Carl Sargent & Marc Gascoigne: Nosferatu
Carl
Sargent & Marc Gascoigne: Nosferatu
(Roc Books 1994, 287 Seiten, $ 4.99)
Das Team Sargent / Gascoigne hat wieder einen Shadowrun-Roman vorgelegt.
Er ist zwar keine direkte Fortsetzung von "Streets of Blood" (Blutige Straßen,
Heyne 5087), aber einige der dort handelnden Personen trifft der Leser
nach ein paar Jahren wieder. Man bezieht sich erinnerungshalber auf die
Ereignisse damals, fordert auch ein paar alte Schulden ein, doch dieses
Buch steht für sich allein.
Der Titel läßt leicht erahnen, um was es sich diesmal drehen
wird: Vampire. Aber natürlich ist es dann doch nicht ganz so einfach.
Der Elfenmagier Serrin Shamander ist diesmal die Hauptperson. Man versucht
ihn zu kidnappen und er flieht - was dadurch kompliziert wird, daß
sein Bild gerade auf den Titelseiten diverser Zeitungen ist, da er dem
Bürgermeister von New York das Leben rettete. Nach einigem Hin und
Her quer über den Globus nimmt er Kontakt zu ein paar alten Freunden
auf, zu dem Troll Tom, der inzwischen ein Straßenshamane geworden
ist, und zu dem brillianten Decker Michael Sutherland. In guter Shadowrunnerart
wollen sie nun den Spieß umdrehen, und die Leute aufstöbern,
die für die Anschläge auf Serrin verantwortlich sind. Als sie
herausfinden, daß überall auf der Welt nach einem bestimmten
Muster menschliche und elfische Magier verschwinden, wird alles natürlich
noch interessanter. In Südafrika begegnen sie dem seltsamen Mädchen
Kristen, das auf eine Namensliste der Opfer gestoßen ist. Alle vier
machen sich nun daran, diese Fälle aufzuklären.
Was der Leser nach einer Weile durch die Parallelhandlung erfährt,
müssen sich die armen Helden schwer erarbeiten. In Deutschland hockt
in einem Kloster der über dreihundert Jahre alte Elf Luther (!), eine
sogenannte Spike-Geburt, also noch vor der allgemeinen Goblinisierung,
dem Erwachen der Magie, als Elf geboren. Der Gute ist nicht nur ein Vampir
mit ganz besonderen Bedürfnissen, was schon schlimm genug wäre,
er plant auch noch die Vernichtung der menschlichen Rasse zugunsten der
Elfenheit. Klar, daß unsere Helden da nicht tatenlos zusehen können.
Das Buch ist wieder im typischen Shadowrun-Stil gehalten, d.h. es beginnt
als ein Durcheinander von scheinbar nicht zusammenhängenden Handlungssequenzen
mit verschiedenen Protagonisten. Das dient einerseits der raschen Einführung
relevanter Figuren (wenn sie nicht zwei Seiten später umkommen) und
andererseits dem Spannungsaufbau, denn ein erfahrener Leser weiß
natürlich inzwischen, daß praktisch nichts ohne tiefere Bedeutung
ist. Am Ende verknüpft sich dann alles zu einem Ganzen und wird im
Finale aufgelöst. Das Rätselhafte wird noch dadurch verstärkt,
daß mehrere andere Gruppen unklarer Motivation Serrin und seine Freunde
beobachten und deren Suche nach dem Nosferatu-Elf verfolgen. Bis zum Schluß
bleibt hier noch einiges im Dunkeln.
Ein weiteres Detail ist mir aufgefallen, ein Muster, das die Autoren
bereits in ihrem ersten Buch verwendeten. War es damals das indische Orkmädchen
Rani, das eine unterdrückte und mißachtete Minderheit nicht
nur der fiktiven Shadowrun-Welt verkörperte, so ist es diesmal Kristen,
ein farbiges Straßenmädchen. Nicht nur ihre Hautfarbe macht
sie zum Außenseiter, das ist seit der Goblinisierung ja nicht mehr
so wichtig, aber sie ist ein Mischling zwischen Xhosa und Kaukasier - wobei
der Xhosa-Anteil von den Zulus gar nicht gern gesehen wird. Mit den anderen
Protagonisten hat sie später in der Handlung Gelegenheit, in Zulu-Territorium
zu gehen. Die beiden Stämme sind offenbar Todfeinde. Wenn das nicht
an Dinge erinnert, die unlängst in Ruanda geschahen? Die ultimate
Dummheit dieser Kriege kann man geistig kaum noch erfassen. Daß die
ach so zivilisierten westlichen Nationen dieses Völkermorden zuließen
und erst auftauchten, als alles zu spät war, ist wieder einmal typisch
- vermutlich denkt man, das Problem der Überbevölkerung löse
sich so von selbst. Aber ich schweife vom Thema ab.
Die Darstellung der Figuren von Rani und Kristen und das Aufgreifen
anderer sozialer Probleme von heute zeichnen die beiden Autoren besonders
aus. Sie zeigen, daß es möglich ist, selbst in einer guten Action
& Detective Handlung noch ein gewisses Engagement zu behalten, ohne
daß der Stoff an Spannung verliert oder es aufgesetzt wirkt.
Erstmals wird von amerikanischen Autoren nun auch Deutschland in den
Schatten näher in die Handlung einbezogen. Nun muß H.-J. Alpers
aufpassen, daß er im Rahmen bleibt. Wäre interessant, zu wissen,
ob seine Bücher nun auch in den USA erscheinen werden. Bis auf ein
wenig Lokalkolorit halten sich die beiden Autoren allerdings in ihren Beschreibungen
recht zurück. Nur Berlin wird ein wenig genauer als eine Stadt der
Anarchie ohne jedes Gesetz dargestellt. Außerdem treibt man sich
noch in Heidelberg herum - sollte da vielleicht einer der Herren studiert
haben? Also ist das meiste noch offen für die deutschen Shadowrunner
- hoffen wir das beste für sie.
SX 55
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