Dean Koontz: Drachentränen

Das Töten des Bryan
Dean Koontz: Drachentränen
(Heyne Verlag 1995)


Das Leben sei manchmal bitter wie Drachentränen, sagt Koontz mit einem chinesischen Sprichwort. Darauf bezieht sich der Titel, nicht etwa auf einen echten Drachen. Obwohl - es gibt da eine bösartige Figur mit dem Namen Drackman.
Der Horrorautor braucht sich scheinbar nicht anzustrengen, um das Grauen auf seine Leserschaft loszulassen. Eine seiner Gestalten, die Polizistin Connie, ist ein wandelndes Lexikon der übelsten Verbrechen, die man sich nur vorstellen kann - und in einer kleinen Nachbemerkung bekräftigt der Autor, daß sie alle real sind. Das Schreckliche, das in diesem neuen Roman geschieht, ist vor allem durch seine Wirklichkeitsnähe so grauenerregend. Koontz weiß, wie man auf der Klaviatur menschlicher Ängste spielt. Längst ist er über die Ratten, Spinnen und Schlangen hinausgewachsen, obwohl sie alle auch in diesem Roman eine kleine Rolle spielen. Liebgewordene Assesoires eben. Aber die eigentlichen Ängste des heutigen Zivilisationsmenschen sind doch die, sich hilflos einer Macht ausgeliefert zu sehen, die er nicht versteht und gegen die er nichts tun kann, die er nicht in sein triviales Alltagsbild einpassen kann. Oder mit einem Schlag sein Zuhause, seinen Besitz zu verlieren. Oder daß alle, die er liebt, plötzlich sterben könnten. Da steht die Angst vor dem eigenen - angekündigten - Tod schon weiter hinten.
Harry Lyon und seine Partnerin Connie sind Polizisten in Laguna Niguel, Kalifornien. Sie spielen die Hauptrollen in dem rasant erzählten, über 400 Seiten starken Thriller. Und eigentlich müßte man den Hund Woofer als dritten positiven Haupthelden nennen, denn er hat eine durchaus bedeutsame Rolle. Die aus seiner Sicht geschilderten Kapitel haben sogar einen ganz eigenen Reiz - sie wirken überzeugend hündisch erlebt. Weniger häufig tauchen der Penner Sammy und die etwas weniger heruntergekommene Pennerin Janet mit ihrem Sohn Danny auf. Außerdem gibt es noch ein paar Menschen, die alle durch eins verbunden sind - ohne es zu wissen. Sie werden von einem seltsamen Wesen gequält und mit dem Tod bedroht, das ihnen in verschiedenartiger unnatürlicher Gestalt erscheint. Der Rattenmann oder Ticktack, wie er am häufigsten genannt wird, besitzt offenbar übernatürliche Kräfte. Er kündigt ihnen an, sie nach Ablauf einiger Stunden alle zu töten. Harry trifft ihn, nachdem er gerade im Dienst einen Amokläufer erschießen mußte.
Das ganze Buch spielt nun im Verlauf der einen Nacht, die der Unbekannte ihnen noch zugebilligt hat. Nachdem sich Harry und Connie dazu durchgerungen haben, an das Unglaubliche zu glauben, stellen sie sich wie gute Polizisten der Herausforderung - was bleibt ihnen auch anderes übrig? Bald stellt sich heraus, daß die Erscheinungsformen des Unholdes nur "Golems" sind, die er aus Erde, Sand oder Schlamm erschafft. Irgendwo da draußen muß ein Mensch sein . mit übermenschlichen Kräften, aber ein Mensch, den es zu finden gilt, bevor er sie wie Kakerlaken zertritt.
Lange laufen die beiden Cops der falschen Fährte nach. Das ist auch etwas, das mir positiv auffiel, im Gegensatz zu vielen Polizeiromanen oder -filmen, wo das intuitive Finden der richtigen Spur manchmal zu unglaubwürdig wirkt. Wenn der Hund die Betroffenen nicht zusammengebracht hätte, in seinem Bestreben, Janet und Danny zu helfen, dann würde es wohl schlecht ausgesehen haben. Doch so enträtseln sie nochim letzten Augenblick das Geheimnis der Identität des wahnsinnigen Mannes, der hinter den Untaten steckt.
Koontz nimmt sich viel Zeit, um auch die Psyche dieser Bestie auszuloten. Die Schuld an den besonderen Kräften Bryans gibt er dem Drogenmißbrauch der Mutter, eine recht einfache Erklärung, die andeutet, daß es Koontz eigentlich gar nicht um dieses phantastische Element an sich ging. Ob der Junge schon als das Böse schlechthin geboren wurde, oder ihn erst die Erziehung durch seine wohl ziemlich verrückte Großmutter dazu machte, läßt er offen. Bis auf die besonderen Fähigkeiten dieser monströsen Gestalt hat der Roman auch nichts Phantastisches, alles könnte erklärbar sein und wirkt auf eine beängstigende Art möglich. Gegen den Drogenmißbrauch in unserer heutigen Gesellschaft wendet sich der Autor dann auch noch einmal recht massiv, jedoch ohne daß es wie ein erhobener Zeigefinger wirkt.
Überhaupt fällt an dem Buch auf, daß es manche Dinge sehr kritisch angeht. Mehr als einmal formuliert Koontz den Satz vom wahnwitzigen Tanz ins nächste Jahrtausend, bezieht er sich auf gerade die neunziger Jahre, in denen wir leben. Die anfangs sehr zynische Connie analysiert dieses apokalyptische Taumeln am Randes des Abgrundes und häuft Beispiel auf Beispiel. Bryan ist damit auch eine Ausgeburt dieser Zeit, vielleicht deren Kulminationspunkt. Er selbst hält sich für den heranreifenden neuen Gott, und gottgleiche Macht scheint er zu besitzen. Natürlich ist das wieder eine Anspielung auf biblischen Mystizismus - jeder, der "Omen" oder "Das siebte Zeichen" oder andere derartige Filme ("Mächte des Wahnsinns" ist der neueste in dieser Reihe) gesehen hat, weiß inzwischen, was mit solchen leisen Anklängen gemeint ist.
Doch Bryan ist weder Gott noch Teufel. Er ist einfach nur ein wahnsinniger Mörder mehr, eine "Hülsenperson", die unter den normalen Menschen herumläuft und Unheil sät. Außer, daß er die Macht hat, viel größeres Unheil zu sähen, als jeder andere.
Das Buch ist durchaus gesellschaftskritisch ambitioniert, und ich meine, auch in dieser Hinsicht gelungen. Natürlich ist es außerdem spannend, atemberaubend und phantastisch. Aber das braucht ja wohl nicht erst betont zu werden.

[Dragon Tears, © Nkui, Inc. 1993, übersetzt von Ellen Schlootz 1995, 466 Seiten, DM 39.80, Hardcover mit Schutzumschlag]
 
SX 61


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