Garry D. Kilworth: Archangel

Garry D. Kilworth: Archangel
(Gollancz Horror 1994, 254 Seiten, £ 5.99)

Wie angekündigt, kommt nun die Besprechung der Fortsetzung von "Angel". "Erzengel" ist nicht nur in derselben Tradition geschrieben, es ist auch tatsächlich die Fortsetzung der Handlung aus "Engel". Die Helden sind wieder die beiden amerikanischen Polizisten Peters und Spitz, die nach London gerufen werden. Sind sie doch diejenigen, die einige Jahre zuvor den gefallenen Engel in L.A. erledigt haben. Die Situation in London ist allerdings eine andere. Dort treffen sich gerade die Führer aller Weltreligionen zu einer höchst wichtigen Konferenz - man kann wohl voraussetzen, daß es nach Kilworths Willen dabei um wesentlich mehr geht als bei der tatsächlich vor einiger Zeit erfolglos stattgefundenen, wo man sich offenbar nur über Abtreibungsrechte stritt. Jedenfalls scheinen die höheren (und tieferen) Mächte das Treffen sehr ernst zu nehmen.
Aus der Hölle wurde eine tote Seele geschickt, um die Konferenz zu stören und ihren positiven Ausgang zu verhindern. Die Seele ist ein alter Bekannter, nämlich der Bösewicht "Manny" Manovitch aus dem ersten Buch. Er ist inzwischen nicht etwa dabeigewesen, für seine Sünden zu schmoren, sondern zu einem General der höllischen Heerscharen in der Schlacht von Armageddon aufgestiegen. Entgegen den üblichen Vorstellungen tobt diese Schlacht nämlich längst, allerdings irgendwo auf einer anderen Welt. Die theologische Idee, welche Kilworth hier andeutet, ist gar nicht mal so uninteressant. Wieso sollen eigentlich in der Hölle die Seelen derer gequält werden, die im Leben Böses taten? Müßte nicht Satan viel eher geradezu froh über ihr Werk sein und ihnen einen Ehrenplatz anbieten? Mir scheint die christliche Lehre an dieser Stelle reichlich inkonsequent zu sein.
Manovitch ist als von der Hölle Zurückgekehrter derart mächtig, daß er nicht nur die Körper von Menschen mühelos übernehmen und eine Menge fast unvorstellbarer Verbrechen verüben kann, er schafft es sogar, die alten biblischen Plagen über London hereinbrechen zu lassen - bis auf die letzte. Diese Plagen scheinen es dem Autor angetan zu haben, womit er sich allerdings in zahlreicher Gesellschaft befindet. Schon im ersten Teil ging es ja um den Engel, der zu biblischer Zeit für die Ausführung von Gottes Befehl verantwortlich war (vom Widerspruch zur entsprechenden Bibelstelle, auf die ich hinwies, einmal abgesehen).
Um die Konferenz vor einem direkten Angriff des Monsters zu schützen, landet ein Erzengel mitten in London. Er ist nett genug, einige Minuten vorher eine telepathische Warnung zu senden, denn der Landeplatz wird dabei leider völlig plattgemacht. Man könnte den Effekt vielleicht mit einer stationären, nichtstrahlenden Atomexplosion vergleichen. Oder auch nicht. Die Beschreibungen des Autoren sind sehr eindrucksvoll und der Macht dieses Wesens angemessen. Der Erzengel wird jedoch nicht aktiv, weil eine Konfrontation mit Manovitch sicher ganz London verwüsten würde. Offensichtlich hat er ein besser entwickeltes Bewußtsein wie der gefühllose Engel des ersten Buches. Durch eine mysteriöse Frau namens Petra (Petrus??) vermittelt er den Wunsch, die Menschen mögen sich der bösen Kreatur aus der Hölle annehmen. Was die beiden Polizisten mit Unterstützung eines Erzdiakons Smith, Petras und von anderen Engländern auch tun.
Klar, daß sie es nicht gerade einfach haben. Danny Spitz verliebt sich in die mysteriöse Petra, die Plagen plagen alle und der Massenmörder Manovitch ist einfach nicht greifbar. Selbst dann nicht, als ihn ein Polizist fast aus Versehen erschießt!
Die Handlung schießt, wie schon zuvor, rasant dahin und kulminiert in einem prächtigen Feuerwerk. Es gibt viele Opfer, beinahe erwischt es auch einen der Polizisten, und der Horror kommt überhaupt nicht zu kurz.
Kilworth geht mit der Religion unkonventionell und kritisch um, ohne allerdings die Existenz eines höheren Wesens in Frage zu stellen. Im Gegenteil. Die Hauptfrage, weshalb der bei ihm existierende Gott - der ja per Definition allmächtig ist - das alles überhaupt zuläßt, kann auch er natürlich nicht zufriedenstellend klären. Eigentlich stellt er sie auch gar nicht erst. Nur einmal kommt er dem Problem nahe, als Peters gegenüber der Abgesandten Petra erwähnt, daß doch das Gute am Ende wohl zwangsläufig siegen müsse. Sie bestätigt das, sagt dann aber, daß nach einer zeitweisen Niederlage des Guten bei Armageddon die Menschheit möglicherweise erst einmal 10 Millionen Jahre unter dem Regime Satans leben könnte. Es ist eine nicht uninteressante Sicht auf die Religion, welche Garry Kilworth hier vertritt, und sicher eine Spielart der phantastischen Literatur, die so häufig noch nicht ist. 

SX 79

 

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