David Brin: Erde
David
Brin: Erde
(Heyne 06/5145)
Auf der Rückseite des dickleibigen Bandes wird nicht mit Lob gespart,
damit der Käufer auch die fast 20.- DM für die fast 1000 Seiten
ausgibt. Diesmal haben sich die Klappentexter wirklich Mühe gegeben,
dem Buch und seinem Anliegen gerecht zu werden. Anerkennung! Denn es ist
nicht einfach, sich diesem Werk in einer Besprechung oder Inhaltsangabe
zu nähern. Richtig ist vor allem, daß es ein ehrgeiziger Roman
des Autors ist. Er versuchte nichts weniger, als ein Buch über die
Erde zu schreiben.
Ich finde, es ist ihm soweit gelungen, wie das überhaupt möglich
sein kann.
"Erde" handelt in etwa 50 Jahren, und die Welt ist dann völlig
abgewirtschaftet. Natürlich, es gibt geradezu fieberhafte Bemühungen,
die Reste der Umwelt zu retten. Die letzten Tiere werden eingefangen und
in "Archen" - großen, hermetisch abgeschlossenen Gebäuden -
gehalten, um sie an irgendeinem nicht näher bezeichneten zukünftigen
Tag, wenn alles besser wird, wieder aussetzen zu können. Aber es wird
nichts besser. Trotz verschärfter Gesetze gegen die Umweltzerstörung
ist in Wirklichkeit nichts mehr zu machen. Die Arktis schmilzt ab und hat
schon global die Küsten überschwemmt. Das Wetter spielt verrückt.
Millionen von Menschen mußten umgesiedelt werden - welch optimistischer
Ausblick, daß Brin meint, man würde sie tatsächlich umsiedeln!
Auch die politische Landschaft hat sich stark verändert, wichtigstes
Trauma ist der einige Jahre zurückliegende Atomkrieg der Schweiz gegen
den Rest der Welt.
Und in dieser Zeit baut der britische Physiker Alex Lustig im Auftrag
peruanischer Generäle ein Schwarzes Miniloch, das nach neuesten Forschungen
als Energiequelle dienen soll. Allerdings ist das nach den Weltgesetzen
noch verboten. Es geht schief, bei einer von den Medien angezettelten Studentenrevolte
gerät das Loch außer Kontrolle und die Singularität fällt
ins Erdinnere.
Alex versucht später mit Hilfe eines neuseeländischen Millionärs,
seine verlorene Singularität zu finden und herauszubekommen, ob sie
eine Gefahr für die Erde darstellt. Mit dieser Forschung beginnt das
Buch. Es zeigt sich schnell, daß Lustigs Loch sich harmlos auflöst,
aber sie entdecken eine viel größere Singularität im Erdinneren!
Wo kommt die her? Haben die bösen Militärs sie geschaffen? Im
Laufe der Handlung stellt sich heraus, daß es die bösen (?)
Aliens waren, die sie 1908 auf die Erde warfen, um die Menschen prophylaktisch
unschädlich zu machen.
Anfangs kam mir das alles ein wenig zu verworren und an den Haaren
herbeigezogen vor. Wieso nicht einfach Lustigs Singularität als Bedrohung
nehmen? Was sollten diese paranoiden Aliens? Aber am Ende klärt sich
alles sozusagen auf, und die logischen Zusammenhänge werden wiederhergestellt.
Und die Motive der Aliens waren auch ganz andere.
Die Haupthandlung dreht sich um die Anstrengungen Lustigs und seiner
Kollegen, insgeheim eine Methode zu finden, das Schwarze Miniloch im Inneren
der Erde loszuwerden, da es den Planeten innerhalb weniger Jahre zu verschlingen
droht. Aber Geheimhaltung ist ein Verbrechen und bald kommt man ihnen auf
die Schliche. Daran ist auch eine Frau schuld, die eine höchst üble
Rolle in dem Buch spielt. Wie eine tödliche Spinne hockt sie in ihrem
Haus und manipuliert über das Weltdatennetz alles, was sie nur manipulieren
kann, bis hin zu Regierungen. Ihre ökologisch angehauchten Ziele waren
vielleicht einmal edel, am Ende verfällt sie aber einem ungeheuren
Größenwahn und schafft es fast, die Welt buchstäblich zu
zerstören.
Die Handlung eskaliert schließlich in einen fürchterlichen
Krieg gegen einen zuerst unbekannten Gegner, der sich Lustigs Forschungsergebnisse
zunutze machen will, um die Herrschaft über die Welt zu erobern. Alex
hat nämlich quasi als Nebenprodukt einen Gravitationslaser erfunden,
den man nutzen möchte, um das Loch aus der Erde herauszutreiben. Leider
läßt er sich auch benutzen, um Eisberge mal schnell auf den
Mond zu schießen, oder auch ganze Städte. Der letzte Abschnitt
des Buches beschreibt sehr eindrucksvoll, was eine verzweifelte oder wahnsinnige
Macht mit dieser Technologie anrichten könnte.
Neben der eigentlichen Handlung um das Schwarze Loch besteht der Roman
aber zu einem großen Teil auch aus Streiflichtern und Nebenschauplätzen,
die sehr realistisch heutige Tendenzen in der Umweltzerstörung extrapolieren.
Ein vielfältiges Kaleidoskop aus Bildern und Episoden zeigt dem Leser,
was die Menschen in 50 Jahren aus ihrer Welt gemacht haben könnten.
Ich fühlte mich mehr als einmal an Brunners "Morgenwelt" erinnert,
wobei Brin allerdings nicht nur Schlaglichter setzt, sondern richtige Nebenhandlungen
konsequent weiterführt. In einem ausführlichen Nachwort erwähnt
Brin natürlich auch Brunner. Oft wird auf Diskussionen zurückgegriffen,
die online im Netz stattfinden, um Probleme zu zeigen, aber auch das Bemühen
vieler Menschen, Lösungen auf die drängenden Fragen zu finden.
Allerdings muß ich zugeben, daß ich im letzten Drittel des
Buches diese nicht direkt handlungstragenden Elemente nur noch überflogen
habe. Die eigentliche Handlung wurde zu spannend, um sich damit aufzuhalten.
Ich habe gewiß etwas verpaßt. Was der Autor zur Umwelt zu sagen
hat, ist sehr realistisch. Bei manchen Dingen erfaßt einen dann auch
das kalte Grausen. Wer sich ein wenig in der Welt umsieht, der merkt schnell,
das wir Menschen heute das tun, was in 50 Jahren sehr wohl Brins Szenario
herbeiführen könnte. Es ist manchmal geradezu zum Heulen.
Brin versucht neben vielen anderen Dingen, seine Meinung zur Realisierbarkeit
der "modischen" SF-Zukunft Cyberpunk zu sagen. Obwohl er die Direktverbindung
Gehirn - Computer als aus physiologischen und psychischen Gründen
nicht realisierbar verwirft, zeigt er andere Möglichkeiten auf, die
es erlauben würden, einer Direktkommunikation mit dem Computer so
nahe wie möglich zu kommen. Im Nachwort drückt er noch einmal
seine Ansicht zu diesem Thema aus, der man durchaus zustimmen kann.
Das Ende des Romans gleitet ein klein wenig ins Mystische ab, obwohl
Brin sich hütet, so etwas triviales wie Gott einzuführen. Selbst
seine "Vergeistigung" einer Singularität läßt sich mit
einigem guten Willen akzeptieren. Irgendwo ist es ihm gelungen, noch logisch
zu bleiben.
Nach dem Nachwort kommt noch eine "Bonus-Geschichte", die Alex Lustig
einige Jahre nach den Ereignissen zeigt. Und womit der Roman dann endgültig
schließt, das ist wirklich noch ein kleiner Hammer für sich.
Das Buch sollte ein Muß sein für alle, die ein Interesse
an der Umwelt haben. Auch Leuten, die glauben, für Umweltfragen kompetent
zu sein, wird es noch etwas zu sagen haben, und sei es nur, daß Fachwissen
dazu gehört, um tatsächlich über Kompetenz zu verfügen,
und nicht nur Gefühle aus dem Bauch heraus.
Bedauerlich finde ich nur die Wahl des Übersetzers beim Verlag.
Herr Petri scheint den Ehrgeiz zu haben, ein eigenes Deutsch erfinden zu
müssen. Seine Schreibweise einiger Worte wirkte auf mich sehr störend.
Dazu kam, daß er vor allem im ersten Teil recht unverständliche
Satzkonstruktionen baute, die das Lesen erschwerten, und regelrecht altmodische
Ausdrücke, die bestimmt nicht nötig gewesen wären.
Hier ein paar Beispiele für Deutsch a lá Petri:
Deutsch | Petriisch |
Spezies | = Species |
Vakuum | = Vacuum |
Holocaust | = Holokaust |
Charme | = Charm |
Pestizide | = Pesticide |
bronziert | = bronciert |
Ingredienzen | = Ingredientien |
Wie man sieht, scheint der Herr vor allem ein Problem mit c und k zu
haben. Vielleicht schenkt ihm ja mal einer den neuesten Duden.
Nachtrag: Wie ich im "SF Jahr 1995" las, ist Herr Petri bereits über
80 Jahre alt. Da muß man den letzten Absatz natürlich etwas
relativieren. Es ist erstaunlich, daß einerseits der Verlag noch
auf ihn zurückgreift, und andererseits, daß er überhaupt
noch eine solche Arbeit auf sich nimmt.
[Earth, © David Brin 1990, übersetzt von Winfried Petri 1994,
955 Seiten, DM 19.90]
SX 60
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