Dean R. Koontz: Ort des Grauens

Dean R. Koontz: Ort des Grauens
(Heyne 01/8627)


Warum nähern sich eigentlich so viele, die normalerweise durchaus auch einmal Horror lesen, Dean R. Koontz eher zurückhaltend? Ist er doch - will man den Verlagen glauben - mindestens der zweiterfolgreichste Autor auf seinem Gebiet. Ein "Virtuose der apokalyptischen Alpträume" wird er auf der Rückseite dieses Buches genannt. Newsweek schreibt sogar: "Er bringt den Leser dazu, die ganze Nacht lang weiterzulesen... das Zimmer hell erleuchtet und sämtliche Türen verriegelt." Ein hübsches Bild, muß man wohl zugeben.
Die Antwort auf meine Frage möchte ich in dieser Rezension nicht belegen. Ich meine jedenfalls, Koontz schreibt sehr wechselhaft und verschreckt dadurch seine Leser. Ich habe von ihm schon gute Bücher (und Rezensionen über gute Bücher) gelesen, aber er hat ohne Zweifel auch einige Fehlleistungen geschafft. Gerade habe ich aus dem Dreifachband (Heyne Tip des Monats 76) den ersten Roman "Die Maske" im zweiten Anlauf zu lesen fertiggebracht. Daraufhin liegt er nun erst mal rum. Die anderen beiden Teile muß ich noch lesen, aber mit Begeisterung kann ich nach "Die Maske" nicht herangehen. Kauft man einen Koontz, so weiß man meist vorher nicht, was er bringen wird. Das ist nicht gut fürs Geschäft, sollte man meinen, und doch verdient der Autor wohl gar nicht so schlecht daran. Es kann also nicht die alte Ausrede sein, daß er ein paar miese Sachen runterschreibt, um sich dann - finanziell abgesichert - auf einen guten Roman konzentrieren zu können.
Nun, "Ort des Grauens" gehört zur zweiten Gruppe - zu den guten, spannenden, lesenswerten Büchern. Fast möchte ich sogar behaupten, daß dieses Buch mehr auszusagen vermag als seinen Horror. Koontz matscht nicht einfach so rum (jedenfalls nicht nur), sondern er scheint auch die Absicht gehabt zu haben, gewisse Botschaften rüberzubringen.
Ein wenig Orientierungshilfe zum Inhalt. Auf einer ganzen Reihe sich abwechselnder Handlungsebenen entrollt sich Stück für Stück das Geschehen um ein amerikanisches Detektivehepaar, das in den Fall des Frank Pollard hineingezogen wird. Letzterer leidet unter Amnesie und wacht gelegentlich mit Blut an den Händen, Dreck am Schlafanzug und Taschen (Einkaufstaschen) voller Geld auf. Er hat Angst und flüchtet vor einem Großen Unbekannten, der eigenartigerweise mit blauem Licht nach ihm schießt. Hier merkt der verwunderte Leser dann, daß sich Koontz nicht mit Alltagshorror zu begnügen scheint, sondern das deutlich Phantastische, das Übernatürliche ins Spiel bringt. Dennoch ist es keine Fantasy. Auf einer anderen Ebene lernen wir - möglicherweise von Ekel geschüttelt - das Innenleben eines psychopathischen Mörders kennen, der - wie es scheint - ein Vampir ist. Klar, wie er seine Opfer umbringt? Aber wiederum ist das keine Fantasy, denn er ist kein Vampir im übernatürlichen Sinne, also kein Dracula-Typ. Sein Töten und Bluttrinken ist (ein) Ausdruck seiner Geisteskrankheit.
Zunächst läuft die Handlung etwas verwirrend ab, man weiß nicht so recht, wo sich die Fäden nun eigentlich verknüpfen. Aber dann wird einiges klarer und die Spannung steigt. Eine weitere Figur ist Thomas, der geistesschwache Bruder der Detektivin Julie. Dieser sitzt allerdings friedlich in einem Heim. Er leidet am Down Syndrom.
Das Buch beschäftigt sich also hauptsächlich mit verschiedenen Aspekten von Geisteskrankheiten. Koontz beschränkt sich nicht nur darauf, einen wahnsinnigen Killer vorzuführen, er benutzt seine Handlungsstränge auch, um ein Gegenbeispiel zu bringen. Er stellt Teile des Geschehens aus der Sicht der Kranken dar, zeigt ihre Beweggründe und Motive. Zeitweise kann man Candy, den Killer, direkt verstehen, wenn sein Tun natürlich nicht gebilligt wird. Trotzdem er das Böse in dem Buch verkörpert, sind die Hintergründe gut herausgearbeitet, die ihn wenigstens zum Teil erst zu dem machten, was er ist. Eine gleichfalls wahnsinnige Mutter, religiöser Wahn und ähnliches spielte eine Rolle. Und wohl auch die amerikanische Gesellschaft, in der es möglich ist - wie jedenfalls Koontz glaubhaft postuliert - daß sich eine Familie gefährlicher Psychopathen über Jahrzehnte hinweg inmitten der normalen Bürger aufhält und ihr Unwesen treibt. Am Schluß des Buches wird sogar ein korrupter und verrückter Arzt vorgeführt, der alles von Anfang an wußte und nichts tat.
Aber, wie gesagt, nimmt Koontz auch das Phantastische in sein Buch auf. Thomas ist trotz seiner Behinderung sehr intelligent, auch wenn er sich nicht so richtig zu äußern vermag. Und er hat eine gewisse telepathische Begabung. Mit ihr wacht er gewissermaßen über Julie und Bobby, die Detektive, und warnt sie sogar, als er die Gefahr, die von Candy ausgeht, bemerkt. Er ist es, der den Ausdruck "der schlechte Ort" prägt; nämlich für den Platz, an den man im Augenblick des Todes kommt. Als "Ort des Grauens" übersetzt, wirkt das für einen Buchtitel zwar besser, ist aber nicht das, was der Behinderte gesagt haben kann.
Candy kann sich willkürlich an andere Orte versetzen - telekinetisch also - und außerdem enorme energetische Entladungen entfesseln. (Das blaue Licht, mit dem er auf seinen Bruder Frank schießt.) Das ist Frank Pollard nämlich, auch einer der Mutanten der Pollard-Familie, flüchtig, nachdem er die an allem schuldige Mutation von einer Mutter umbrachte. Er kann auch teleportieren, aber nicht willentlich, sondern völlig chaotisch. Dann gehören noch autistische Zwillinge dazu, die Kontakt mit Menschen ablehnen, aber sich stattdessen in die Sinne von Tieren versetzen können.
Die beiden Hauptpersonen, die Detektive, müssen wohl oder übel akzeptieren, was sie sehen, nachdem sie sich auf den Fall eingelassen haben, der ständig unheimlicher wird. Ich empfand es als positiv, daß Koontz seine Protagonisten nicht im Gegensatz zum Leser den halben Roman mit Unglauben und Zweifel verbringen läßt. So etwas nervt mich nämlich. Wenn ich mir bescheuerte Typen ansehen will, die glauben, daß es lila Kühe gibt, bloß weil sie die im Fernsehen sehen, aber nicht, daß die Erde rund ist, weil dann die Australier mit dem Kopf nach unten hängen würden, brauche ich bloß morgen wieder auf Arbeit zu gehen und kein Horrorbuch zu lesen.
Das Buch hat nicht gerade ein Happy-End, aber mehr will ich nun wirklich nicht zu der Handlung verraten. Man kann es lesen, ohne einzuschlafen, und die Türen zu verrammeln, das hilft bei telekinetischen Vampir-Killern ja sowieso nicht...  

["The Bad Place", übersetzt von Monika Seeger 1991, München 1993, 508 Seiten, DM 12.80]

SX 38

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