Carl Amery: Das Königsprojekt

Carl Amery: Das Königsprojekt
(Heyne 4327)


In Anbetracht der ständigen Mahnungen von allen Seiten, daß man mehr deutsche SF kaufen solle, investierte ich schließlich die DM 12.80 für das in der Reihe "Top Hits der SF" neu aufgelegte Buch.
Wenn ich es nun zwischen Aldiss und Anderson ins Regal stopfe, habe ich recht gemischte Gefühle dabei. Manchmal kann man doch glauben, daß die bösen Stimmen recht haben, die da behaupten, SF der etablierten deutschen Autoren sei unlesbar. Irgendwo las ich kürzlich, daß das wohl daran liege, daß die deutschen Schriftsteller unbedingt "hohe Literatur" machen wollen und sich nicht mit Unterhaltungsliteratur zufriedengeben. Sicher hat beides seinen Leserkreis, aber der letztere dürfte größer sein und mit dem der SF-Leser mehr oder weniger übereinstimmen.
"Das Königsprojekt" beruht auf einer sehr vielversprechenden Idee. Aufbauend auf Entwürfen Leonardo da Vincis hat der Vatikan schon vor langer Zeit eine Zeitmaschine gebaut, mit der er versucht, Einfluß auf die Entwicklung des Geschehens zu nehmen. Nicht gleich die Vergangenheit ändern, das verbieten Amerys schlaue Zeitreisegesetze. Aber man kann in bestimmten Fällen von der Vergangenheit aus die Zukunft beeinflussen. Das Projekt ist natürlich top-geheim, nicht einmal der Papst weiß offiziell etwas davon.
Bei dem Projekt, das dem Buch seinen Namen gab, handelt es sich um den Versuch, die königliche Linie der Stuarts in der Gegenwart wieder auf den englischen bzw. schottischen Thron zu bringen.
Wie gesagt, sehr vielversprechend. Darum habe ich das Buch ja auch gekauft. Aber leider hatte Amery wohl etwas ganz anderes im Sinn. Einen Zeitreiseroman mit allen Konsequenzen wollte er bestimmt nicht schreiben. Was er nun wollte, das ist mir aber ein Geheimnis geblieben.
Einige etwas obskure Schotten starten am Ende tatsächlich einen Feldzug (1955) durch Schottland, wobei sie von einer paramilitärisch gedrillten Truppe bayerischer Schützenvereine unterstützt werden. Ihr Ziel ist es, einen gewissen Rupprecht von Bayern zum König zu krönen, der angeblich der letzte direkte Erbe der Stuarts ist. Zu diesem Zweck ist zuvor mit der Zeitmaschine der dazu nötige schottische Krönungsstein entwendet worden.
Klingt immer noch ganz gut, obwohl die Bayern eher zu Witzfiguren taugen als zu Königsmachern. Aber da spätestens begann ich den Faden zu verlieren. Denn der König in spe ist gar nicht dabei. Der Krönungsstein ist nicht der echte, aber der echte taucht dennoch auf. Und die ganze Truppe marschiert dann frohgemut in einen See hinein, wo sie verschwindet. Schluß.
Der letzte Abschnitt des Buches ist derart konfus, daß ich mich letztlich auf den Arm genommen vorkam. Wenn das Carl Amerys Verständnis keltischer Mystik ist, danke. Leider ist der unverständliche Schluß des Romans nicht sein einziger Fehler in meinen Augen. Der Handlung ist schon durch den vielfachen Zeitwechsel schwer zu folgen, dazu kommt noch eine große Zahl von Personen, deren Identität oft dunkel bleibt. Die Namen der Handlungsträger sind manchmal so gewählt wie die gewollt lustigen Bezeichnungen in einem Kinderbuch. Ein Amerikaner heißt z.B. Dwight Enigmatinger (enigma=Geheimnis). Was soll das? Mir kam es manchmal so vor, als hätte sich der Autor beim Schreiben nicht so recht entschließen können, was er machen wollte - humoristische SF, eine ernsthafte Zeitreisestory oder gar ein Buch über die BRD in den 50er Jahren? Viele Ansätze, die mir aber wesentlich zu ansatzhaft bleiben. Zusätzlich wurde das Lesen für mich dadurch erschwert, daß viel Latein in die Sprache eingeflochten wurde, nicht erklärte Abkürzungen auftraten und die Personen manchmal ziemlich unmotiviert handelten. Möglicherweise ist der Roman für mich auch nur deshalb schwer zu verstehen, weil ich keine Ahnung vom Vatikan, der Kirchenhierarchie, den Bayern usw. habe.
Also eine interessante Idee, die offenbar mit ganz anderen Zielsetzungen umgesetzt wurde. Mit ein wenig eindeutigeren Richtungen im Stil und Inhalt hätte es wirklich ein Top Hit werden können. So muß ich bestätigen, daß mir nichtdeutsche Autoren meist doch besser gefallen.

SX 36


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