Harry Harrison: Die EDEN - Triogie

Harry Harrison: Die EDEN - Triogie


West of Eden 1984 (PantherGranada*)
Winter in Eden 1986 (Grafton Books*)
Return to Eden 1988 (Bantam Books*)
[* vorliegende Ausgabe]

Harry Harrison (1925) ist einer der Vielschreiber in der SF-Szene. Von ihm stammt z.B. der "Todeswelt-Zyklus" (Deathworld), der "Stahlratte-Zyklus" (Stainless Steel Rat), der "Zu - Den - Sternen - Zyklus" (To The Stars) und viele Einzelbände, von denen "New York 1999" vielleicht der bekannteste ist.
1986 fiel mir - ich glaube, es war in der ehemaligen Sowjetunion - der erste Band der Eden-Trilogie in die Hände, der mich damals sehr begeisterte. Dank dem Tradis-Versand habe ich die Trilogie nunmehr vollständig. Das Heyne-Lexikon vermerkt, daß der erste Teil unter dem Titel "Diesseits von Eden" bei Goldmann (8409) erschienen sei; man darf vermuten, daß solches auch für die beiden Folgebände zutrifft oder zutreffen wird.

And the LORD God planted a garden eastward in Eden; and there;
he put the man whom he had formed.
And Cain went out from the presence of the LORD,
and dwelt in the land of Nod, on the east of Eden.
GENESIS

Theoretischer Ausgangspunkt der drei Romane ist die Annahme, daß die Ära der Reptilien als beherrschende Lebensform der Erde durch den Einschlag eines Riesenmeteoriten beendet worden ist. Harrison setzt nun voraus, daß dieser Meteorit die Erde nicht getroffen hat. Die Saurier konnten sich weiterentwickeln, der Urmensch fand nicht die Verbreitung auf der Welt, die sich in der tatsächlichen Geschichte einstellte.
Eine Art der Saurier entwickelte sich so weit, daß sie Intelligenz hervorbrachte, ja sogar eine hochentwickelte Zivilisation. Die Handlung spielt in dieser alternativen Welt, und zwar heute, wie im Vorwort betont wird.
Harrison ersetzt nicht einfach den Menschen in dieser Zivilisation durch die Saurier, die sich selbst als Yilanè bezeichnen, er entwickelt das Bild einer sehr komplexen, völlig andersartigen Biozivilisation, deren Funktionieren sich dem Leser im ersten Band erst nach und nach offenbart.
Die Bio- bzw. Gentechnologie der Yilanè beruht auf der genetischen Manipulation von verschiedenen Tierarten, meist ebenfalls Reptilien, für ihre Gebrauchszwecke. Diese erstrecken sich von Land- und Seetransport über Kampf- und Aufklärungsmittel bis zu Kleidung und Nahrungszubereitung. Selbst komplizierte Geräte wie Mikroskop oder Schußwaffe sind speziell gezüchtete, lebende Tiere. Ein fataler Mangel der yilanischen Zivilisation hängt eng mit ihrer Lebensweise zusammen: sie kennt Feuer lediglich als interessante chemische Reaktion, denn es wird nicht gebraucht.
Die Yilanè beherrschen zu Beginn der Handlung den afrikanischen Kontinent und den Mittelmeerraum. Sie leben in riesigen Städten aus eigens gezüchteten Wohnbäumen. Ihr Lebensraum scheint auf Grund ihrer Nachkommensproduktion und Aufzucht (um eine solche handelt es sich nämlich) an Küstenregionen gebunden zu sein, obwohl sie auch ins Landesinnere vordringen können. Der yilanische Stadtstaat ist streng hierarchisch organisiert. Gewisse Ähnlichkeiten mit Ameisen- oder Bienenvölkern werden ausdrücklich hervorgehoben, um den nichthumanen Charakter der Yilanè zu unterstreichen. Eine Eistaa (alle mündigen Mitglieder der Gesellschaft sind weiblich, die "Männer" werden in einer Art Gemeinschaftsharem unter Verschluß gehalten) steht dem Staatsgebilde vor und hat außerordentliche Machtbefugnisse. Fargi nehmen einen sklavenähnlichen Status ein, solange sie nicht zu sprechen gelernt haben und damit keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft sind.
Dieses "Sprechenlernen" hat nicht dieselbe Bedeutung wie das menschliche, jedes Lernen der Fargi und Yilanè wird ihnen selbst überlassen, es gibt kaum aktive Unterstützung durch ältere Individuen - das Konzept einer Schule ist den Yilanè völlig fremd. Sprache nimmt aber in der Gesellschaft der Yilanè eine Schlüsselstellung ein. Sie ist das alleinige Kennzeichen der Vernunft für sie.
Die yilanische Sprache ist ein Komplex aus Lauten, Bewegungen des ganzen Körpers und Verfärbungen der Haut. Sie wird im Laufe der Entwicklung in einem indirekten Lernprozeß erworben (oder nicht erworben). Ihre Struktur ist in einem umfangreichen Anhang des Romanes erläutert, ebenso viele andere Aspekte der Welt "westlich von Eden".
Eine Klimaveränderung bedroht zunehmend die Existenz der Yilanè in Afrika. Die Reptilien können nur im tropischen oder subtropischen Klima leben. Aus dieser Situation heraus hat eine größere Gruppe den Auftrag bekommen, auf dem bisher unbesiedelten amerikanischen Kontinent eine erste Stadt zu errichten, um die Übersiedlung der Yilanè zu ermöglichen.
Die Trilogie ist in zwei Haupthandlungsebenen gegliedert. Während die erste vom Blickwinkel der Yilanè ausgeht, steht die andere auf der Seite der Menschen.
Diese leben in einer geringen Population im kalten Norden Amerikas als Jäger und Sammler bzw. Viehzüchter. Seltsamerweise wissen die Yilanè am Anfang nichts von ihrer Existenz. Als beide Seiten dann aufeinandertreffen, dauert es noch sehr lange, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, daß die anderen ebenfalls vernunftbegabt sind. Ein Grund auf der Seite der Yilanè ist, daß sie nur ihre eigene Sprache als intelligent betrachten und den Menschen daher als besonders gefährliches Säugetier ansehen.
Kerrick, der am Anfang als Achtjähriger in die Gefangenschaft der Yilanè gerät, lernt bei ihnen schließlich ihre Sprache, Denkweise und Kultur kennen. Er ist die zentrale menschliche Hauptgestalt der Trilogie. Seine yilanische Gegenspielerin ist Vaintè, eine Art Herrscherin in der neuen Stadt.
Nach Kerricks Flucht wird sein Wissen zum Trumpf im bald entbrannten Kampf der Menschen gegen die Yilanè. Denn die Saurier wollen die gefährlichen Konkurrenten ausrotten. Es gelingt den Menschen unter Kerricks Führung im ersten Band, die Stadt niederzubrennen und die Überlebenden zu vertreiben. Doch die grausame Vaintè lebt und schwört Rache.
Der zweite Band schildert die Fortsetzung dieses Ringens, denn die Yilanè geben nicht auf. Der ganze afrikanische Kontinent und eine uralte Zivilisation steht hinter ihnen. Nach langwierigen, scheinbar aussichtslosen Auseinandersetzungen gelingt es Kerrick, der inzwischen die Unterstützung eines kulturell höherstehenden Stammes der Viehzüchter und der Eskimos gewonnen hat, die Yilanè zur Beendigung des Krieges zu zwingen. Dazu muß er sogar den Ozean überqueren, um nach Afrika zu gelangen.
Der dritte Teil berichtet davon, wie sich das Leben der menschlichen und yilanischen Protagonisten weiter gestaltet. Jede der beiden Seiten gelangt schließlch zu bestimmten Erkenntnissen, die auf lange Sicht eine wichtige kulturelle Veränderung bewirken dürften.
Kerrick erkennt, daß die von ihm verehrte oder bewunderte yilanische Zivilisation für seine Art letztlich doch nicht geeignet ist; und er findet Wege, die menschliche Kultur ein wenig voranzubringen. Das mag unwahrscheinlich klingen, wird aber recht plausibel erklärt. Der äußere Zwang durch den Krieg bringt die nomadisierenden Stämme zu neuen Kontakten untereinander und mit anderen Menschengruppen, was sehr bereichernd wirkt. Allein das befähigt die Menschen schließlich am Ende, auch ohne die von den Yilanè gestohlenen Artefakten im von Sauriern wmmelnden Süden zu überleben.
Die Yilanè, besonders eine Art philosophisch-religiöse Gruppe unter ihnen, begreifen gewisse Zusammenhänge ihrer eigenen Kultur besser und scheinen eine weniger brutale und diktatorische Gesellschaft aufbauen zu können.
Meine Einstellung zu den beiden Zivilisationen in Harrisons Welt war offenbar die, welche der Autor beabsichtigte. Obwohl man natürlich als Mensch erst einmal auf Kerricks Seite steht, identifiziert man sich genauso mit Enge, einer der positiven Yilanè-Gestalten. Die Menschen treten zu oft, außer wenn es um Kerrick selbst geht, als Barbaren auf, eben als primitive Urmenschen mit äußerst beschränktem Horizont. In ihrem blindwütigen Töten der Yilanè unterscheiden sie sich überhaupt nicht von deren finstersten Vertretern wie Vaintè.
So ist auch das Ende nicht ganz so, wie man es sich als Leser, der auf beiden Seiten steht, vielleicht erhofft. Kein friedlicher Handel zwischen Mensch und Yilanè, sondern nur Isolierung, jedenfalls solange Kerrick lebt und ein erneutes Ausbrechen der Feindseligkeiten verhindern kann. Doch er ist nun alt und sieht mit großer Sorge, daß die Jungen wieder aanfangen, die Yilanè zu morden. Er redet am Schluß darüber, die Yilanè noch einmal vor seiner eigenen Rasse zu warnen. Es ist aber klar, daß die Menschen den Yilanè bald überlegen sein werden - woran Kerrick nicht unschuldig ist - und sie wahrscheinlich ausrotten. Der Leser befindet sich auf der Seite der intelligenten, kultivierten Yilanè, was vor allem dadurch erreicht wird, daß sich auch Kerrick immer wieder zu dieser Lebensweise hingezogen fühlt und es seine menschlichen Gefährten sind, die ihm mit permanenten Unverständnis und Ablehnung gegenübertreten. Die hohe Kultur der Yilanè wird nicht nur vom sich verändernden Klima bedroht, sondern auch vom immerwährenden Vernichtungs- und Zerstörungsdrang des Menschen, des primitiven Barbaren, zugrunde gerichtet. Und da findet sich der heutige Mensch dann wohl wieder.
Der Eden-Zyklus ist ein Werk, das mit großer wissenschaftlicher Akribie geschrieben worden ist und daher absolut glaubhaft wirkt. Die Story ist spannend, aber weit faszinierender ist die geschilderte Welt. Harrison hat sich eine ganze fremdartige Kultur mit eigenen Sprachen, Religionen, Bräuchen usw. ausgedacht. Er geht sogar soweit, die yilanische Sprache in der wörtlichen Rede umzusetzen, zumindest ihre Grammatik anzudeuten.
Da offenbar Zeitungsleuten nichts anderes als "Dune" einfällt, um etwas daran zu messen, möchte ich noch bemerken, daß mir dieser Vergleich hier unangebracht erscheint. Frank Herberts Helden sind Menschen mit ihren guten und bösen Seiten, aber auch in der unvorstellbar fernen Zukunft, die er schildert, unterscheiden siich seine Helden nicht wesentlich von heutigen Menschen. Harrisons Yilanè sind wirklich fremdartig. Eher schon könnte man Parallelen zu "Hellicona" von B.W. Aldiss ziehen, wenn man schon Vergleiche nötig hat. Doch ich glaube nicht, daß sie notwendig sind. Bald wird man Bücher an "Eden" messen.

SX 24


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