C. J. Cherryh: Rusalka

C. J. Cherryh: Rusalka
(Del Rey 1989, 342 Seiten, $ 5.99)


"Rusalka" ist der Auftakt zu einer Fantasy-Trilogie, die im vorchristlichen Rußland handelt, oder jedenfalls irgendwo nördlich von Kiew in irgendeiner fernen Vergangenheit. Das Christentum gibt es (zum Glück) noch nicht, stattdessen werden allerlei Naturgötter verehrt. Ein recht ungewöhnlicher Schauplatz für eine Science Fiction und Fantasy-Autorin. Der erste Teil wird fortgesetzt mit "Chernevog" und "Yvgenie", die hier zu gegebener Zeit ebenfalls besprochen werden sollen.
Eine Rusalka ist laut Cherryh in der russischen Folklore der Geist eines ermordeten Mädchens, das Rache sucht, aber auch nicht davor zurückschreckt, sich die Kraft zum Weiterexistieren von unschuldigen Menschen, Tieren und Pflanzen zu holen, die dabei natürlich draufgehen. Das scheint recht frei interpretiert, denn im "Illustriertes Lexikon der Mythologie" (Parkland 1993 [1874]) steht dazu:
»Russalki (Slav. M.), Wassernymphen, in Bächen, Flüssen und Seen wohnend, von überirdischer Schönheit...« Und das einzige Problem, das man mit ihnen haben kann, ist, daß man später keine irdische Frau mehr schön findet.
Aber zurück zum Buch. Schon das Coverbild von Keith Parkinson läßt hintersibirische Rußlandstimmung aufkommen. Der Inhalt besteht dann auch größtenteils darin, daß die Helden durch endlose, kalte, menschenleere Wälder irren, von einer eisigen Schlammpfütze in die nächste stolpern usw. Aha, werden jetzt einige sagen, das ist die Cherryh, wie wir sie kennen und fürchten! Bei ihr ist eines immer garantiert: Ihre Helden werden durch ein Labyrinth des Leidens geschleift, so daß man die Bücher fast in die Horror-Ecke stellen möchte, wenn sie nicht sonst reine SF oder Fantasy wären. So geht es auch im ersten Teil der interessanten Trilogie zu. Und natürlich kann man für den Rest erwarten, daß die gute Autorin sich noch mehr Schrecken ausdenkt.
Es geht vor allem um zwei Hauptpersonen. Zunächst ist da Sasha Misurov, ein verwaister Stalljunge, bei seinem Onkel lebend. Alle Welt meidet ihn mehr oder weniger, weil er angeblich das Unglück anzieht. U.a. sind seine Eltern beim Brand ihres Hauses umgekommen. Der Leser merkt aber bald, daß es nicht Unglück ist, was den Jungen umgibt, sondern er scheint eine natürliche Begabung für eine Art Magie zu haben. Wenn er sich etwas fest wünscht, passiert auch etwas. Allerdings meist nicht das, was er will. Deshalb hat er sich eine strenge Selbstdisziplin auferlegt und wünscht kaum jemals etwas, da er weiß, daß immer Nebeneffekte auftreten, die einen kleinen Wunsch zur Katastrophe werden lassen können. Der andere ist Pyetr Kochevikov, ein junger Mann, der sich mit einer Reihe von jungen Nichtstuern aus besseren Familien umgibt, die er für seine Freunde hält. Als er jedoch beim Ehebruch erwischt, verwundet und der Hexerei bezichtigt wird - der greisenhafte Ehemann stirbt an einem Herzschlag - hat er plötzlich keine Freunde mehr. Nur noch Sasha hält zu ihm, weil er ihn bewundert.
Gemeinsam fliehen die beiden in die Wälder, in eine Richtung, in die sich schon ewig keiner mehr traute. Nach langer Wanderung, während der Sashas Talent deutlich wird, finden sie am Ufer eines Flusses eine Hütte, in der Ilya Uulamets wohnt, ein Zauberer, wie sich herausstellt. Sasha bleibt nichts anderes übrig, als ihn um Hilfe zu bitten, denn Pyetr ist wegen seiner kaum behandelten Schwertwunde so gut wie hinüber.
Der Zauberer ist ein mürrischer Alter, der gerade damit beschäftigt ist, seine seit vielen Jahren verschwundene Tochter ausfindig zu machen. Da kommen ihm zwei Helfer - die man eventuell auch opfern kann - natürlich gelegen. Diese Tochter Eveshka ist die Rusalka, ein Geist, der die Wälder am Fluß heimsucht und sie in einen toten Wald verwandelt hat. Und nun hat sie es scheinbar auf die beiden Helden abgesehen.
Was weiter passiert, ist ziemlich verwickelt. Wie oft bei der Autorin herrscht zwischen den Leuten (Pyetr und Sasha ausgenommen) ein ständiges Mißtrauen, Lügen werden hin und her geschoben und überraschende Wendungen ereignen sich. Ein weiterer Zauberer, der ehemalige Schüler Uulamets namens Chernevog taucht auf und erweist sich als der eigentliche Feind. Böse und gute mystische Wesen wie Fluss-Ding, Wald-Ding usw. spielen eine Rolle, und Sasha lernt immer mehr über sein seltsames Talent.
Die Grundstimmung ist so, daß man direkt die endlosen Weiten der Wälder vor sich zu sehen glaubt, die es damals möglicherweise wirklich gegeben hat. Die auftauchenden Wesen scheinen alle aus der Folklore zu stammen, vielleicht ein wenig angepaßt wie die Rusalka. So mögen die Menschen dort vielleicht wirklich einmal die Welt um sich betrachtet haben. Wer weiß?
Am Ende wird Eveshka wieder ins Leben zurückgeholt, Pyetr liebt sie, der eine Zauberer ist tot, der andere schläft und Sasha hat sich auch zu einem Zauberer entwickelt. Um die Spannung aufrechtzuerhalten, werde ich nicht verraten, welchen Zauberer es erwischt.
Demnächst lese ich weiter. 

SX 78

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

David Gerrold: Inmitten der Unendlichkeit

Jack McDevitt: Die Küsten der Vergangenheit

Piers Anthonys Xanth