George R. R. Martin (Hrsg.): Wild Cards 2 - Asse und Joker
George R. R. Martin (Hrsg.): Wild Cards 2 - Asse und Joker
(Heyne 06/5602)
Kommen wir nun zum zweiten Teil (des ersten Buches) der Wild Cards.
Falls jemand damit noch nichts anfangen kann, lese er/sie zuvor bitte meine
Rezi in SX 76. Auf einige Dinge möchte
ich nach so kurzer Zeit nicht noch einmal eingehen.
Wieder handelt es sich um einen sogenannten Mosaikroman, der diesmal
von folgenden Autoren geschrieben wurde: George R. R. Martin, Lewis Shiner,
Victor Milán, Edward Bryant & Leanne C. Harper, Stephen Leigh
und John J. Miller. Einige hier nicht so bekannte Schreiber und ein paar
recht gut bekannte also. Das Buch ist auch diesmal in einzelne Kapitel
und Zwischenspiele unterteilt, die von den verschiedenen Autoren verfaßt
wurden.
Man muß vielleicht noch einmal betonen, daß es sich hierbei
nicht um eine Storysammlung handelt, deren Geschichten nur in einer Shared
World spielen, aber sonst voneinander unabhängig sind. Die Geschichten
wurden mit einem klar umrissenen Konzept geschrieben, und sie teilen sich
die Welt und die handelnden Personen mit aller Konsequenz. Nach ihrer Fertigstellung
wurden sie offensichtlich geprüft und nochmals überarbeitet,
damit sie genau ins Konzept passen. Daher kann man das Projekt mit gutem
Recht einen Roman nennen. Viele Leser neigen ja dazu, Romane den Anthologien
vorzuziehen, hier braucht man keine Zerstückelung zu fürchten.
Die Stories schließen inhaltlich direkt an die im ersten Band
an, sie spielen in den fünfziger bis siebziger Jahren in den USA.
Nachdem die Asse und Joker zunächst den Verfolgungen der paranoiden
McCarthy-Ära ausgesetzt waren, gelangen sie nun wieder zu größerem
Ansehen. Sogar der vorher arg in Ungnade gefallene Außerirdische
Dr. Tachyon taucht wieder auf und bekommt die Möglichkeit, in einer
eigenen Klinik die Auswirkungen des Wild Card Virus zu erforschen. Es geht
nun darum, wie einzelne Asse der nächsten Generation ihre besonderen
Fähigkeiten entdecken und verwenden, dabei sind sie allerdings nicht
nur "die Guten". Jede Fähigkeit kann mißbraucht werden, also
auch die der Asse. Außerdem lernt der Leser meist indirekt die schrecklichen
Entstellungen der Joker kennen, mit denen diese lernen müssen, zu
leben. Etliche Figuren werden auf diese Weise erst einmal angelegt, sicher
zur späteren Verwendung. Es ist schließlich der Einführungsroman,
da geht Vorstellung und Erklärung noch ein wenig auf Kosten der durchgehenden
Handlung.
Auch ein anderer Trend wird fortgesetzt, den ich für sehr bemerkenswert
halte. Rechneten die Autoren in Teil 1 noch bitterböse mit McCarthy
ab, so halten sie in diesem Buch weiter den Amerikanern einen Spiegel vor.
Vietnam und Watergate, Kennedy und Nixon, überhaupt alles, was in
den vierzig Jahren bis Anfang der 80er in den USA wichtig war, bleibt so
bestehen, wie es tatsächlich geschehen ist! Durch die Wild Cards wird
die reale Geschichte nicht umgeschrieben, sondern nur soweit verfremdet,
daß der Leser aufhorcht und mit neuem Interesse von den scheinbar
schon längst vergessenen Geschehnissen liest. Martin und sein Team
wollen keine Alternativwelt aufbauen, sondern sie scheinen etwas anderes
vorzuhaben, jedenfalls, solange sie mit den Büchern in der Vergangenheit
bleiben.
Neben aller Politik sind die Bücher natürlich auch eine Hommage
an die Leseerlebnisse der Jugend der Autoren. Vor allem sind da die Comics,
aus deren Repertoire an Superhelden sie kräftig schöpfen. Irgendwie
ist es auch logisch, daß ein Mensch jener Zeit, der plötzlich
entdeckt, daß er ein As ist, also z.B. schwere Gegenstände mit
seiner Willenskraft heben kann, sich wenig später wie ein Comic-Held
zu verhalten beginnt, noch dazu, wenn er vorher ein begeisterter Leser
derselben war.
Zu den Inhalten der einzelnen Abschnitte möchte ich hier lieber
gar nichts sagen. Die Kapitel sind spannend und unterhaltsam, aber manchmal
geht es auch ganz schön hart zu. Teilweise finden sich Ähnlichkeiten
mit Shadowrun, nur daß hier die Magie als Quelle und Folge der Veränderungen
fehlt. Die Situation ist ja ähnlich - das mehr oder weniger unfreiwillige
Zusammenleben von normalen Menschen mit "unnormalen" - seien sie nun deformiert
oder übermenschlich. Zweifellos ergeben sich daraus Konflikte, um
das zu erkennen, braucht man sich keine Bücher durchzulesen.
Wild Cards I (2. Teil), (c) by George R. R. Martin 1986, übersetzt von Christian Jentzsch 1996, 316 Seiten, DM 12.90
SX 77
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