Diana G. Gallagher: The Alien Dark

Weit vorausgedacht
Diana G. Gallagher: The Alien Dark
(TSR Books 1990, 309 Seiten)


Ein weiterer "erster Roman" einer amerikanischen Autorin, der mich langsam denken läßt, da beginnt eine neue Generation von talentierten SF-Schreibern aufzutauchen. Namen, die man sich merken sollte. Der Name Diana G. Gallagher müßte eigentlich schon bekannt sein, denn sie gewann den Hugo für ihre SF- und Fantasy-Illustrationen. Außerdem ist sie eine amerikanische Sängerin die anscheinend auch entsprechende Motive in ihren Songs verarbeitet - heißen ihre Platten doch "Star Song", " Fire Dream" oder "Cosmic Concepts"
"The Alien Dark" ist zunächst einmal ein enorm spannender SF-Roman. Und wenn ich schreibe, daß die Autorin mit außerordentlichem Geschick ein neues oder zumindest sehr selten benutztes Konzept verarbeitete, so umschreibt das dieses Buch nur schwach. Die Frau kann schreiben, erzählen und überzeugen.
Das Buch handelt 100 Millionen Jahre in der Zukunft. Genauer gesagt, 100 Millionen Jahre nach dem Ende der Menschheit. Es ist vollständig aus der Sicht von Aliens geschrieben, die zu diesem Zeitpunkt in das Sonnensystem einfliegen, als eine Art Forschungs- oder Vorauskommando für eine interstellare Besiedelung.
Aliens, und zwar echte. Die katzenhaften Wesen sind alien - fremdartig - und das nicht nur, weil sie graues Fell tragen. Die Autorin beschreibt und charakterisiert die ashin bey mit einer Klarheit und Konsequenz, die ihresgleichen sucht. Ob das ihre soziale Hierarchie ist, oder ob es sich um ihre Fortpflanzungs- und Ernährungsgewohnheiten dreht, diese Wesen sind fremdartig genug, um überzeugend zu wirken; und menschlich genug, um als Handlungsträger verstanden zu werden. Im Allgemeinen bin ich in dieser Hinsicht sehr kritisch, Fremdes muß für mich fremdartig sein, sonst könnten ja auch Menschen handeln. Und andererseits brauche ich verständliche, nachvollziehbare Motive, um mich mit einer Figur identifizieren zu können - was Voraussetzung für das anteilnehmende Lesen ist. Hier wurde ich in keinem Fall enttäuscht.
Ein wenig zur Handlung des Romans. Die ashin bey haben sich im Laufe ihrer Evolution in zwei Bevölkerungsgruppen geteilt. Die Mehrzahl ist im Denken streng auf Logik und Fakten festgelegt, und neigt dazu, in einen freiwilligen Todesschlaf überzugehen, wenn sie mit einer auswegslosen Situation konfrontiert ist. Die Minderheit ist in der Lage, abstrakt zu denken, besitzt Phantasie und Schöpfertum. (Ein Gleichnis auf den Menschen?) Zwar sind letztere Aliens nicht gerade geachtet, aber sie werden auch nicht unterdrückt und ausgebeutet. In dieses Klischee verfällt die Autorin nicht. Die Evoiutionsmechanismen, die zu diesem Zustand führten, werden in überzeugender Weise dargestellt, ohne jedoch überbetont zu sein. Ein wichtiger innerer und äußerer Konflikt der Hauptpersonen des Buches rankt sich um diesen Gegensatz im Denken. Nur durch den Übertritt einer Reihe Aliens der ersten Gruppe zur zweiten unter Streßbedingungen wird es möglich, die Mission im Sonnensystem zuende zu führen.
Die ashin bey finden auf der Venus - man merkt nach einer Weile erst, daß es sich um das Sonnensystem und diesen Planeten handelt - günstige Bedingungen vor. Niederes Leben, Sauerstoff... denn irgendwann vor 100 Millionen Jahren traf ein Asteroid die Venus und beschleunigte ihre Rotation, außerdem tauchten in der Atmosphäre seltsame Algen auf, die den Zyklus des Lebens in Gang setzten. Ein paar Vertreter der phantasiebegabten Aliens wundern sich und vermuten eine Intelligenz am Werke. Aber nichts ist zu entdecken.
Dann findet man eine Sonde in der Umlaufbahn. Sie war wohl für die künstliche Belebung der Venus zuständig, und das seltsame Zeichen auf ihrer Hülle lautet "NASA". Später stellt sich heraus, daß sie bewußt als Botschaft zurückgelassen wurde. (Tatsächlich können künstliche Satelliten diesen Zeitraum überdauern.) Trotzdem senden die Aliens das ok-Signal nach Hause, denn seit vielen Millionen Jahren hat sich im Sonnensystem nichts mehr geregt, der dritte Planet - von dem die Sonde kam - steckt unter einer dicken CO2-Atmosphäre... Die unbekannten Bewohner sind wohl ausgestorben.
Erst nachdem man eine funktionsfähige (!) Mondbasis entdeckt, kommt man dem Geheimnis des "verschwundenen Volkes" auf die Spur. Nun setzt eine Art Rückblende ein, die aber nie soweit geht, daß man als Leser vergißt, daß ein Alien diese Handlung als Aufzeichnung sieht. Ein Mensch berichtet auf verschiedenen Computerfiles, wie die Erde unterging (eine ökologische und gentechnische Katastrophe) und was danach geschah.
Beide Handlungsebenen sind spannend geschildert und eskalieren zu dramatischen Höhepunkten. Ich werde die Sache hier nicht weiter nacherzählen. denn vielleicht findet man das Buch ja doch noch in deutschen Bücherregalen.
Es wartet mit einigen Wendungen auf, endet auch recht optimistisch. Neben der wirklich fesselnden Handlung, die auch nicht ohne Humor ist, war es für mich die in sich geschlossene und logische Darstellung der Aliens, die an dem Buch überzeugte. In sparsamen Bildern stellt die Autorin die Gesellschaft, Lebensweise und Ökologie der ashin bey dar, völlig ausreichend, damit man die tatsächlich fremdartigen Motive nachvollziehen kann. Sie beleuchtet kritisch sowohl die typische Einstellung heutiger Menschen zu Umweltgefahren - die etwas hätten tun können, begriffen es nicht, und die es begriffen, waren zu schwach oder zu unwillig, um etwas tun zu können - als auch bestimmte gedankliche Muster, vereinfachend zu beschreiben als Phantasielosigkeit, Fremdenfeindlichkeit, übersteigerter Egozentrismus (des Individuums wie der Art) und ähnliches.
Die Fremdartigkeit der Aliens geht nicht so weit, daß sie völlig unverständlich wäre. Bestimmte uns vertraute Aspekte des Verhaltens von katzenartigen Raubtieren werden als Stilmittel einerseits beibehalten, andererseits aber unter dem Geschichtspunkt der Entwicklung von Intelligenz und Zivilisation extrapoliert (allerdings nicht in Richtung galaktische Kriegerrasse!). Andererseits wird typisches Säugetierverhalten mit einer völlig unirdischen Fortpflanzungspraxis gekoppelt, die auch einmal beschrieben bzw. vorgeführt wird.
Alle Einzelheiten haben einen bestimmten Sinn und sind logisch. Zum Beispiel reflektiert der enorm lange Zeitraum, der die Gegenwart von der Handlungszeit trennt, die Erkenntnis von der Unwahrscheinlichkeit eines derartigen zufälligen Kontaktes zweier Spezies, bzw. der zeitlichen Parallelentwicklung zweier intelligenter Rassen in der Galaxis. Selbst die Katastrophe, welche die Menschheit ereilt, ist vorstellbar - zu gut vorstellbar - nur der Umstand, daß eine Gruppe der NASA just bereit ist, auf den Mond zu fliehen, erschien etwas konstruiert. Aber schließlich muß ja eine Verbindung in die Zukunft entstehen...
Wenn ich eine Möglichkeit hätte, Bücher herauszugeben, würde dieser Roman weit oben auf der Liste stehen. Er hat mich nächtelang wachgehalten. 

SX 38

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

David Gerrold: Inmitten der Unendlichkeit

Jack McDevitt: Die Küsten der Vergangenheit

Piers Anthonys Xanth