Hans Joachim Alpers: Das zerrissene Land
Hans Joachim Alpers: Das zerrissene Land
(Heyne 06/5104, 380 Seiten, DM 12.90)
Shadowrun made in Germany? Von H. J. Alpers? Was das wohl wird? Nun
ist er endlich da, der Auftakt zur Trilogie "Deutschland in den Schatten".
Die Spannung war hoch, denn die Frage stand, ob es eine deutsche Version
der amerikanischen Serie schaffen würde, an das Vorbild der neun (bereits
in Deutsch vorliegenden) Bände anzuknüpfen. Gleichzeitig würde
sie sich die Frage stellen lassen müssen, ob sie auch genügend
deutschen Lokalkolorit einbringt, um nicht nur ein Abklatsch zu werden.
H. J. Alpers ist als Romanautor bisher kaum in Erscheinung getreten,
viel mehr kennt man ihn als Herausgeber. Nun soll es gleich eine Trilogie
sein...?
Nach all diesen Zweifeln kann man allerdings sagen, daß sie ganz
unberechtigt waren. Der erste Roman aus den Schatten von Deutschland im
Jahre 2053 ist wirklich im Stil der vorhergehenden Shadowrun-Bücher
geschrieben, er enthält eine Menge speziell auf Deutschland bezogenes
- und auch Alpers hat sich gut geschlagen. (Die Vermutungen, daß
er gar nicht der wahre Autor sei, dürften wohl nicht zutreffen.)
In einem Prolog wird die deutsche Entwicklung von den katastrophalen
späten Neunzigern bis hin zur Handlungszeit in den 50er Jahren des
nächsten Jahrhunderts umrissen. Außerdem sind jedem Kapitel
Auszüge aus gewissen historischen Vid Chips vorangestellt, die weitere
Einblicke in das Geschehen geben. Wenn man dies liest, kann es einen schon
mal frösteln, gar zu realistisch klingt manches.
Nach der Goblinisierung: "Nur eingeschworenen Neonazis gilt deutsches
Orkblut immer noch hochwertiger als slawisches Normblut." (S. 10) oder:
"Er wurde von deutschen Neostalinisten erschlagen, als er sich in einer
Kneipe lobend über Gorbatschow äußerte." (S. 17)
Das sind nur zwei Zitate aus dem Prolog, die beispielhaft für
vieles andere stehen.
Wer wissen will, was aus Deutschland in der Welt des Shadowrun wurde,
mag das Buch lesen. Alpers ist jedenfalls einer der ersten Autoren, der
direkt auch auf die Wende, Wiedervereinigung und die ehemalige DDR eingeht.
Bis auf wenige Kleinigkeiten hat der Autor die Sprache der Vorgänger-Romane
übernornmen, was mit einer Art Citysprache erklärt wird, die
sich durch die Umwälzungen und die starke Internationalisierung der
Welt gebildet haben soll. Das erscheint zwar angesichts der recht kurzen
Zeit nicht ganz plausibel, erleichtert aber dem Leser das Zurechtfinden,
da er sich nicht an eingedeutschten Shadowrunner-Slang gewöhnen muß.
Andererseits ist es sogar vorstellbar, betrachtet man die Anglismen, die
wir schon heute ganz selbstverständlich benutzen. Das Vokabular wurde
jedoch auch um typisch deutsche Ausdrücke ergänzt, die man wie
immer im Glossar nachlesen kann. Was die Technik und Bewaffnung angeht,
so ergibt sich ein Gemisch aus Alt und Neu. Die Helden verwenden sowohl
bekannte Ausrüstung, als auch örtliche Marken. Lustig fand ich
die Stelle, wo sie in einer Aldi-Festung einkaufen gehen.
Die Handlung orientiert sich eng an den gewohnten Strukturen. Dabei
läßt der Autor vieles noch ungesagt, lose Enden flattem am Ende
ganz schon im Wind und viele Mysterien müssen in den folgenden Büchern
noch aufgeklärt werden.
Der Hauptheld, der Decker Thor Walez, ist ein Mensch, der sich seit
Jahren mit Shadowruns im Ruhrgebiet durchschlägt. In letzter Zeit
träumt er jedoch schlecht und bei seinen Runs passieren die seltsamsten
Unglücke. Bald haftet ihm der Spitzname "Bad Luck" an. Schließlich
soll er für einen Auftraggeber arbeiten, dem man schon ansieht, daß
er verrückt ist. Eine Droge zwingt Thor, gegen seinen Willen mitzumachen.
Dabei bemerkt er, daß man ihn offenbar in letzter Zeit manipulierte,
weil er bei dem Run eine Schlüsselrolle spielen soll.
Das Unternehmen gelingt, wenn auch mit vielen Opfern. Aber nach Übergabe
des entsprechenden Chips werden Thor und seine Begleiterin Natalie von
Killern gejagt. Bis zum Schluß bleibt unklar, wer dafür verantwortlich
ist, wer und wie er Thor manipuliert usw. Das hält zwar die Spannung
auf das nächste Buch wach, eine kleine Auflösung hätte aber
ganz gut getan. Zumal der Schluß des Romans die Angelegenheit noch
weiter verwirrt.
Hauptsächlich geht es darum, wie Thor und Natalie vor den Verfolgern
fliehen. Dabei kommen sie in ein unterirdisches Zwergenkönigreich,
das noch aus dem ersten Zeitalter der Magie stammt. Hier versucht Alpers
wahrscheinlich, wenn auch sehr vorsichtig, eigene Elemente einzuführen.
Meiner Erinnerung nach war von solchen Erscheinungen - also daß Magie
aus alter Zeit überlebte - nur im Zusammenhang mit Drachen die Rede,
und auch da bin ich mir nicht sicher.
Schließlich gelangen sie an ihr Ziel; die Mutter Natalies, eine
Zigeunerin, soll Thor von der Droge heilen, die ihm sein vorheriger Auftraggeber
verpaßte. Das macht sie auch, aber dann endet das Buch sehr mysteriös.
Natalie, die Thor angeblich liebt, verrät ihn und stirbt durch die
auf sie und ihn angesetzten Killer. Ich vermute allerdings, daß es
sich dabei um einen Illusionszauber der Mutter handelte, um Thor loszuwerden.
Die historischen Zitate stammen nämlich von Natalie, und auch das
Verhalten ihrer Verwandten ist doch sehr eigenartig gewesen. Man wird sehen.
Das Buch ist auf jeden Fall eine gelungene Fortsetzung des Zyklus',
enthält überzeugend lokale Eiemente und bietet dem schon "eingelesenen"
Fan ausreichend bekannte Dinge, um sich rasch zurechtzufinden. Die einzige
Kritik: für meinen Geschmack bleibt zu viel offen. Ehe die nächsten
Bände kommen, hat man ja doch die Hälfte nicht mehr so gut in
Erinnerung, also müßte man dieses Buch auch noch mal lesen,
um den Anschluß zu finden.
Etwas muß ich noch anmerken: Ich kann nicht sagen, inwieweit sich Alpers auf das auch deutsch vorliegende Shadowrun-Spielematerial bezogen hat oder es gar umsetzte. Es ist unter dem Titel "Deutschland in den Schatten" und mit dem gleichen Titelbild wie dieses Buch in Spezialgeschäften (wie z.B. "Beutelsend" in Berlin) zu haben. Mir war es als Nicht-Spieler zu teuer, es der bloßen Recherche wegen zu kaufen.
Der Zyklus wird fortgesetzt mit Alpers':
"Die Augen des Riggers" (5105) und "Die graue Eminenz" (5106). Aus
der Originalserie sind zu erwarten: Tom Dowd "Spielball der Nacht" (5186),
Nyx Smith "Die Attentäterin" (5294), Sargent / Gascoigne "Nosferatu"
und Nigel Findley "Lone Wolf".
SX 53
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