C.J. Cherryh: Die Sterbenden Sonnen

Neue harte Leute
C.J. Cherryh: Die Sterbenden Sonnen
(Heyne 4763)
Rezension von Wilko Müller jr.


Cherryh bewies mit der Sonnen-Trilogie, die bei Heyne nun in einem Band neu aufgelegt wurde, daß sie sich durchaus mehrere Universen ausdenken kann. Die Handlung hat keine Verbindung zum Pell- oder Chanur-Zyklus, wenn auch Ähnlichkeiten unbestreitbar sind. Doch das ist wohl eher dem Stil der Cherryh geschuldet. Die Menschen sind auch hier eine recht kaltherzige Gattung Raumkriege führender Militärs - mit wenigen Ausnahmen. Die Entscheidungen und Handlungen von menschlichen Verantwortungsträgern sind oft ausschließlich von einer (eher inhumanen) "Weltallpolitik" diktiert, daher manchmal für einen Leser nicht leicht zu begreifen. Da Cherryh dies in ihren Zyklen oft thematisiert, kann man wohl von Absicht ausgehen. Offensichtlich hält sie an diesen Stellen gewissen heutigen gesellschaftlichen Strukturen einen Spiegel vor. Die Unsinnigkeit von Befehlen, Entschlüssen oder Aktionen erreicht manches Mal fast die Schmerzgrenze des Lesers (d.h. meine). Vielleicht, weil man das täglich in der Wirklichkeit wiederfindet?
Für die Helden der 935 Seiten ergeben sich aus dieser Methode der Autorin wieder einmal arge Probleme. Cherryh versteht es ausgezeichnet, ihre Protagonisten durch eine Kette schier unerträglichen Leidens zu schicken, an der sie fast zerbrechen. Und immer wird dieses Leid ihnen von anderen zugefügt, nicht etwa von der natürlichen und feindlichen Umwelt. Cherryh schreibt keine Robinson-Geschichten, sie weiß, wer der schlimmste Feind des Menschen wirklich ist.
Der Hauptheld der Trilogie ist ein Mensch, Sten Duncan mit Namen, Mitglied der taktischen Oberflächentruppen und Einzelkämpfer. Neben diesem gibt es noch eine Reihe weiterer Handlungsträger, von denen der Mri Niun der wichtigste ist. Die Mri sind die Fremen Cherryhs. Sie tragen die Kleidung von Beduinen, denn die Welten der Handlung, Kesrith und Kutath, sind Wüstenplaneten. (Eigenartig, wie sehr Schriftsteller von den "Söhnen der Wüste" fasziniert zu sein scheinen. Sie tauchen immer wieder in der einen oder anderen Gestalt auf.) Oberflächlich betrachtet ähneln die Mri tatsächlich Frank Herberts Fremen, sie sind meiner Ansicht nach jedoch besser gestaltet, weil Herberts Helden eigentlich nur Menschen sind und die Fremen als solche kaum eine Rolle spielen. Die Mri sind eine Rasse von gefürchteten Kriegern, die sich an Fremdrassen vermieten. Soweit nichts neues in diesem Universum, Kriegerplaneten gibt es in der SF schon dutzendweise. Mir fallen auf Anhieb der Dorsai-Zyklus von G.R.Dickson und "The Regiment" von John Dalmas (ein gewaltiges Buch!!!) ein. Dann war da noch so eine "Kriegssprache von sowieso", ich hab das Buch noch nicht. Nun gut, Cherryh gewinnt dem allerdings neue Seiten ab, indem sie u.a. Herkunft und Motive der Mri als Rätsel erscheinen läßt.
Zu Beginn der Handlung geht gerade ein Krieg zu Ende, in dem die Mri von der Rasse der Regul (echte Ekelpakete) gegen die Menschen eingesetzt wurden. Da die Regul den Krieg aber verpfuscht und verloren haben, sind die Mri sauer und arg dezimiert. Duncan findet in einer kritischen Phase des Überganges erstmalig Kontakt zu den letzten Mri und wird schließlich sogar von ihnen aufgenommen. Im Laufe der Zeit wird er dann selbst praktisch zum Mri (gemacht). Die Problemkonstellation ist, daß die Regul und einige Kräfte der Menschen die Mri ausrotten wollen, was Duncan natürlich zu verhindern sucht. Im letzten Teil des Bandes finden die beiden Überlebenden dieser Massaker und Duncan den Ursprungsplaneten Kutath, wo noch einige andere Mri leben. Die Auseinandersetzung um das Schicksal der Rasse wird fortgesetzt, wobei sich noch mehr Menschen auf die Seite ihrer einstigen Gegner, der Mri, schlagen und sich zum Teil sogar für diese aufopfern. Nach haarsträubenden Katastrophen, Abenteuern und Wendungen geht alles sehr knapp gut aus.
Mehr soll hier zur spannenden Handlung nicht gesagt werden.
Nebenher beschreibt Cherryh das völlig abartige Lebenssystem der Regul mit großer Überzeugungskraft und macht den Leser mit der Philosophie der Mri vertraut. Nur langsam begreifen die Menschen, was die Mri sind und wie man mit ihnen umgehen kann. Und wieder der Konflikt zwischen denen, die es verstanden haben, und denen, die an der Macht sind. Letztere sind zum Teil ignorant, zum Teil machtbesessen oder in ihre politischen Winkelzüge verstrickt. Macht schließt nach Cherryh zwar nicht unbedingt Intelligenz, aber in großem Maße Einsicht aus. Die Konfrontation mit dem Fremden und die Möglichkeit seines Verstehens sind das Thema, das sich durch den Roman zieht. Cherryh verknüpft fremdartige Konzepte logisch miteinander, so daß sie ein geschlossenes Bild ergeben, sinnvoll sind. Da sind die Regul mit ihrer jahrhundertelangen Lebensspanne und der Unfähigkeit, etwas zu vergessen. Sie können nicht lügen, da sie so ihrem unbestechlichen Gedächtnis eine falsche Information hinzufügen würden, die nicht mehr korrigiert werden kann. Auch ihre eigenartige soziale Struktur wird im Laufe der Handlung immer klarer und logischer. Und da sind die Mri, deren geheimnisvolles Leben sich in drei Gruppen oder Kasten teilt: Krieger, Frauen und Kinder, sowie die Wissenden. Wobei auch Frauen zur Gruppe der Krieger gehören. Strenge Gesetze und Regeln beherrschen die Mri, aber nur durch sie konnte die Rasse auf ihrer fast hunderttausend Jahre währenden Wanderung ihre Identität bewahren.
Am Ende wird das Geheimnis der Mri ein wenig gelüftet, aber nicht ganz. Etwas Mystik bleibt; Cherryh verliert sich nicht in weitschweifigen Erklärungen, sondern läßt die Tatsachen für sich stehen. Der Leser muß sie akzeptieren, genau wie die Menschen die Mri akzeptieren müssen, wollen sie eine Verständigung mit ihnen erreichen.
Cherryhs Welten sind sehr gewalttätige. Ich hatte jedoch nicht den Eindruck, daß sie Gewalt um ihrer selbst willen, wegen der action beschreibt. Sie schafft - wie auch Frank Herbert - eine extrem gefährliche Umwelt, in der sich menschliche Größe beweisen muß. Zwar ist Sten Duncan ein ObTak, ein einzelkämpferischer Spezialist, doch er ist kein Rambo-Superheld. Im Gegenteil - die ganze Sache zerbricht ihn beinahe, er schleppt sich dennoch krank und erschöpft weiter, um das zu tun, was er für wichtig und richtig hält.
Ich muß alle warnen, die triviale Aktionsliteratur erwarten, die werden sie nicht finden. Aber ein weiteres Buch, mit dem die Cherryh zu überzeugen versteht. 

SX 26

 

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