Hal Clement: Schwere Welten
Faszinierend
wissenschaftlich
Hal Clement: Schwere Welten
(Heyne 06/4271)
Wenn sich jemand berechtigterweise entschließt, 14.80 DM auszugeben
und "Schwere Welten" zu erwerben, sollte er vorsichtshalber erst einmal
genauer in das Buch und seinen Bücherschrank schauen. Zum Glück
hat man bei Heyne die rote Ecke auf dem Cover eingeführt, die nicht
bedeutet, daß das Werk Streng Geheim ist, sondern daß es eine
Neuauflage darstellt. Wer sich damit auskennt, ist also schon mal gewarnt.
"Schwere Welten" ist nämlich "Unternehmen Schwerkraft" (Mission of
Gravity) und "Stützpunkt auf Dhrawn" (Starlight) in einem Band. Ersterer
Titel erschien bereits 1953, letzterer wurde 1971 nachgereicht.
Hal Clement gehört unbestritten zur hard core - Gilde der SF-Autoren.
Er ist bekannt dafür, Welten mit besonders exotischen physikalischen
Bedingungen zu entwerfen, um seine Protagonisten dort die ungewöhnlichsten
Abenteuer erleben zu lassen. Und ganz nebenbei lernt der aufmerksame Leser
auch etwas darüber, wie unsere Naturgesetze beschaffen sind - durch
die Anwendung völlig anderer Bedingungen eben. Clement ist also einem
Anliegen der SF verpflichtet, das von vielen schon längst totgesagt
wurde. Aber deshalb wirken seine Bücher keineswegs belehrend oder
antiquiert. Im Gegenteil, Clement vermag es außerordentlich geschickt,
Handlung in den Vordergrund seiner ungewöhnlichen Welten zu
stellen. Es hört sich so einfach an: man stelle sich eine Welt vor,
die so und so beschaffen ist, wie müßten dann Lebewesen dieser
Welt aussehen, und vor allem - wie würden diese ihre Welt reflektieren?
Freilich kann jetzt der Autor zu spinnen anfangen, sich darauf verlassend,
daß sein Buch nicht allzuvielen besserwisserischen Schlaubergern
in die Hände fällt. Er kann aber auch mit Sachverstand und Kompetenz
recherchieren und ein wenig rechnen, um seine Welt logisch und wahrscheinlich
zu machen. Denn der SF-Leser möchte in der Mehrzahl der Fälle
eine glaubhafte Welt vorgesetzt bekommen, und keine, die sich in
Widersprüchen verheddert. Hal Clement hat sich die Mühe gemacht
und wußte offenbar genau, was er da schrieb.
Der Planet, den er sich ausgedacht hat, besitzt eine Methanatmosphäre,
ist sehr kalt und äußerst stark abgeplattet. Eine weitere Besonderheit
ist, daß seine Anziehungskraft an den Polen einige hundert Mal stärker
ist als die irdische, zum Äquator hin jedoch auf 3 G sinkt. Aus diesem
Grund hat man (Menschen und offenbar auch Aliens) eine besondere automatische
Rakete am Pol gelandet, um Messungen durchzuführen. Doch der Rückstart
mißlang, so daß die wichtigen Ergebnisse, von denen man sich
Aufschlüsse über das Wesen der Gravitation erhofft, nicht geborgen
werden können.
Zum Glück leben auf dem Planeten die intelligenten Meskliniten,
die in der Lage sind, sich in allen Regionen (bei 700 G Unterschied!) zu
bewegen. Diese Wesen sehen aus wie Tausendfüßler und sind auch
nur einige Zentimeter groß. Ihre Vorstellungswelt ist ganz von den
eigenartigen Bedingungen des Planeten geprägt, dessen Oberfläche
ihnen wegen der hohen Refraktion der Atmosphäre schüsselförmig
erscheint. Der Hauptheld des ersten Buches ist ein solcher Mesklinit namens
Barlennan, Kapitän eines Segelschiffes (eher ein Floß) und Händler.
Seine Motive und Handlungen sind allerdings völlig menschlich,
was aber nicht stört. Einen Menschen als ständigen Protagonisten
einzusetzen, wäre unglaubwürdig gewesen, ein Eingeborener kann
natürlich die gefährliche Reise über den Planeten machen,
die der Autor uns erzählen will. Barlennan ist von den Menschen dazu
überredet worden, zu der bewußten Rakete zu reisen, um für
sie die Daten zu bergen. Er hat vor, das auf seine Weise auszunutzen.
Es geht also in diesem Buch nicht um den Kontakt mit der erstaunlichen
Lebensform der Meskliniten, es gibt keine Probleme zwischen ihnen und den
Menschen, die Verständigung ist längst durch spezielle Funkgeräte
gesichert und einige der Einheimischen können schon fließend
Englisch sprechen.
Thema der Handlung ist die Reise der Bree, des Schiffes, durch
viele unerforschte (auch für die Meskliniten) Gebiete, die Begegnung
mit verschiedenen Gefahren, die Darstellung der planetaren Besonderheiten
und deren Wechselwirkung mit den Lebewesen. Ohne eine mit Abenteuern überladene
Quest von Punkt zu Punkt darzustellen, schafft es das Buch, diesem Ziel
gerecht zu werden. Es ist spannend und interessant zu lesen, es ist wissenschaftlich,
ohne unverständlich zu werden. Wie ein SF-Buch sein sollte.
18 Jahre später kam die Fortsetzung als "Starlight" (Stützpunkt
auf Dhrawn). Dieser Roman handelt 50 Jahre nach den Ereignissen des ersten
Bandes auf einem anderen Planeten, Dhrawn, der Mesklit in seinen physikalischen
Bedingungen ähnlich ist. Haupthelden sind wiederum Barlennan und Dondragmer,
die beiden Meskliniten aus dem ersten Teil, denn ihre Rasse ist sehr langlebig,
verglichen mit den Menschen und anderen vernunftbegabten Wesen. Außerdem
sind da noch die Menschen, welche den Planeten in sicherer Entfernung umkreisen.
Sie haben die Meskliniten angeheuert, ihn für sie zu erforschen.
Barlennan hatte die Menschen am Schluß des Unternehmens Schwerkraft
gezwungen, zuzusagen, ihm und anderen seiner Rasse in angemessenem Umfang
Wissen zu vermitteln. Eine interessante Sache, ist es doch in der SF geradezu
eine Doktrin, daß unterentwickelten Kulturen möglichst kein
technisches Wissen gegeben werden soll. Clement stellt hier die Frage:
Mit welchem Recht? - und - Wieso eigentlich nicht? Und im zweiten Band
negiert er diese Infragestellung zwar nicht wieder, aber er relativiert
sie.
Einige hundert Meskliniten unter dem Kommando Barlennans haben auf
dem Planeten eine Basis errichtet und betreiben die Erforschung dieser
Wasserstoff-Ammoniak-Welt, bei der die Menschen sich fragen, ob sie nicht
ein verhinderter Stern ist. Dazu benutzen die Meskliniten große Fahrzeuge,
welche die Menschen speziell für sie konstruiert haben.
Hauptsächlich dreht sich das Geschehen in diesem Teil darum, wie
das Fahrzeug Dondragmers in Schwierigkeiten gerät und diese dann ziemlich
knapp gemeistert werden. Im Hintergrund dieser Handlung stehen jedoch die
geheimen "Machenschaften" der Meskliniten. Denn Barlennan will seine Leute
von den Menschen unabhängig machen, er kämpft weiter mit seinen
Methoden gegen die bewußte und unbewußte Bevormundung. Viel
Raum für Spannungsmomente also, der auch weidlich genutzt wird.
Der Stil des zweiten Teils unterscheidet sich deutlich vom ersten,
allerdings nicht nachteilig. Clement benutzt nun eine Erzählersprache,
die kühl, distanziert beobachtend und analysierend sachlich bleibt.
Die einizigen Emotionen, die der Junge Benjamin verbreitet, wirken tatsächlich
sogar fehl am Platz - seine eigene Mutter steht dabei neben ihm und beobachtet
sein Verhalten mit fast wissenschaftlichem Interesse. Die Vorgänge
werden minutiös geschildert, Sekunden und einzelne geäußerte
Worte scheinen eine Rolle zu spielen. Manchmal legt Clement erklärende
Erzählerpassagen ein, die das Ganze als Bericht erscheinen lassen,
bei dem immer klar ist, daß der Berichtende den Ausgang und die Zusammenhänge
schon kennt. Dieses Mittel führt dazu, daß sich eine große
Spannung aufbaut, denn man fragt sich ständig, was diese vielfältigen
Zusammenhänge denn nun bewirken werden. Eigentlich bewirken sie dann
aber doch nichts, jedenfalls nicht den großen Knalleffekt,
nicht die Schlußauflösung. Sie sind nur wichtig, um den
weiteren Handlungsverlauf zu begründen.
Es ist wieder eine physkalisch abnorme Welt, die man Hal Clement aber
dennoch abnimmt, und eine komplizierte Situation, in der sich die Protagonisten
zurechtfinden müssen. Aber ich habe hier sicher schon wieder zuviel
vom Inhalt erzählt. Schweigen wir also über den Rest, selber
lesen lohnt sich wirklich.
SX 25
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