Hans Bach: Germelshausen, 0.00 Uhr
Hans
Bach: Germelshausen, 0.00 Uhr
(Verlag Neues Leben 1985, Reihe Basar, 270 Seiten)
Es gibt eine Art Sage, auf die das Buch zurückgreift, die Friedrich
Gerstäcker (1816-1872) zuerst (?) erzählte. Jedenfalls kann man
die Geschichte "Germelshausen" z.B. nachlesen in dem Sammelband "Die Toten
sind unersättlich" vom Aufbau Verlag 1986. In ihr kommt ein junger
Künstler in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in eine Art
verwunschenes Dorf, das nur alle hundert Jahre mal aus dem Sumpf auftaucht.
(Vom Alter her könnte der Maler Arnold übrigens Gerstäcker
selbst gewesen sein.) Also kein besonders herausragendes Thema, seit Plato
geistern versunkene Erdteile, Städte und Dörfer wohl überall
durch die Phantasie der Menschen.
Das Germelshausen Bachs taucht aller 25 Jahre aus dem Moor auf, wenigstens
scheinbar. Dieses Moor befindet sich in einem fiktiven heutigen mitteleuropäischen
Land namens Riedland - was man eigenartigerweise mit Sumpfland übersetzen
könnte. Auch die Namen seiner Personen sind in ihrer Nationalität
vage gehalten, sie klingen französisch oder schweizerisch, aber auch
nicht so ganz. Alle anderen Bezüge zeigen, daß Riedland sehr
wohl in dieser unserer Welt existieren mag: 2. Weltkrieg, russische SS
20 Raketen, die Machtblöcke... Aber Riedland scheint nicht weiter
wichtig zu sein, da der Roman ja größtenteils in dem sozusagen
exterritorialen Gebiet Germelshausen handelt.
Die Fabel lehnt sich als Grundgerüst offenbar an die Sage
an, wenn auch andere Erklärungen gefunden werden. Ein aus der Hauptstadt
wegen zu großen Eifers bei der Strafverfolgung bei Politikern in
ein Dorf versetzter Polizist namens Gerondet wird eines frühen Morgens
alarmiert und in den nahen Wald geschickt. Bach deutet erst mal nur an,
was eigentlich los ist, als müßte der Leser genau wie Gerondet
wissen, warum dieser plötzlich den Weltuntergang befürchtet.
Diese Methode der Spannungserzeugung ist ein wenig irritierend. Jedenfalls
stellt sich später heraus, daß das ach so rechtsstaatliche Land
Riedland nicht nur korrupte Politiker hat, sondern auch eine höchst
ultrageheime Waffenschmiede für Laser-, Mesonen- und Neutronenwaffen.
Deren automatischer Alarm war es, der Gerondet aus dem Bett scheuchte.
Man glaubt, die Forschungseinrichtung würde von Terroristen angegriffen
und ist auf den großen Knall gefaßt.
Im Wald trifft der Polizist den versprengten Antiterror-Soldaten Immelgud,
der bis zum Haaransatz mit supermodernen Waffensystemen ausgerüstet,
aber saublöd ist. Ein Vorschriftenreiter, Rufer nach dem starken Mann
im Staat und ein professioneller Killer, wie ihn Gerondet bezeichnet. Interessant,
daß Bach den Mann Antiterroristen nennt. Das legt den Gedanken
nahe, daß hier gemeint ist, ob Anti- oder nicht, auf jeden Fall Terrorist.
Beide geraten auf irgendeine Weise durch die das "verwunschene" Dorf
umgebende Barriere und werden mit der seltsamen Szenerie eines Ortes aus
dem 16. Jahrhundert und mit seinen Bewohnern konfrontiert. Beide handeln
offenbar stereotyp, wobei letzlich nur der positive Held Gerondet in der
Lage ist, aus seinen Verhaltensschemata auszubrechen. Zunächst sucht
auch er, der Polizist, nach Mördern; und der Soldat sucht den Feind,
die Terroristen, einfach jemanden, den er mit seinen Waffen rechtmäßig
vernichten kann.
Im Dorf gibt es ein paar böse Obermacher, die an allem Schuld
sind, darunter einen "Magister", der sich Satan untertan machte, um ihn
auf die Feinde des Ortes und auf seine Bewohner loszulassen. Das Dorf lebt
in Angst und Schrecken. Gerondet trifft die Tänzerin Esra, in die
er sich verliebt und die er - im Gegensatz zur Originalsage - auch mit
rausbringt. Satan wird besiegt, Immelgud kommt um, und so auch die meisten
restlichen Charaktere. Ich fasse die Handlung hier nur grob zusammen, denn
nacherzählen möchte ich den Roman nicht.
Es sei an dieser Stelle schon gesagt: Das Buch hat Schwächen,
die sein Verständnis erschweren, die das Vergnügen am Lesen trüben.
Dennoch hat mich die Lektüre heute ungemein fasziniert. Ich weiß
nicht mehr, was ich 1985 von diesem Buch gehalten habe, doch für schlecht
hielt ich es nicht - eher im Gegenteil. Das sieht man schon daran, daß
ich gerade diesen Roman wieder hervorgeholt habe. Vom heutigen Standpunkt
sind die literarischen Qualitäten sicher strenger zu beurteilen, aber
mir fiel etwas ganz anderes auf, das ich vor acht Jahren garantiert nicht
gesehen habe. (Und ich hörte auch von keiner Seite davon, daß
es jemandem aufgefallen sei.)
Dieses Buch kann man bedenkenlos in die Reihe derer stellen, die Zustände
der DDR kritisch verarbeitet haben. Jetzt fällt es einem wie Schuppen
von den Augen, was Bach da beschrieb. Nun, diese Augen sind ja auch zum
großen Teil erst geöffnet worden.
Germelshausen, das ist ein Ort, der durch seine Machthaber nach außen
hin hermetisch abgeschlossen wurde. Die Herrschaft der Führer wird
immer mehr zu einer Bedrohung für seine Bewohner. Eine gewisse Truppe
stützt die Macht, Denunziation und Verrat, Psychoterror und Gewalt
herrschen. Und außen rast die Zeit davon, während man innen
auf das Utopia wartet, auf die neue, paradiesische Zeit. Wie es im Buch
an einigen Stellen formuliert wird (z.B. Seite 81): "Dem lichten Sein,
da Alter und Krankheit gebannt sind und niemand mehr dem Gold nachjagt."
Wenn da Bach nicht die Bilder der sozialistischen Utopisten der frühen
DDR-SF gebraucht, um seine Position klarzumachen, was sonst?
Das kommt nicht nur einmal und verschämt angedeutet, sondern mit
einer Häufung, als wolle der Autor den Leser mit verzweifelter Gewalt
auf diese Aussage stoßen. Immer wieder finden sich parabelhafte Gleichnisse,
die oft fast unverhüllt auf reale Situationen und Zustände hinweisen.
Allerdings nicht nur in Richtung DDR. Bach teilt sozusagen Rundumschläge
aus. Der Kapitalismus oder die BRD kommen genausoschlecht weg wie der Germelshausen-Zustand.
In Immelgud zum Beispiel oder Professor Errenthaler, einem Mann aus den
fünfziger Jahren, der Germelshausen vor ihnen betrat, greift er praktisch
alles irgendwie auf.
Beachtenswert ist auch, wie der Waffenfreak Bach - er kam zu den Phantastischen
Tagen in Berlin im Kampfanzug - die Verwendung von Waffen darstellt. Einerseits
schildert er sie mit großer Sachkenntnis, er kann eben nicht über
seinen Schatten springen, aber andererseits bewahrt er eine kritische Distanz.
Das Thema Waffen spielt eine recht große Rolle. Germelshausen war
früher ein wichtiger Ort der Waffenherstellung, er deutet an, hier
seien Schußwaffen erstmalig erzeugt worden. Immelgud schleppt ein
wahres Arsenal an modernster Kampftechnik herum, Gerondet seine Dienstwaffe
und schließlich ist da noch die riedländische Außenwelt
mit Armee, Kampfflugzeugen und der geheimen Forschungsstätte. Aber
Bach ist weit davon entfernt, Waffen und Gewalt zu verherrlichen.
Wieder und wieder tauchen Anspielungen auf DDR-Zustände oder -Geschichte
auf. Man kann sie gar nicht alle erfassen oder analysieren. Auf Seite 163
heißt es: "Der Handel ging ein. Reisen waren ein lebensgefährliches
Risiko geworden. Viele der reichsten Bürger zogen mit Sack und Pack
davon..." Man kann sich heute eigentlich nur noch wundern, wie dieses Buch
gedruckt worden ist, wenn es denn diese strenge Zensur gegeben hat, von
der alle redeten.
Für meine Begriffe hat der Roman nur noch durch diese Besonderheit
einen gewissen Wert. Denn leider hat Hans Bach sogar darin maßlos
übertrieben. Die Häufung an Anspielungen wirkt schon wieder fast
plump, belehrend und aufgesetzt. Und das ist nicht der einzige Nachteil
des Buches.
Die Unklarheit der ersten Seiten - ich erwähnte es weiter oben
- kann man ja noch in Kauf nehmen, aber nicht, daß die Situationen,
die Charaktere nicht überzeugend sind. Es kann einfach nicht sein,
daß Menschen von heute in ein Dorf (oder ist es eine Stadt - auch
das ist vage) des 16. Jahrhunderts kommen, Leute treffen und mit ihnen
reden, ohne sofort zu merken, daß da etwas faul ist. Aber nichts
dergleichen. Gerondet muß sich erst nach Berichten Esras schriftlich
(!) ausrechnen, wie lange der "Fluch" schon andauert, ehe er begreift,
aus welcher Zeit der Ort kommt. Für die Bewohner sind etwa 14 Tage
vergangen, aber was an inneren Umwälzungen und Ereignissen berichtet
wird, kann sich unmöglich innerhalb dieser Zeit zugetragen haben.
Die Sprache der mittelalterlichen Leute dürfte normalerweise gar nicht
verständlich sein, aber sie reden mit äußerst modernen
Begriffen, während sie auch auf das technische Geschwafel der beiden
Jetzt-Menschen nicht einmal mit einer Frage reagieren. Das wirkt störend.
Am schlimmsten ist der Schluß. Man verliert leicht den Überblick,
was da nun eigentlich abläuft, so chaotisch ist es. Halb Germelshausen
fliegt in die Luft, dann scheint es im Moor zu versinken, oder der Magister
hat die Zeitbarriere eingeschaltet, es brennt, keiner weiß warum,
eine Menge Leute sterben, aber Gerondet und Esra gelangen auf mysteriöse
Weise noch nach draußen. Das soll wohl ein großes Finale darstellen,
ist aber gründlich mißglückt.
Dieser Roman ist also nicht ein literarisch herausragendes Werk, aber
er ist insofern bemerkenswert, daß er die DDR-Wirklichkeit auf eine
geradezu herausfordernde Weise widerspiegelte. Vielleicht hat Hans Bach
das so beabsichtigt, vielleicht ging da aber auch nur sein Unterbewußtsein
mit ihm durch. Das soll es ja geben.
Und eines muß ich noch loswerden: Die meisten Aussagen, die sich
nicht auf die DDR beziehen, kann man heute noch genauso in der Wirklichkeit
wiederfinden. Und das spricht doch für das Buch, oder?
SX 40
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