aber eben nicht alles. Cameron ist in seinem Verständnis der Atevi möglicherweise einen Schritt weiter gekommen, und so ist es der Leser. Aber das ist auch alles.
Dieser Stil ist nicht einfach lesbar, das muß ich erwähnen. Aber er vermag auch jene Spannung zu erzeugen, bei der man wirklich nicht erahnen kann, wie alles ausgehen wird, und die mich bis gegen drei Uhr früh weiterlesen ließ.

Invader:
Der deutsche Titel ist falsch, denn es geht nicht um Eroberung. Leider muß ich sagen, daß auch der englische Titel nicht unbedingt hundertprozentig trifft.
Kaum aus dem Inland zurückgekehrt und von den Ärzten auf der Insel notdürftig zusammengeflickt, wird Bren Cameron wieder zu den Atevi gerufen. Erst jetzt erfährt er, was hinter den Ereignissen steckt, die ihm so viele Rätsel aufgaben. Die "Phönix" ist nach fast zweihundert Jahren zurückgekehrt und befindet sich im Orbit an der alten Raumstation der Menschen. Natürlich wittern die von Natur aus mißtrauischen Atevi Unheil.
Aber das ist noch nicht alles. Während Camerons Abwesenheit haben die Menschen eine Ersatz-Botschafterin geschickt, die nicht nur völlig unfähig zu sein scheint, sondern die Bren gegenüber auch eine feindselige Haltung einnimmt. Und sie weigert sich, auf die Insel zurückzukehren. Schon damit verletzt sie das Abkommen und Bren hat zu tun, daß sie von den Atevi nicht einfach erschossen wird.
Die weitere Handlung setzt die aus dem ersten Teil nahtlos fort. Weiter geht es mit den verzwickten politischen Intrigen auf beiden Seiten der Meerenge. Der Botschafter muß neue Erschütterungen seiner Auffassungen hinnehmen und findet doch schrittweise zu seiner Position - wenn er auch nicht in der Lage ist, sie den Atevi verbal klarzumachen. Sehr viel konzentriert sich auf Probleme der Sprache, schließlich ist er ja Übersetzer. Cherryh baut das erstaunliche Bild von einer Kultur und Rasse weiter aus, die in ihrem Verständnis der Welt ganz anders ist als die menschliche.
Es wird nicht jedem Leser gefallen, das möchte ich hier noch einmal wiederholen. Vieles entwickelt sich ausschließlich in langen Gesprächen, durch verbale Manöver, deren tieferen Sinn man nicht immer begreifen kann. Da jedoch jedes falsche Wort Camerons mißverstanden werden kann, zu einer völligen Veränderung seiner Beziehungen zu den Atevi führen kann, sind diese Gespräche gefährlicher als etwa pausenlose Schwertkämpfe. Viel mehr als einmal macht er tatsächlich Fehler, die er meistens nur daran erkennt, daß sich etwas ändert.
Außer der strukturellen Linguistik gibt es allerdings auch richtige Action. Wieder ist Cameron Zielscheibe von Attentaten, woran er sich langsam zu gewöhnen scheint. Und am Ende, als die zwei Botschafter der "Phönix" in ihrer Kapsel wie zu Apollos Zeiten landen, steht alles auf der Kippe. Feuergefechte, Ritte durch brennenden Wald und die Frage, ob die beiden Raumfahrer überleben werden. Spannung bis zu Schluß.

Apropos Schluß. Der kommt noch, nämlich in "Inheritor" (Erbe), als Hardcover im April '96 erschienen und vielleicht auch bald als Taschenbuch bei DAW und Heyne zu haben.
Achtet auf die neuen von Cherryh! Es lohnt sich.

Foreigner, 428 Seiten, $ 5.99, Invader, 462 Seiten, $ 5.99, beide mit Glossar

SX 84

 

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