Hal Clement: Die Flüsse der Tiefe

Hal Clement: Die Flüsse der Tiefe
(Heyne 06/5048)


Hal Clement ist einer der wenigen SF-Autoren, die noch immer sogenannte hard core SF schreiben, was mit diesem Begriff sogar auf der Buchrückseite erwähnt wird. Er schrieb u.a. die beiden Nadel-Romane, "Die Nadelsuche" und "Das Nadelöhr", in denen es um einen außerirdischen Symbionten geht, der im Inneren eines Menschen lebt. Clements Bücher zeichnen sich durch eine hohe "Wissenschaftlichkeit" aus, was ja die hard core SF ausmacht.
Ich lese gern diese Art der SF, in der es von Technik und Wissenschaft und Pseudotechnik und Pseudowissenschaft wimmelt, die Art SF, die sich noch wie zu ihren Anfängen mit einer wissenschaftlichen Idee beschäftigt, wo die Idee der Held ist, wie Aldiss einmal schrieb (glaube ich). Dieses Buch zeigt allerdings, daß man es auch übertreiben kann.
Kurz gesagt, es liest sich wie ein Text aus einem Lehrbuch der Chemie, zwischen dessen Kapitel eine - zudem ziemlich dürftige - Handlung eingefügt wurde.
Der Hintergrund ist recht interessant. In sehr ferner Zukunft lebt kein Mensch mehr auf der Erde, allenfalls noch nach der Pensionierung. Die Menschen leben inmitten einer Unzahl intelligenter Aliens im ganzen Kosmos, ständig Schutzanzüge tragend, sogenannte Panzer, und sich mittels Übersetzungsgeräten verständigend. Die berühmte Hafenbar im "Star Wars" dürfte sich neben dieser Ansammlung unterschiedlicher Lebensformen recht blaß ausnehmen. Die Protagonisten, eine Menschenfrau namens Molly und vier Aliens, sind Studenten an einer Art galaktischen Universität, die sich auf gewissen "Schulplaneten" befindet. Was sie eigentlich studieren und mit welchem Ziel, blieb mir verborgen. Jedenfalls werden sie zu einer Art Prüfung losgeschickt, den Planeten zu erforschen, der sinnigerweise Enigma (Rätsel) heißt. Offenbar machen das alle Studenten seit Jahrtausenden! Die Ergebnisse werden von der Uni stets geheimgehalten, damit sich die nächsten schon auf dieselbe Prüfung freuen können... Die Studenten müssen sich so fühlen, als ob sie Sandberge quer durch die Wüste zu schaufeln haben. Das Konzept erscheint mir sogar für eine fremdartige Geisteshaltung von Aliens irrwitzig.
Die Handlung dreht sich nun darum, wie die fünf Studiosi auf Enigma von einem Unheil ins nächste stolpern. Sie forschen und forschen, sogar als sie in akuter Lebensgefahr schweben, brabbeln sie noch diffizilie Theorien vor sich hin. Ein großer Teil des Buches spielt unter der Oberfläche. Ab dem Punkt, wo Molly in einen Krater rutscht und sich das Geschehen in den Keller verlagert, erscheint das Verhalten der Leutchen echt unsinnig. Ich fragte mich zum Beispiel die ganze Zeit, warum Molly nicht einfach stehen blieb und auf Rettung wartete. Stattdessen klammert sie sich an einen Forschungsroboter, den sie weder steuern noch beeinflussen kann und läßt sich von ihm in die Tiefe tragen. Nach und nach krabbeln alle anderen hinterher, um sie zu suchen - und natürlich weiter wissenschaftlich tätig zu sein. Das ist unglaubwürdig.
Selbstverständlich geht am Ende alles noch gut aus, was soll man schon anderes erwarten. Die Figuren Clements bleiben recht blaß, einzig der Alien Joe wird charakterlich etwas herausgearbeitet, allerdings nur über das Klischee des emotionslosen Intellektuellen, der die Vaterfigur abgibt. Ihre Handlungsweise war mir genauso unverständlich wie das wissenschaftliche Kauderwelsch über komplizierte chemische Prozesse im Planeteninneren. Bis zum Schluß konnte ich mir nicht vorstellen, wie das nun alles funktionierte: Enigma blieb mir ein Rätsel.
Clement versucht hauptsächlich, die Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der verschiedenen Aliens und ihrer natürlichen Umwelt darzustellen. Für die meisten ist z.B. das Licht, das Molly zum Sehen benutzt, viel zu kurzwellig, ja sogar gefährlich. Sie sehen im Infrarotbereich. Erhebt sich gleich die Frage, warum marschieren Molly und die Alien Carol tagelang unterirdisch herum, mit ihren jeweiligen Lampen ausgerüstet, ohne sich dabei gegenseitig auch nur zu stören?
Das Anliegen ist erkennbar, der angedeutete Hintergrund - die galaktische Zivilisation und das Zusammenleben in ihr - ist nicht uninteressant. Aber das Buch ist extrem schwer lesbar. Es ist völlig überfrachtet mit komplizierten wissenschaftlichen Erklärungen, die der Durchschnittsleser (alle anderen außer Chemikern) wohl kaum verstehen dürfte. Da die Erklärungen aber wichtig sind, um zu begreifen, was da überhaupt vorgeht, kann man nur den Kopf schütteln. Die Idee ist der Held und handelt, was sie aber macht, bleibt unklar.
Den Todesstoß versetzte dem Buch aber der Übersetzer. Herr Petri scheint noch nie etwas von englischen Redewendungen gehört zu haben, oder er war einfach zu faul, um sie nicht wörtlich zu übersetzen. Er benutzt vielfach englische Satzkonstruktionen, was im Deutschen unlesbar ist. Und warum übersetzt er "species" (Art, Rasse, Spezies) mit Species; oder Vakuum mit Vacuum? Das ist genauso blöd wie Zigaretten, die Cigaretten heißen, oder chinesische Kinesen. Das schon inhaltlich kaum nachvollziehbare Buch wird durch die schlechte deutsche Sprache zu einer Qual für jeden Leser.

["Still River", Hal Clement 1987, übersetzt von Winfried Petri 1993, 365 Seiten, DM 12,90] 

SX 44

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

David Gerrold: Inmitten der Unendlichkeit

Jack McDevitt: Die Küsten der Vergangenheit

Piers Anthonys Xanth