Gary Gygax: Die Anubis Morde

Gary Gygax: Die Anubis Morde
Dangerous Journeys # 1
(Heyne 06/4964)


Man kann ja bekanntlich aus allem einen Roman machen. Oder mehrere. Aus einer Story von A.C.Clarke wurde schließlich die (bis jetzt) dreibändige "Space Odyssee". Aus Filmen wurden unzählige Romane zum Film, die mehr oder weniger gute Bücher ergaben. Sogar aus Computerspielen wie "Shadowkeep" machte A.D.Foster einen (ziemlich schlechten) Roman. Aus einem Hörspiel schmiedete D.Adams seinen Erfolg (Oder sollte man besser schreiben "Aufstieg und Niedergang"?). Und - kommen wir zum Hintergrund des vorliegenden Buches - aus Rollenspielwelten ging bereits mehr als ein Zyklus hervor.
Natürlich hat es etwas mit Vermarktung zu tun, wenn man z.B. parallel zum Film das Filmbuch herausbringt. Andererseits kann nicht alles als pures Merchandising abgetan werden. Manches Buch zum Film gab mir schon ganz neue Einblicke in das Geschehen, z.B. "E.T.", wo auch die Gedanken des berühmtesten aller Außerirdischen geschildert werden. Und bei Star Trek hat das alles schon eine andere Dimension erreicht; die erscheinenden Bücher haben mit Episoden der Fernsehserie gar nichts mehr zu tun.
Ein wenig anders liegen Novellisierungen von Rollenspielen. Da es hier keine Handlungsvorlage gibt, muß der Autor tatsächlich einen eigenen Roman schreiben, der nur in der Rollenspielwelt handelt. Diese ist je nach Spielsystem mehr oder weniger vorgegeben. In der Regel sind die Geographie und Bevölkerung festgelegt, sowie die allgemeinen Gesetze, nach denen das Geschehen abläuft. In den meisten Systemen gibt es eine Art Weltbeschreibung . Natürlich können auch Spiele nach schon existierenden Büchern gestaltet werden, wie z.B. "Sturmbringer" nach Moorcocks "Elric". Das wäre wieder ein anderer Fall, der bei den Novellisierungen nur als Rückkopplung auf die Spiele auftritt, wenn im Roman vorkommende, unabhängige Dinge ins Spiel integriert werden.
Romane und Zyklen nach Rollenspielen befriedigen offensichtlich das Bedürfnis von Rollenspielern, mehr über ihre Spielwelt zu erfahren, mehr Abenteuer - eben auch als Buch - dort zu erleben, und vielleicht auch neue Anregungen zu finden. Wären diese Bücher nur das, so könnte man sie bestenfalls als weiteres Hintergrundmaterial betrachten und dem nächsten Spieleset beilegen. Zum Glück ist es nicht an dem, und auch der nicht mit der Rollenspielwelt vertraute Leser, welcher vielfach nicht mal Spieler ist, kann die Bücher lesen. Jedenfalls meistens. Das zieht wieder einen anderen Sinn solcher Werke nach sich. Erklärtes Marketingziel der großen Spielefirmen, die auch Romane auf den Markt bringen, ist es, durch diese Bücher neue Spieler zu gewinnen, d.h. Leute, die ihre teuren Spielesets kaufen. Dazu müssen die Romane die Qualität eines guten Zyklenbuches haben: trotz des Ärgers über die ständigen Fortsetzungen kauft der Leser immer weiter, weil er auf neue Abenteuer gespannt ist, weil ihn die Welt nicht mehr losläßt.
Der Autor mit dem merkwürdigen Namen Gygax schreibt zur Welt des Spiels "Dangerous Journeys" (Gefährliche Reisen). Unter der Bezeichnung Mythus 1, die mit Band 1 gleichzusetzen ist, erschien bei Heyne "Die Anubis Morde", was gefolgt werden soll durch "Die Lösung von Samarkand". Die DJ-Welt ist mir völlig unbekannt, offenbar stammt sie aus einer Firma namens Omega Helios Ltd., die das Copyright besitzt.
Möglicherweise wäre ein Vorwort zur Spielwelt mit einer ordentlichen Karte günstig gewesen, aber es fehlt halt. So müht sich der Autor anfangs auch ab, seine Welt durch die laufende Handlung zu erklären, was ihm nicht vollständig gelingt. Auf den ersten Seiten des Buches strömen Namen, Orte und magische Konzepte auf den Leser ein, die recht verwirrend wirken. Oberflächlich betrachtet, erinnert die Welt des Spiels an die Erde vor zwei- bis viertausend Jahren, wobei so eine zeitliche Festlegung allerdings zum Scheitern verurteilt ist. Man spricht einerseits von Pharaonen, andererseits befinden sich die Briten (bzw. Kelten) auf dem Stand der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung. Die Kultur ist allerdings noch höher, als es wirklich zu irgendeiner dieser Zeiten der Fall war. Manchmal wirken die Äußerungen und Gedanken der handelnden Personen sehr modern.
Es ist ja auch nicht die Erde, sondern die Parallelwelt (?) Ærde, und Ägypten ist Ægypten, Europa ist Æuropa usw. Man begegnet diesem komischen Buchstaben æ oft, auch in dem Begriff Dweomerkræftler, was eine Art Zauberer ist. Zwar tauchen auch bekannte Orte unserer Welt namentlich auf, wie London und Edinburgh, doch gleichberechtigt neben Atlantis, Avalon und Camelot. Nach einer Weile fand ich mich mit dieser recht verwirrenden Welt ab, denn das Geschehen begann spannend zu werden.
Mit Sicherheit hat sich Gygax von Garrets und Kurlands Lord Darcy inspirieren lassen, als er seinen Protagonisten Setne Inhetep erschuf. Wie dieser muß der ægyptische Zauberpriester Verbrechen aufklären, die in einer magischen Welt geschehen. Damit erhält das Buch neben seinem Fantasycharakter einen detektivischen Touch.
Setne wird zusammen mit seiner Begleiterin Rachelle nach Camelot geholt, weil eine geheimnisvolle Macht eine Reihe von Morden an hochgestellten Persönlichkeiten verübte, und sich dabei des ægyptischen Anubis-Kultes bediente. Das Buch dreht sich um seine Ermittlungen und die Aufklärung des Falles.
Die Handlung wird nach den einleitenden Verwirrungen zwecks Einführung in die DJ-Welt auch recht spannend. Der Zauberpriester löst natürlich den Fall, selbst als seine Situation schon ausweglos zu sein scheint. Und natürlich bleibt am Ende dennoch etwas offen, es soll schließlich weitergehen.
Die Figur Setne Inheteps ist am sorgfältigsten gestaltet, vielleicht ist er aber schon wieder ein wenig zu mächtig als Magier, um noch interessant zu wirken. Seine Leibwächterin Rachelle hat keine besonders hervorstechenden Merkmale, außer daß sie ständig Hunger hat und futtert, ohne jedoch von ihrer vorteilhaften Figur abzuweichen. Das gilt auch für die anderen Personen des Buches. Gar zu schnell ist ein Böser im vermeintlichen Verbündeten zu erkennen. Zu nebulös bleiben die anderen wichtigen Leute. Darin sehe ich einen Fehler des Buches.
Jedoch kann man es durchaus lesen, wenn man nicht zu hohe Ansprüche stellen will. Es hat einen Unterhaltungswert, denn die Detektivgeschichte ist, wie sie sein sollte - spannend. Vor allem hat das Buch nicht den einen Nachteil, den man gerade bei Büchern nach Rollenspielen schnell vermutet: Es beschreibt keine Quest von Abenteuer zu Abenteuer, die nur zum Sammeln von Erfahrungspunkten aneinandergereiht wurden. Es beginnt nicht mal in der traditionellen Schenke, auch fehlt die so typische Heldengruppe. Der Roman ist damit wirklich nur ein Roman, der in der DJ-Welt handelt.
Vielleicht wird in den nächsten Bänden das Bild dieser Welt, die mir jetzt noch reichlich zusammengewürfelt erscheint, etwas klarer, doch auch auf die nächsten Fälle des Zauberpriesters werde ich warten.

[The Anubis Murders, © Gary Gygax 1992, übersetzt von Christian Jentzsch, 1993, 270 Seiten, DM 12.80]

SX 36


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