C. J. Cherryh: Schwerkraftzeit
C. J. Cherryh: Schwerkraftzeit
(Heyne 06/5017)
Auch dieser ist ein Roman des Pell-Zyklus und der nächste kommt
sogleich: "Höllenfeuer" (Hellburner) ist mit der Nummer 06/5062 bereits
angekündigt und stellt die Fortsetzung dar. Frau Cherryh weiß
ihrem schrecklichen Universum immer neue Geschichten zu schreiben. Allerdings
könnte man leicht übersehen, daß dieses Buch dazugehört,
da Pell nur am Rande erwähnt wird. Man muß sich bei Cherryh
schon ein wenig auskennen, um mitzubekommen, wie es zusammen hängt.
Das Buch handelt im Sonnensystem, genauer gesagt, in seinem Asteroidengürtel
und den ihn ausbeutenden Schiffen und Raumstationen. Der Zeitpunkt ist
auch deutlich erkennbar, es ist der Beginn der Auseinandersetzungen zwischen
der allgewaltigen Erd Company (EC) und den emanzipierten Koloniewelten
im Draußen. Die Erde läßt riesige Kriegsschiffe bauen,
jene, die uns später - oder früher, wie man's nimmt - in anderen
Teilen des Zyklus begegnen. Andererseits hat alles Angst vor dem Krieg,
der ganz deutlich von den Superkonzernen ausgeht, während die normalen
Menschen nur hilfloser Spielball undurchschaubarer Politik sind. Man sieht,
Cherryh hat fast einen Gegenwartsroman geschrieben...
Die geschilderte Weltraumtechnik der Autorin ist bemerkenswert gleichartig.
Schon beim Chanur-Zyklus fiel mir auf, daß diese Aliens genau dieselben
Riesenraumstationen mit Docks und Quartieren usw. benutzen, wie sie bei
den Menschen üblich sind. Man kann nun sagen, gerade das ist die optimale
Variante für die Raumfahrt - ok. Auch hat das System einen nicht unwesentlichen
Vorteil für den seriengierigen Leser: er (sie/es) braucht sich nicht
immer wieder an neue Technik zu gewöhnen. Denn die Raumfahrttechnik
ist in Cherryhs Büchern wirklich nicht einfach zu nennen. Im Gegenteil:
sie ist äußerst genau durchkonstruiert und in sich logisch,
ohne eine Entwicklung während der geschilderten langen Zeiträume
vermissen zu lassen. Wer sich also im Cherryh-Universum ein wenig auskennt,
weiß sofort, was sie meint, wenn sie von den Docks schreibt, von
Anlegemanövern an Stationen und all dieser Hardware. In diesem Buch
kommen noch einige weitere Spezialitäten hinzu, die sich auf die Raumfahrt
in einem System beziehen.
Morrie Bird und Ben sind zwei selbständige Erzsucher, die mit
ihrem kleinen Kahn durch den Asteroidengürtel schippern und für
die große Company Brocken markieren, die dann von anderen Schiffen
verarbeitet werden.
Eines Tages finden sie das Wrack eines anderen Erzsuchers mitsamt dem
halbverrückten Dekker darin. Sie - vor allem der skrupellose Ben -
freuen sich, denn das Schiff ist Bergungsgut und gehört nach dem Gesetz
ihnen. Die beiden bringen Dekker in die Raffineriestation zurück,
wo er den Ärzten übergeben wird.
Aber dann beginnen die Probleme erst. Zwischen der Firma und den Unabhängigen
bestehen im Augenblick scharfe Spannungen, weil die EC mit ihren Tochterfirmen
die Rechte der Erzsucher und ähnlicher Berufe weiter einschränken
will. Und nun kommt Dekker mit der Behauptung, er sei mit seiner Partnerin
nicht verunfallt, sondern ein Schiff der Gesellschaft habe sie absichtlich
gerammt!
Wer Bücher der Autorin kennt, dürfte wissen, daß sie
es liebt, ihre Helden durch die Hölle gehen zu lassen. Genau das geschieht
auch hier wieder. Es ist dabei sehr eindrucksvoll und gekonnt geschildert,
wie Dekker während seiner Verwirrtheit denkt und fühlt. Der Mann,
der nach 70 Tagen im Havarieschiff gerettet wurde, ist ein nervliches Wrack.
Er erholt sich zwar später wieder, aber in der Phase seiner geistigen
Umnachtung, Desorientierung und Angst ist er als Gestalt am beeindruckensten.
Das wird noch davon verstärkt, daß die Gesellschaft ihn als
Gefahr ansieht und zum Schweigen bringen will.
Die politischen Intrigen, die bei Cherryh nicht von wirtschaftlichen
Interessen zu trennen sind, eskalieren am Ende natürlich zu einem
aktionsreichen Schluß. Auch ihre gesellschaftlichen Hintergründe
werden nicht unbeleuchtet gelassen. Es ist wirklich eine sehr unangenehme
Welt, die uns die Autorin da prophezeit. Aber wenn wir uns umsehen in der
unseren, so unrecht scheint sie gar nicht zu haben. Was sie beschreibt,
ist ein interstellarer Imperialismus in härtester Ausprägung.
Man kann sich recht leicht vorstellen, daß so eine Gesellschaft aussehen
mag, die es schafft, die heutige unsoziale Martwirtschaft in den Weltraum
zu tragen. Nimm dir, was du kriegen kannst, solange es noch da ist - das
ist die Maxime einiger der Hauptpersonen. Sie wird für Dekker fast
der Untergang, gäbe es nicht der Erdmenschen Bird, der wohl noch so
etwas wie Ehre im Leib hat. Richtig positive Figuren gibt es bei Cherryh
ja sowieso nicht, ihre Gestalten sind immer irgendwie mit Fehlern und Schwächen
behaftet - was sie allerdings auch natürlich wirken läßt.
Die Gruppe der Hauptpersonen steht am Ende da, gebeutelt und zerschlagen,
und erhält jetzt erst Einblick in die Gründe ihres Leidens. Und
der Leser kann aufatmen, denn die meisten haben es gerade noch so geschafft.
Alles in allem ein weiterer Aspekt aus dem Cherryh-Universum, der hier
aufgegriffen und entfaltet wurde. Von der direkten Seite der Erde wurde
ja noch nicht viel geschildert, wenn ich mich recht erinnere. Bisher waren
die Protagonisten Vertreter der Siedler draußen im All, der Militärs
oder Wissenschaftler. Man darf gespannt sein, wie es mit Dekker weitergeht,
denn er wird in "Höllenfeuer" wieder auftauchen.
[Heavy Time, 1991 von C.J. Cherryh, übersetzt von Rosemarie Hundertmarck 1993, 445 Seiten, DM 14.90]
SX 42
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