David Brin: Sternenflut

David Brin: Sternenflut
(Heyne 06/4450 - Top Hits der SF)


Das Buch hat alle Awards bekommen, die man so kriegen kann: Nebula, Locus und Hugo 1983 und '84. Nun ist es, nachdem es ursprünglich schon bei Knaur erschienen war, in der Heyne-Reihe "Top Hits der Science Fiction" herausgekommen. Zu Recht erhielt es die Preise und die rote Ecke, möchte ich sagen, nachdem ich es in einer Nacht und einem halben Tag durchgelesen habe.
Denn Brins Roman ist eines der spannendsten und interessantesten Bücher, die ich in letzter Zeit in die Hände bekam.
Grundgedanke des Buches ist es, daß die Galaxis, bzw. das ganze Universum, nur so von vernunftbegabten Rassen wimmelt. Die Beziehungen der Arten untereinander sind aber von einer Besonderheit geprägt. Scheinbar hat seit Abermillionen von Jahren keine von ihnen die Stufe der Zivilisation und die Fähigkeit zur interstellaren Raumfahrt aus eigener Kraft erreicht. Jede ist von einer älteren Art genetisch "geliftet" worden, um dann für Jahrtausende erst mal dieser Rasse zu dienen. Die Kenntnisse dazu und praktisch zu allen anderen Dingen stammen aus einer Bibliothek, welche von einer geradezu mythischen Ur-Rasse etabliert und seit Milliarden Jahren erweitert und benutzt wird. Ihre Funktionsweise wird allerdings nicht genauer erläutert. Die Menschheit hat ihrerseits schon die Schimpansen und Delphine zu menschlicher Intelligenz geführt.
Der Gedanke, daß sich Kulturen in ihrer Entwicklung gegenseitig helfen könnten, steht ja in der SF oft der "Ersten Direktive" gegenüber, sich auf gar keinen Fall in die inneren Angelegenheiten anderer Welten einzumischen. Brins Buch führt nun die Einmischungsstrategie bis zu ihrem Extrem aus. Es stellt sich jedoch schnell heraus, daß die "Hilfe" ganz und gar den eigennützigen Interessen der Aliens dient. Sie verändern neue intelligente oder präintelligente Wesen bis zur Unkenntlichkeit, um sie als Werkzeuge - ja, Sklaven - benutzen zu können. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die galaktische Freundschaft als gigantischstes System der Sklaverei, das man sich nur vorstellen kann.
Nur von der Menschheit scheint keiner die Rasse zu kennen, die sie einst "liftete" und dann verschwand. Oder gab es gar keine? Die Galactics stehen vor einem Dilemma. Erstmals hat eine Zivilisation diesen Status ohne Hilfe erreicht, kann also nicht als "Klientenrasse" mißbraucht werden. Allein schon deshalb sind viele den Menschen und ihren ersten eigenen "Klienten", den Affen und Delphinen, feindlich gesonnen. Als das Raumschiff Streaker, ein hauptsächlich mit Delphinen bemanntes Forschungsschiff, dann auch noch die wichtigste Entdeckung des Universums macht, ist alles zu spät. Es wird gnadenlos gejagt, bis es auf der Wasserwelt Kithrup notlanden muß. Im Orbit um den Planeten entbrennt eine ungeheure Raumschlacht verschiedener Rassen darum, wer die Streaker mit ihrem Geheimnis aufbringen darf, während sich auf der Oberfläche die Handlung des Buches entfaltet.
Das Schiff hat eine Besatzung von 150 Delphinen, 7 Menschen und einem Schimpansen. Die aktionsreiche Handlung wechselt ständig zwischen Menschen, verschiedenen Delphinen, dem schimpansischen Planetologen und den im Raum kämpfenden Aliens hin und her. Es geht natürlich vor allem darum, das Schiff wieder klar zu bekommen und einen Weg zu finden, um den Planeten zu verlassen - möglichst ohne dabei abgeschossen zu werden. Aber nebenher entwickeln sich auch auf dem eigenartigen Planeten selbst etliche Geheimnisse. Und dann sind da noch ein paar delphinische Renegaten, die die Lage noch verschärfen, indem sie eine Art Meuterei anzetteln. Für verschiedene Spannungsbögen ist also gesorgt.
Durch interessante sprachliche und gedankliche Eigenheiten der Delphine, die auch von einigen Menschen übernommen wurden, gewinnt das Buch zusätzlich an Flair. Die Gemeinschaft der Menschen mit ihren "gelifteten" Tieren ist ganz anders als die der meisten Aliens mit ihren Klientenrassen. Statt Sklaven sind sie viel mehr Partner. Brin erklärt dieses Verhältnis einerseits damit, daß sich die Menschheit quasi als Waise entwickelte, andererseits mit den Erfahrungen der Menschen in der Vergangenheit, als sie verschiedene Tierarten fast ausrottete.
Die Menschheit als junge, aufstrebende Art innerhalb einer galaktischen Gemeinschaft darzustellen, ist ja eigentlich nicht so neu. Schon eine ganze Zahl von SF-Autoren entwickelte diesen Gedanken in eine Handlung, gewissermaßen als Superlativ des verbreiteten Jugendkultes oder als Gigantomanie eines Generationenkonfliktes. Die erstarrten Strukturen und dekadenten Verhaltensweisen der "Alten" werden von den frischen, unverbrauchten Menschen durchbrochen. Eine solche Philosophie mag ein zweischneidiges Schwert darstellen, die Möglichkeit zu Übertreibungen und Extremen ist immer gegeben. Normalerweise verfolgen allerdings Autoren wie Brin eher motivierende, positive Absichten mit derartigen Fabeln.
"Sternenflut" ragt zudem aus der Menge solcher Werke noch heraus. Das extreme galaktische Gesellschaftssystem des "Liftens", welches die Interaktion der verschiedenen Aliens bestimmt, und das komplex geschilderte Zusammenleben der drei Arten auf dem Raumschiff Streaker machen das Buch zu etwas besonderem. Außerdem zeichnet es sich durch eine atemberaubende Spannung und großen Aktionsreichtum aus.
Das andere Buch David Brins, "Der Entwicklungskrieg", das bei Heyne schon erschienen ist, scheint thematisch ähnlich gelagert zu sein, vielleicht spielt es sogar im selben Universum? Ich werde die Antwort sicher demnächst herausfinden. Und der Vollständigkeit halber: Angekündigt (oder bereits erschienen?) sind noch "Der Übungseffekt" und "Sonnentaucher".

["Startide Rising", 1983 von David Brin, übersetzt von Rainer Schmidt 1993, 652 Seiten, DM 16.90] 

SX 43

 

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