Harry Harrison: Todeswelten
Harry
Harrison: Todeswelten
(Heyne 06/4350)
"Die DEATHWORLD-TRILOGIE war einer der beliebtesten und erfolgreichsten
Zyklen der sechziger Jahre." Was kann sie uns also heute bieten? Als Top
Hit der SF brachte Heyne alle drei Romane in einem Band erneut heraus,
was nicht besonders schwer gewesen sein kann, da die ursprünglichen
Bücher die in den sechziger Jahren übliche geringe Seitenzahl
gehabt haben. Heute machts ja kaum noch ein Autor unter 500 Seiten.
Ein gewisser Jason dinAlt, ein "berufsmäßiger Spieler",
ist der Held der drei Teile des Buches. Allerdings spielt seine Spielernatur
nur ganz am Anfang eine Rolle, dann nicht mehr. Die "Todeswelten", auf
die es ihn verschlägt, sind drei aus dreißigtausend von Menschen
bewohnten Planeten, die sich durch besondere Gefährlichkeit auszeichnen.
Die wichtigste der drei ist Pyrrus, wo die Siedler scheinbar seit dreihundert
Jahren einen aussichtslosen Vernichtungskrieg gegen die einheimische Flora
und Fauna führen, die es sich wohl in den Kopf - oder was auch immer
- gesetzt hat, die Menschen zu vernichten.
Jasons Spielergeheimnis sind seine Psi-Kräfte, mit denen er das
Spiel irgendwie beeinflussen kann. Ein Fremder zwingt ihn zu Anfang, für
ihn ein paar Milliarden (!) zu gewinnen, die zur militärischen Aufrüstung
auf Pyrrus gebraucht werden. Da das die Bank sprengt, wird Jason auf der
betroffenen Welt rasch sehr unbeliebt und folgt dem Fremden Kerk kurzerhand
auf die Todeswelt, obwohl dieser ihn davor warnt. Nach einem monatelangen
Überlebenstraining wird er dort dann sogar ins Freie gelassen.
Was auf Pyrrus folgt, ist der klassische Fall von einem Außenseiter,
der noch nicht betriebsblind genug ist, um die Welt nicht zu retten. Außerdem
hilft Jason natürlich sein Psi-Talent, sonst wäre es ja nicht
erst eingeführt worden. Die Lösung des Pyrrus-Problems ist keineswegs
einfach und geradlinig, im Gegenteil. Ich hatte sofort den Verdacht, der
Name der Welt sei von Bedeutung, und tatsächlich, er ist eine Anspielung
auf Pyrrhussieg (im dritten Teil wird das sogar in anderem Zusammenhang
erwähnt). Was als Sieg erscheint, ist eigentlich eine Niederlage,
aber auch die scheinbare Niederlage der Siedler ist auf andere Weise ein
Sieg.
Kurz nach der einstweiligen Lösung des Problems wird Jason im
zweiten Teil, "Sklavenwelt" entführt. Nicht von einem Sklavenhändler,
sondern von einer Figur, die mir regelrecht irrsinnig erschien. Der Mann
namens Mikah ist eine Art schlimmster religiöser Eiferer, der Jason
verhaftet, um ihn auf der Welt, wo er das Spielkasino ausräumte, für
seine "Verbrechen", die wohl vor allem darin bestehen, daß er lebt,
verurteilen zu lassen. Jason beschädigt jedoch das Raumschiff, so
daß sie auf einer anderen Welt abstürzen und in die Sklaverei
geraten. Nun folgt ein Abenteuer, in dem Jason Yankee an König Artus'
Hof spielt. Er bringt sich in eine Position, wo er einen örtlichen
Mächtigen auf sich aufmerksam machen kann und schüttelt nur so
die Technologie aus dem Erfinderärmel. Was zu Konflikten führt,
die nicht so lustig sind wie bei Mark Twain, ihn aber schließlich
Rettung in letzter Minute bringt. Die Gestalt des Mikah geht einem ziemlich
auf die Nerven mit ihrem Gewäsch und ihrer Engstirnigkeit. Auch nachdem
Jason ein halbes Dutzend mal von ihm verraten wurde, rettet er ihn immer
wieder. Das war mir zumindest unverständlich.
Der dritte Teil spielt auf einer "Barbarenwelt". Ein Teil der Pyrraner
wandert auf Jasons Rat hin zu dieser aus, weil sie auf ihrer verloren haben
und die andere noch gefährlicher sein soll... Die Gefahr geht von
bestimmten Nomadenstämmen aus, die auf einer Hochebene hausen und
mit ihren Speeren und Schwertern Raumschiffe angreifen - und vernichten.
Klingt das zumindest etwas fragwürdig, so sind ihnen jedenfalls die
kampferprobten Pyrraner überlegen. Die Nomaden erinnern sehr an Dschingis
Khans Mongolen, ihr Anführer heißt sogar Temuchin (Dschingis
Khans Name wird meist mit Temudschin angegeben). Jasons Truppe erkennt,
daß sie die Barbaren nicht vernichten kann, also versucht sie, sie
zu unterwandern. Nach etlichen abenteuerlichen Situationen steht am Schluß
die Erkenntnis, daß man Zivilisationen nur unterwerfen oder vernichten
kann, nicht aber verändern. Als Temuchin die Weltherrschaft errungen
hat, muß er erkennen, daß er damit die Ideale seines Volkes
verlor - ein Pyrrhussieg.
Alles in allem erst einmal ein auch heute, nach 30 Jahren, noch spannend
zu lesendes Buch. Die Botschaft des ersten Teils ist sogar eine ziemlich
moderne, die sich auch auf dem Klappentext wiederfand. "Je brutaler man
gegen die Natur vorgeht, desto unbarmherziger schlägt sie zurück."
Freilich trifft das nicht für alle drei Teile zu. Dieser ökologische
Gehalt verliert sich in Teil 2 und 3. Als einziges störte mich die
Zeichnung der Hauptgestalt Jason ein wenig. Harrison scheint sich nicht
die Mühe gemacht zu haben, ihn in allen drei Büchern gleich zu
charakterisieren. Das heißt, sein Charakter als überlegener
Außenseiter bleibt erhalten, aber seine Fähigkeiten sind anders.
Im ersten Teil wird deutlich gesagt, daß Jason kaum eine Ausbildung
hatte, sondern sich nach der Flucht aus der langweiligen Heimat aufgrund
seiner Psi-Fähigkeiten als von Welt zu Welt reisender Spieler durchschlug.
Das hilft ihm dann auch, zu erkennen, was auf Pyrrus verkehrt läuft.
Im zweiten Teil jedoch entpuppt er sich als wahres Allround-Genie, als
Techniker, der sogar aus minderwertigen Voraussetzungen noch Erfindungen
zaubern kann, der über Erdölchemie und Dampfmaschinen und Elektrizitätserzeugung
und Waffentechnik gleichermaßen gut Bescheid weiß, um all das
aufzubauen, was er braucht, um sein SOS zu senden. Und im dritten Teil
wird aus dem Yankee ein Marco Polo, der den wilden Barbarenfürsten
mühelos unter seinen Einfluß bringt; kein Wunder, wenn ihn dieser
am Ende für einen Dämon hält.
Diese Verschiebung innerhalb einer Figur hat nichts mit ihrer Entwicklung
zu tun, dafür ist keine Zeit und besteht kein Anlaß. War es
Nachlässigeit des Autors oder Absicht? Zumindest der zweite Teil hätte
mit der ursprünglichen Anlage Jasons gar nicht geschrieben werden
können. Am Ende bezeichnet sich der vordem herumreisende Spieler als
Pyrraner und bleibt bei seinen Freunden auf der nun doch eroberten bzw.
unterwanderten Barbarenwelt. Also doch eine Entwicklung des Charakters?
Man merkt dem Buch sein Alter nur an diesen vergleichsweise unbedeutenden
Kleinigkeiten an; ein paar Vereinfachungen und Einschränkungen würde
ein Autor heute sicher nicht mehr so machen. Die Ansprüche sind in
den letzten 30 Jahren Science Fiction natürlich gestiegen, das wissen
wir alle. "Todeswelten" kann aber immer noch mithalten, wenn es heute auch
nicht als erster über die Zielgerade gehen würde.
SX 46
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