C. J. Cherryh: Höllenfeuer
C.
J. Cherryh: Höllenfeuer
(Heyne 06/5062)
"Wir sind in den Händen von Wahnsinnigen."
"Von Kapitalisten. Das ist viel schlimmer."
Mit diesem Roman setzte also Frau Cherryh ihren "Pell-Zyklus" fort,
der nun, nach seiner allmählichen Ausweitung, vom Verlag ein wenig
zutreffender als "Die Company-Kriege" bezeichnet wird. Das Buch ist die
direkte Fortsetzung des erst kürzlich erschienenen "Schwerkraftzeit"
und führt die Erlebnisse einiger (der überlebenden) Hauptpersonen
weiter, vor allem von Paul Dekker.
Zeitlich gesehen liegt es damit ganz am Anfang der erwähnten Kriege
zwischen der Erde, eigentlich der allmächtigen Erd Company, und der
Union um Cyteen. Technisch gesehen dreht sich die Handlung um die Erprobung
der ersten "Huckepack-Schiffe", einer Art Jäger, die bei Bedarf von
den großen Kampfschiffen ausgesetzt werden können. Inhaltlich
gesehen handelt es sich um eine harte Abrechnung mit Politik und profitorientierter
Wirtschaft der Supermonopole, wie das oben angeführte Zitat von Seite
447 am besten belegt.
Das Buch hat ein paar gravierende Nachteile für den gelegentlichen
Leser. Jemand, der das Pell-Universum und die Hintergründe nicht kennt,
wird es vermutlich überhaupt nicht verstehen. Es ist ein typisches
Zyklenbuch, das unbedingt auf der Bekanntheit seiner Vorgänger aufbaut
- paradoxerweise auf Büchern, deren Handlung in der Realzeit viel
später erfolgt. Namen wie z.B. Mazian bleiben ohne Kenntnis von dessen
Rolle im späteren Verlauf des Krieges bedeutungslos. Die Erwähnung
der Azis von Cyteen oder vom Emory wird nicht verstanden werden, wenn man
nicht wenigstens die Cyteen-Trilogie kennt. Und schließlich greift
die Autorin natürlich wieder auf ihr bekanntes Reservoir an Technik
zurück. Sie macht sich nicht die Mühe, allzuviel zu erklären
- genaugenommen erklärt sie von diesem Aspekt gar nichts.
Wenn man andererseits aber mit dem Zyklus vertraut ist, sieht das alles
schon ganz anders aus. Dann hat man unverhoffte Wiedererkennungsmomente
und empfindet die technische Seite der Handlung komischerweise als Erklärung
für die Lücken etlicher anderer Bücher.
Einmal abgesehen davon, daß das Buch Lücken in der Future
History der Frau Cherryh schließt, wendet es sich in einem ungewöhnlich
starkem Maße Fragen der Politik der Zukunft zu, die uns gar nicht
so fremd erscheinen dürften. Zwar haben die Parteien und Gruppen im
Jahre 2324 andere Namen, aber die Probleme und Rivalitäten sind von
der heutigen Zeit nicht so verschieden. Cherryh weist eindringlich auf
die Verflechtung von Politik und Wirtschaft hin, die viele von unseren
Zeitgenossen nicht wahrhaben oder lieber verdrängen wollen. In allen
ihren Büchern sind die Helden einer unmenschlichen, manchmal unvorstellbar
grausamen Politik und Gesellschaft ausgesetzt, sie werden rücksichtslos
ge- und mißbraucht und nicht selten dann weggeworfen. In "Höllenfeuer"
nennt sie das Ding meiner Meinung nach deutlicher beim Namen als früher.
Die Helden sind nicht unbedingt normale Menschen. Dekker ist sogar
mehr als nur ein bißchen verrückt, was von seinen Erlebnissen
herrührt. Manchmal ging mir sein Gehabe ein wenig auf die Nerven,
er ist eine recht überzeichnete Figur, die dadurch allerdings einen
Effekt der Eindringlichkeit erreicht. Ben Pollards Charakter hat sich vom
ziemlichen Fiesling des "Schwerkraftzeit" zu einem positiveren gewandelt,
vielleicht weil der positive Held jenes Buches tot ist.
Ich habe bei Cherryh manchmal Schwierigkeiten, die Motivation der Figuren
nachzuvollziehen oder den Sinn bestimmter Ereignisse zu entdecken. Man
muß aber sagen, daß das meiste sich dann doch noch irgendwann
ergibt. Dieser Stil mit streckenweise sogar undurchschaubaren Dialogen
ist gewöhnungsbedürftig. Die Härte, mit der die Helden durch
die Mangel gedreht werden, mag auch nicht jedem Leser gefallen. Rücksichtslosigkeit
hier, sturer Bürokratismus da, Manipulationen und Lügen zuhauf.
Und irgendwie habe ich dabei immer das unbehagliche Gefühl des Realismus.
Das alles ist so nachvollziehbar und plausibel, daß man meint, genauso
könnte es kommen. Eine Welt, wie sie Frau Cherryh uns androht, könnte
es geben - nicht mit der Raumfahrttechnik, aber mit der Art von Gesellschaft.
Ich weiß nicht, ob ich es schon einmal hervorgehoben habe, aber
ich halte es für eine sehr interessante Besonderheit des "Pell/Company-Zyklus'",
daß mit der Zeit beide Seiten des Konfliktes sehr ausführlich
und geradezu unparteiisch dargestellt wurden. Vor allem in den letzten
beiden Büchern kam klar zum Ausdruck, daß der interstellare
Krieg eigentlich das Werk der Konzerne war und die Menschen auf der Erde
und im Sonnensystem gar nichts damit zu tun haben wollten. In den von der
anderen Seite geschilderten Handlungen z.B. im Cyteen-Zyklus sah es auch
nicht so aus, als wollte die Union Krieg um jeden Preis führen. Wer
sind nun also die Guten und die Bösen? Und wenn es keiner wollte,
warum kam es zum Krieg?
Ich glaube, Cherryh hat bewußt dem Leser die Entscheidung darüber
überlassen, welche Lebensweise und Geisteshaltung moralisch mit "gut"
oder "schlecht" bewertet werden kann. Letztlich muß man wohl zu dem
Schluß kommen, daß die Züchtung von Menschen in Bruttanks
zum Zwecke einer Art Sklavenhaltung, wie sie die Union betreibt, nicht
das Wahre sein kann. (Wenn man ein paar der anderen Bücher liest,
ist man sich dessen dann schon wieder nicht so sicher.) Aber auch die Erd
Company und ihre Raumflotte gewinnen nicht gerade die Sympathien. Es sind
die "kleinen Leute" auf beiden Seiten, welche die Helden der meisten
Romane darstellen, unabhängig von der großen Politik.
Was die zweite Frage angeht, so widerspiegelt sich in der Antwort eine
recht düstere Grundhaltung. In "Höllenfeuer" wird immer wieder
eine Friedensbewegung erwähnt, doch nur am Rande und man weiß
ja schon, daß es keinen Frieden geben wird. Die Hilflosigkeit, mit
der große Teile, eigentlich der größte Teil, der Menschheit
den Interessen der "Wahnsinnigen / Kapitalisten" ausgeliefert sind, führt
mich wieder zur Gegenwärtigkeit, zum Realismus. Denn natürlich
ist es jetzt schon so. Wer fragt uns denn? Entscheidungen werden in unserem
Namen und über uns gefällt, denn wir haben sie ja gewählt.
Daß diese scheinbar ach so demokratischen Wahlen nur eine gigantische
Manipulationskampagne sind, wird man 1994 sicher vielfältig miterleben
können. Schon der Begriff "Superwahljahr" - als ob Wahlen etwas bewirken
oder ändern könnten!
Aber ich irre vom Thema ab.
Erwähnenswert ist noch, daß die Autorin mit der Zeit geht
und Elemente des Cyberspace in ihren Roman eingebaut hat. Es ist oft von
Virtueller Realität und Künstlicher Intelligenz die Rede, aber
nicht zum Selbstzweck oder weil es gerade in ist, sondern einfach als technische
Innovation, die durchaus überzeugend wirkt. Auch hier wird nichts
erklärt, sondern einfach verwendet.
Es mag in den Büchern Cherryhs kritikwürdige Einzelheiten
geben, als Zyklus ist ihr Werk dennoch interessant und sehr weiträumig
angelegt. Möglicherweise schleift sie ihren Helden Dekker noch durch
den eigentlichen Ausbruch des Krieges und macht eine Trilogie daraus, vielleicht
läßt sie es aber auch. Man kann sicher noch ein paar Stellen
in dieser Welt finden, in die ein oder zwei Bücher hineinpassen, ohne
unbedingt zu langweilen. Aber wie zu Anfang gesagt, das Ganze taugt nur
für Leute, die sich mit dem Zyklus auch auskennen.
Eine Idee wäre es immerhin, die Handlung mal zeitlich zu ordnen
und alles noch einmal zu lesen. Aber wer hat schon so viel Zeit?
[Hellburner, C. J. Cherryh 1992, übersetzt von Rosemarie Hundertmarck 1993, 509 Seiten, DM 16,90]
SX 46
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