Dave Marinaccio: Alles, was ich im Leben wirklich brauche, habe ich von Star Trek gelernt

Dave Marinaccio:  Alles, was ich im Leben wirklich brauche, habe ich von Star Trek gelernt
(Heyne 01/9581)


Was macht man, wenn man nicht mehr ein noch aus weiß in den vielfältigen Fährnissen des Lebens? Man sieht sich eine Episode von Star Trek an, vorzugsweise die Classic Serie. Und wie der Titel dieses Buches aus dem Bereich "Höchst Fragliche, Wenn Nicht Völlig Unpraktische Lebenshilfe" schon verrät, kann man von den Helden der Kultserie alles lernen, was man im Leben so braucht. Es ist dabei schon erstaunlich, daß man das Sehen der Folgen im Fernsehen noch nicht zu obligatorischem Unterrichtsstoff erklärt hat.
Ich hielt das Buch ursprünglich für eine Art Witz, eine Persiflage. Leider hatte ich vergessen, wie bierernst Trekkies ihre Serie und sich für gewöhnlich nehmen, und so war ich zunächst enttäuscht. Mir scheint, der Italo-Amerikaner Marinaccio hat sein Buch tatsächlich auch ernstgemeint. Auf knapp 155 Seiten gibt er seine Lebenserfahrungen zum besten, reichlich garniert mit Zitaten und Episoden aus der Serie, um zu zeigen, wie man das am Bildschirm gesehene angeblich als Lebensphilosophie verarbeiten kann. Natürlich ist es so, daß Roddenberry & Co. sich bei Star Trek tatsächlich eine gewisse - und meist sehr zeitbezogene - Botschaft gedacht hatten. Aber ich glaube nicht so recht daran, daß sich jede Situation, in die Captain Kirk und seine Kollegen geraten, als bewußte Botschaft interpretieren läßt.
Der Autor geht so vor wie ein Kunstkritiker, der hemmungslos etwas in ein Werk hineininterpretiert, so daß selbst der Künstler, der dabei vielleicht neben ihm steht, nicht merkt, daß über seine eigene Arbeit gesprochen wird.
Nun, das ist vielleicht zu hart geurteilt. Man kann es ja auch anders sehen. Versuchen wir eine andere Herangehensweise.
Wie jede Literatur, jedes ähnliche Medium will und kann Star Trek nur unsere gegenwärtige oder vergangene Realität widerspiegeln. So verfremdet Situationen in der Science Fiction auch sein mögen, sie lassen uns in der Regel einen neuartigen, andersartigen Blick auf unser heutiges Selbst, unser Erleben und Empfinden tun. Wie Peter Schünemann in seinem analysierenden Artikel damals schrieb, stellte die Kräftekonstellation im ST-Universum die der Erde jener Zeit nach. So ist es auch im Kleinen.
Es ist also durchaus möglich und denkbar, aus den Filmen (und Büchern) von Star Trek Dinge herauszulesen, die man in unserem alltäglichen Leben wiederfindet. Dabei spielt der Umstand eine besondere Rolle, daß die Protagonisten selbstverständlich idealisierte Figuren sind, also zwangsläufig in einer Vorbildrolle stehen. Hier kann man dem Autor des vorliegenden Buches wieder folgen, der praktisch Kirk und seine Mannen als seine Lebensvorbilder annimmt. Kirk erscheint in den Intentionen der Rolle - von Shatners schauspielerischen Qualitäten einmal abgesehen - als eine sehr menschliche Figur: Er hat seine Schwächen und Stärken, er tut zwar nicht immer das Richtige oder gar das Vorschriftsmäßige, aber er gibt nie auf und er läßt sich nicht vom Leben unterkriegen. Das ist wohl vor allem die Botschaft, die Dave Marinaccio aus Star Trek herausliest.
In leichtem Plauderton, nach kurzen Kapiteln und Themen gegliedert, erzählt der Autor dieses Buches über seine Erfahrungen auf verschiedenen Gebieten, vergleicht mit Dingen, die bei Star Trek allgemein oder in speziellen Episoden vorkommen und interpretiert natürlich hauptsächlich in seinem Sinne. Aber ist das so abwegig? Uns allen ist klar, daß von Star Trek vor allem eine humanistische Botschaft ausgeht. Vermutlich hat sich weder Roddenberry noch ein anderer hingesetzt und sich tieferliegendere, subtile Messages überlegt, die man in den einzelnen Folgen oder dem Gesamtkonzept unterbringen könnte, um den Kids und anderen Menschen dieser Welt ein wenig zu helfen. Aber wie so vieles am ST-Kult entwickelt natürlich auch die Sache mit den Bedeutungsinhalten eine Art Eigendynamik. Es liegt doch irgendwie nahe, die Handlungsstrukturen der Kultserie als die Handlungsmuster für eigenes Verhalten anzusehen, selbst wenn ursprünglich keine derartige Intention bestand.
Der Autor zieht seine eigenen Lehren aus dem, was er gesehen und geistig verarbeitet hat. Er teilt sie in seinem Buch den Trekkies mit, denen vermutlich so tiefgründige Philosophien weitgehend fremd sein dürften, um sie vielleicht zu weiterem Nachdenken über das anzuregen, was sie da über den Bildschirm flimmern sehen. Ich weiß, daß sich echte Trekkies über technische oder pseudohistorische Details der Serie ereifern können, aber wer hat sich schon wie der Autor dieses kleinen Buches mit solchen Zusammenhängen beschäftigt?
Je länger ich über das Büchlein nachdachte - denn ich muß zugeben, Seite für Seite gelesen habe ich es nicht - um so interessanter erschien mir jedoch der Text. Man kann es nicht wie einen Roman lesen, man muß sicher mal hier und mal da die fettgedruckten Kapitelüberschriften lesen und die relativ kurzen Absätze je nach Interesse überfliegen. Aber um so öfter kann man es zur Hand nehmen, um in einer ruhigen Minute mal die Meinung des Autors zu diesem oder jenem Gegenstand zu erfahren. Dumm und langweilig ist das jedenfalls nicht.
Da ich selbst der Classic Serie nicht besonders viel abgewinnen kann, eigentlich ja überhaupt kein Trekkie bin, fand ich es etwas nachteilig, daß sich der Autor fast nur auf Kirks Mannschaft konzentrierte. Aber vermutlich ist es da wie mit allen Originalen: Alles, was man irgendwie als Aussage und Lehre herausziehen kann, ist schon in der Classic Serie enthalten gewesen. Die Next Generation ist da nur eine Erneuerung und Modernisierung des Transportmediums für die Botschaften. Zumindest geht der Autor in einigen Fällen auch auf die TNG ein.
Nun ein Fazit: Wahrscheinlich werden echte, harte, verbissene Trekkies an diesem Buch ihre Freude haben, so sie bereit sind, Marinaccio auf seinen verschlungenen Wegen zu folgen. Wenn nicht, könnte gerade das Gegenteil eintreten.

[All I Really Need To Know I Learned From Watching Star Trek, © Dave Marinaccio 1994, übersetzt von Michael Windgassen 1995, 155 Seiten, DM 9.90]
 
SX 66


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