Greg Bear: Moving Mars

Greg Bear: Moving Mars
(Tor Books 1993, 500 Seiten, $ 5.99)


Der rote Planet ist momentan (in den 90ern) ein Modethema, obwohl er nun doch nicht zum Ziel der bemannten Raumfahrt geworden ist, wie wir noch vor Jahren hofften. Doch es ist auffällig, wie viele "große" Bücher in letzter Zeit über das Thema der Ersterforschung oder Besiedelung unseres Nachbarplaneten in nächster Zukunft geschrieben worden sind. Es ist nicht mehr Burroughs Mars und auch nicht Bradburys, der heute beschrieben wird. Aber an einige Traditionen knüpfen Autoren wie Bova, Robinson und Bear schon an. Clarkes "The Sands of Mars" oder Asimovs "The Martian Way" fallen einem ein.
Greg Bear nimmt sich in seinem Roman eines der ganz alten Probleme an, die in der SF immer wieder geschildert werden: Die junge, dynamische Kolonie, welche sich gegen das gierige, alte, verknöcherte Mutterland wehrt. Mars gegen Erde also. Wahrscheinlich ist das eine Art Aufarbeitung amerikanischer Geschichte, des Unabhängigkeitskrieges gegen England im 18. Jahrhundert. An einer Stelle wird auch die amerikanische Demokratie und Verfassung als die bestmöglichste für den Einigkeit anstrebenden Mars bezeichnet, die von der Geschichte hervorgebracht worden ist. Davon mag man halten, was man will, es deutet zumindest auf eine bestimmte Denkrichtung hin.
Andererseits reflektiert die Mars-Erde-Konstellation sicher auch globalere Probleme der Menschheit. Das Verhältnis der westlichen Welt zu den sogenannten Entwicklungsländern zum Beispiel. Andere Unabhängigkeitsbewegungen und -kriege.
Oder auch das Eltern - Kind - Verhältnis, bzw. daraus resultierende Konflikte.
Da so etwas schon oft gemacht worden ist, liegt es nun daran, was der Autor aus diesem Thema entwickelt. Und hier hat Greg Bear sich einiges einfallen lassen. Mehr als andere Autoren dringt er in die Tiefen politischer Verwicklungen vor, analysiert er Zusammenhänge, wie sie bei einer so gegebenen Situation sicher entstehen könnten. Allerdings liegt hierin auch teilweise die Gefahr, den Leser, der für fiktive Politik kein Interesse aufbringt, weil ihn schon die reale nicht mehr interessiert, zu langweilen. Zum Glück beschränkt sich der Roman nicht auf interplanetare Intrigen.
Die Hauptpersonen des Buches, vor allem die erzählende Heldin Casseia Majumdar, sind ausgezeichnet charakterisiert. David Brin meinte, "alle von Bears Ideen, all das Abenteuer und die Action sind nicht zur Hälfte vergleichbar mit seiner besten Schöpfung - diesem Schatz von einer Marsianerin, Casseia Majumdar." Und damit hat er vollkommen recht. Die Gestalt ist durch und durch menschlich, sie beginnt als unreife Studentin und entwickelt sich bis zur verantwortungsbewußten Staatsfrau. Sie macht Fehler und lernt aus ihnen, sie erfährt Leid und Glück und trifft die schwerste Entscheidung, die je ein Mensch treffen mußte, wohl wissend, daß man es ihr nicht danken wird.
Zu dieser guten Personencharakterisierung und -führung kommen viele Details, die ein komplexes Bild des Mars ergeben, angefangen von der marsianischen Zeitrechnung, die mich an Heinleins Podkayne vom Mars erinnerte, über die Sprache bis hin zu technischen Fragen und der gewachsenen Sozialstruktur der Siedlerfamilien. Am Rande ist interessant, daß Bear auch einige deutsch Worte in den Sprachgebrauch der Marsianer aufgenommen hat, um die kulturelle Vielfalt der Besiedlung anzudeuten. Das frühe Amerika läßt grüßen. Statt Roboter gibt es z.B. "arbeiters", die überall herumwimmeln. Im Verein mit der allgegenwärtigen Nanotechnologie und den "Denkern", hochentwickelten Computerintelligenzen, die offenbar ohne weiteres als Personen akzeptiert werden, machen die arbeiters den Hintergrund der Gesellschaft des Jahres 2171 aus.
Und schließlich läßt Bear noch eine wissenschaftliche Idee auf den Leser los, die den hard core SF-Gehalt des Buches noch unterstreicht. Es gelingt ihm, die Vision eines völlig neuen naturwissenschaftlichen Durchbruches zu vermitteln, der einen radikalen Paradigmenwechsel zur Folge hat. Die sogenannte Deskriptortheorie und ihre praktischen Applikationen ermöglichen es schließlich nicht nur, den "Mars zu bewegen", sondern führen auch zu einem dramatischen und brutalen Konflikt zwischen Erde und Mars.
Immer bleiben die Handlungen der Helden nachvollziehbar, auch in ihrer Zögerlichkeit, ihren Zweifeln. Es ist eine Entscheidung mit übermenschlicher Verantwortung zu treffen, die am Ende folgerichtig die Entscheidungsträger und die Ausführenden zu Opferlämmern werden läßt.
Zwar wird der junge Mars gerettet und einer leuchtenden Zukunft zugeführt, Casseia aber, die als Präsidentin die kritischen Befehle zu geben hatte, verliert nicht nur alle, die sie liebt, sondern auch ihre Freiheit. Dieses fehlende Happy End ist notwendig, um die ganze Tragik der sich unausweichlich entwickelnden Konfliktsituation deutlich zu machen. Es wird jedoch durch ein "Nachwort" gemildert, in dem die spätere Rehabilitierung Casseias angedeutet wird.
"Moving Mars" ist ein großartiges Buch; nicht unbedingt, weil es die Besiedelung des Mars und die Erringung seiner Freiheit und Unabhängigkeit schildert, sondern weil Greg Bear für den Leser sowohl den Blick auf weite Horizonte der Vorstellungskraft öffnet, als auch auf sehr menschliche Schicksale und Beweggründe. Beides ist ihm in diesem Buch gleich gut gelungen.

SX 65


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