George R. R. Martin (Hrsg.): Wild Cards 1 - Vier Asse
(Heyne 06/5601)
Der Startschuß ist nun - zehn Jahre später als in den USA
- endlich auch in Deutschland gefallen - der Wild Cards Zyklus hat begonnen!
Und der deutsche Leser kann sich doppelt freuen, nach dem Prinzip aus eins
mach zwei werden die Bücher jeweils geteilt veröffentlicht. Angeblich
geschieht dies wegen des großen Umfanges, doch seit "Spinnenkrieger"
glaube ich nicht, daß selbst ein Taschenbuch noch Scheu vor Umfang
haben muß. Es wird also ein langes Leseabenteuer werden.
"Vier Asse" ist ein sogenannter Mosaikroman. Neben Martin haben sich
noch fünf weitere Autoren an dem Buch beteiligt, aber es ist dennoch
kein Erzählungsband geworden. Eine Gruppe von SF-Autoren um den Herausgeber
beschäftigte sich Anfang der 80er Jahre auch mit Rollenspielen. Irgendwann
wurde die Idee geboren, daraus Romane (und Geld) zu machen. Nun ist das
so neu nicht, die Novellisierungen von Rollenspielwelten haben den Markt
geradezu überschwemmt. Die Spielrunde ging allerdings recht großangelegt
an die Sache heran. Weitere Autoren wurden angesprochen, ein Verlag für
die Idee gewonnen, und dann ging es los... Es handelt sich auch nicht um
Hintergrundromane zum Spiel "Superworld". Diese Spielewelt lieferte wahrscheinlich
nur die Ausgangsidee.
Einen großen Einfluß auf die Wild Cards-Welt hatten offenbar
auch Comics. Die Helden ähneln nicht nur Comicfiguren - sie haben
auch deren Fähigkeiten. Wer den Film "Die Maske" gesehen hat, bekommt
eine gewisse Vorstellung davon, was dadurch möglich wird.
Ein Projekt, einen - oder mehrere - Romane durch ein Team von Autoren
schreiben zu lassen, klingt sicher zunächst einmal ziemlich fragwürdig:
Viele Köche verderben den Brei. Aber unter Martins Leitung ist es
gelungen. Es ist ein Buch herausgekommen, das ich mit Begeisterung gelesen
habe, auch wenn ich viele Anspielungen auf Comics der 40er und 50er Jahre
nicht richtig verstand und mir in der zweiten Hälfte das Lachen sehr
im Halse stecken blieb.
In einem kleinen Essay stellt als erstes John J. Miller "Die Geschichte
des Wild Cards-Projekts" vor - was durchaus lesenswert ist. Dann fängt
das Buch mit einem Prolog an und geht mit vier Kapiteln unterschiedlicher
Autoren weiter. Man kann diese als Stories betrachten, sie haben auch unterschiedliche,
abgeschlossene Handlungen, aber sie hängen andererseits inhaltlich
so sehr zusammen, daß der Begriff Roman angebrachter ist.
In diesem ersten Roman wird die Geschichte der Anfänge von Wild
Cards erzählt. Und anfangen tat es kurz nach dem Krieg, dem 2. Weltkrieg.
Ein außerirdisches Raumschiff mit einem ziemlich albern und sehr
menschlich aussehenden Außerirdischen an Bord landete, und der Passagier
stellte die berühmte "Take me to your leader!"-Forderung. Nur machte
das Militär da nicht mit, sondern verhörte "Dr. Tachyon" so lange,
bis es zu spät war. Der Gast wollte nämlich nichts anderes, als
die Menschen vor er Fracht eines anderen, abgestürzten Schiffes warnen,
das er verfolgt hatte.
Viren.
Das Wild Cards-Virus.
Schon vor Ausbruch des Virus' sind einige Gestalten die reinsten Comicfiguren.
Der Bösewicht Dr. Tod, der den Behälter an sich bringt und zwecks
Erpressung über Manhattan abwerfen will, genauso wie sein Gegenspieler
"Jetboy". Der Düsenjägerpilot Jetboy scheitert und das Virus
wird freigesetzt. Was folgt, erinnert an die Goblinisierung aus Shadowrun.
Neun von zehn Menschen tötet das Virus, neun von zehn Überlebenden
werden schrecklich deformiert, einer von zehn erlangt scheinbar übernatürliche
- Superheldenkräfte. In der Kartenspielerterminologie Pik Dame (tot),
Joker (Mutant) und As.
In dem folgenden Chaos finden sich rasch Leute, die ihren Nutzen aus
den neuen As-Fähigkeiten ziehen möchten. Die vier Asse sind welche,
die von einem Politiker rekrutiert und zur Regelung der Nachkriegszeit
benutzt werden. Doch ihrem Aufstieg - sie jagen z.B. versteckte Nazis und
retten Ghandi vor dem Attentäter - folgt der Fall, als sie die Abspaltung
Taiwans von China nicht aufhalten können. Spätestens hier muß
der Leser des Buches etwas für seine Allgemeinbildung tun und auffrischen,
was in den Vierzigern denn nun eigentlich los war. Denn da hält sich
das Buch mehr oder weniger an die Realität und entfaltet nun nicht
etwa eine Alternative Geschichte. Und spätestens hier kommt auch der
Punkt, wo man nicht mehr lachen kann. Schon mal was von McCarthy und seiner
Ära gehört? Die gibt es hier auch, nur statt der anfänglichen
Kommunistenjagd entfaltet sich eine Hexenjagd auf die Asse.
Ich weiß nicht, wie man in den USA heute zu McCarthy steht, ob
man es lieber verdrängt oder so, aber Walter Jon Williams ("Der Zeuge")
und Melinda M. Snodgrass ("Erniedrigungsrituale") benutzen den ersten Wild
Cards-Roman, um eine knallharte Abrechnung mit der McCarthy-Ära vorzulegen.
Die Hilflosigkeit der Superhelden ist dabei am erschreckendsten. Eben noch
haben sie für Amerika und die Demokratie im Krieg gekämpft und
danach als Asse Wunder vollbracht, da werden sie von faschistoiden Richtern
vor den Untersuchungsausschuß gezerrt und verurteilt. Sie setzen
ihre Fähigkeiten kaum ein, um sich zu verteidigen - was sollen sie
auch machen, wenn sie sich nicht gegen ihr Land stellen wollen?
Der Außerirdische Dr. Tachyon endet als Bettler auf einer Parkbank,
andere kommen ins Gefängnis oder die Irrenanstalt. Doch damit kann
es natürlich nicht zuende sein. Man fragt sich am Schluß des
Buches, was nun kommt, da uns die Autoren aus den 40er Jahren in die 80er
geholt haben. Geht es nun richtig los? Was wird passieren?
Auf jeden Fall ist alles möglich - und dann vielleicht doch wieder
nicht. Wenn man wie im ersten Buch so dicht an der wirklichen Geschichte
bleibt, wird es interessant sein, zu beobachten, wie es die Autoren fertigbringen,
beides zu vereinen, was ihre Gedankenexperimente zum Ergebnis haben werden.
Ich bin gespannt darauf, was 40 Jahre mit Wild Cards-Talenten der Welt
gebracht haben, wenn die Handlung tatsächlich in den 80ern weitergeht.
Also werde ich mich schon mal daran machen "Asse und Joker" zu lesen, denn
dieser Band liegt ebenfalls schon vor.
Klar, daß ich mir die anderen auch reinziehen werde, solange
sie so gut sind wie der Einstieg.
Wild Cards I (1.Teil), (c) by George R. R. Martin 1986, übersetzt von Christian Jentzsch 1996, 318 Seiten, DM 12.90
SX 76
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