Garry D. Kilworth: Angel
Garry D. Kilworth: Angel
(Gollancz Horror 1993, 286 Seiten, £ 4.99)
Da sage noch einer, es gäbe keine neuen Ideen im Bereich der Phantastik!
Jedenfalls war es das erste Mal, daß ich auf diese Idee stieß,
und auch der Klappentext läßt den Schluß zu, daß
man Kilworth' Gedankengänge für bemerkenswert neu hält.
Es ist 1997, was aber nichts zu bedeuten hat. Warum der Autor seine
Geschichte in die Zukunft verlegt, kann man nur vermuten. Vielleicht hielt
er sie für glaubwürdiger, wenn er den Lesern nicht einredete,
daß er über vergangene Dinge schreibt. Die geschilderten Ereignisse
sind so drastisch, daß sie nicht unbemerkt geblieben wären.
Eine Serie von Brandstiftungen verwüstet vor allem San Francisco,
aber auch andere Orte auf der Welt. Die Feuerwehr und die Polizei haben
alle Hände voll zu tun, können aber nicht viel ausrichten. Was
der Leser erfährt, wissen sie nämlich zunächst noch nicht:
Von einem nicht näher beschriebenem Ort, der so etwas wie eine andere
Dimension, bzw. Existenzebene zu sein scheint, ist ein Wesen auf die Erde
gekommen - ein Engel. Man nehme die christliche Religion für die Dauer
der Lektüre einmal wörtlich. Allerdings stimmt das menschliche
Bild von Engeln nicht ganz. Flügel fehlen, er - oder besser gesagt
es - sieht aus wie ein besonders gutaussehender Mann. Allerdings ist er
(ich bleibe hier beim deutschen Pronomen für Engel) z.B. unverwundbar
und übermenschlich stark. Der Zweck seines Besuches ist die Jagd auf
eine Reihe von Dämonen der Hölle, die sich vor Armageddon auf
die Erde geflüchtet haben. Er verbrennt sie mit Heiligem Feuer, wenn
er sie stellen kann, wobei ihn überhaupt nicht interessiert, daß
hunderte, ja tausende Menschen dabei mit zu Tode kommen. Allerdings stellt
sich heraus, daß sein Vorgehen nicht von oben autorisiert wurde.
Die beiden Polizisten Dave und Danny gehören zu jenen, die auf
die Brandstifter in San Francisco Jagd machen. Sie finden heraus, daß
für eine Reihe von Bränden, bei denen weißes Feuer eine
Rolle spielt, eine bestimmte Person verantwortlich ist. Als dann sogar
Frau und Kind von Dave bei einem solchen Feuer umkommen, wird die Sache
persönlich. Sie stoßen tatsächlich auf den Engel, der sich
ihnen ohne Zögern zu erkennen gibt. Natürlich glauben sie es
nicht sofort, doch nach und nach müssen sie sich der bestürzenden
Wahrheit stellen. Als sie den Engel weiter verfolgen, wendet er sich ernsthaft
gegen sie, wobei einfach mal die ganze Polizeiwache eingeäschert wird.
Akzeptiert man erst einmal die religiöse Idee des Autors, daß
es tatsächlich Gott, Engel und Dämonen gibt, als eine phantastische,
spricht nichts dagegen, sich von einem Polizeithriller voller Horror und
Mystik mitreißen zu lassen. Was das Buch vor allem so interessant
macht, ist der Gedanke, daß "ein Engel auf Erden schreckenerregender
wäre als jeder Dämon" (Lisa Tuttle). Gegen das Böse in der
üblichen Gestalt des Menschen, übrigens in einer Nebenhandlung
durch den ausgesprochen fiesen Bewährungshelfer Manny verkörpert,
und in Gestalt der Teufel und Dämonen der Hölle scheint die Menschheit
gewappnet. Ob durch den Glauben oder jahrhundertelange Erfahrung im Umgang
mit ihren eigenen Fehlern, sei einmal dahingestellt. Gegen den Engel, der
überhaupt nicht in der Lage ist, seine Handlungsweise mit den Augen
der Menschen zu sehen, sind sie jedoch beinahe hilflos. Der Engel hat keine
Gefühle, ist geschlechtslos und nur von dem Willen beseelt, die geflohenen
Dämonen zu vernichten. Doch sein Alleingang ist der Keim zu seinem
letztlichen Untergang. Es stellt sich heraus, daß gerade dieser Engel
es war, der auf Gottes Befehl die Erstgeborenen Ägyptens tötete
(2. Mose 12*). Offenbar nahm er schon dabei irgendwie Schaden, so daß
er nun immer mehr Lust am Töten empfindet. Doch auch als er fällt
und selbst zum Dämon wird, ist es längst nicht vorbei. Im Gegenteil
- seiner selbstgestellten Aufgabe beraubt, konzentriert er sich jetzt nur
noch auf die beiden Polizisten, die er für seine Lage verantwortlich
macht.
Wie kämpft man gegen einen Engel? Die beiden Helden lassen sich
einiges einfallen, sie kontaktieren sogar einen der Dämonen, um ihn
um Rat zu fragen! Na ja, wo das Beten nicht mehr hilft, ist immer noch
ein Flammenwerfer...
Eingebettet in die rasante und feurige Handlung sind auch einige Stellen,
die das christliche Gottesverständnis vorsichtig hinterfragen. Man
muß schon daran zweifeln, daß Gott sich im Laufe der Zeit wirklich
verändert hat und nicht mehr der furchterregende und rächende
des Alten Testaments ist, wenn er sich quasi hinter einer Nichteinmischungsdoktrin
versteckt und all den Schrecken auf Erden geschehen läßt - sogar
das Wüten dieses Engels.
"Keine Macht der Hölle ist schrecklicher als der Himmel auf Erden"
steht auf dem Cover; was natürlich im übertragenen Sinne zu verstehen
ist. Das ist die Idee, und Kilworth hat sie in überraschender und
spannender Weise umgesetzt. Für den Leser, der am Ende noch immer
nicht genug hat, gibt es noch einen zweiten Teil. "Archangel" (Erzengel)
handelt im Jahre 2002 und wird demnächst hier besprochen werden.
Bis dahin - haltet eure Molotow-Cocktails bereit!
* Anmerkung: Kilworth geht hier etwas freizügig mit der Bibel um, denn da heißt es: "Und zur Mitternacht schlug der HERR alle Erstgeburt in Ägyptenland vom ersten Sohn des Pharao an, der auf seinem Thron saß, bis zum ersten Sohn des Gefangenen im Gefängnis und alle Erstgeburt des Viehs." (2. Mose 12,29) Es war hier Gott selber, der die Drecksarbeit machte, wenn mir der Ausdruck gestattet sei.
SX 78
Kommentare
Kommentar veröffentlichen