Henry Rider Haggard: Die Rückkehr der Göttin

Henry Rider Haggard: Die Rückkehr der Göttin
(Heyne 4950)


Das Buch ist dickleibig und mit schöner Goldschrift verziert. Nach der vor einiger Zeit erschienenen Haggard-Reihe bringt der Heyne-Verlag nun einige der Bücher im preiswerten Dreierpack nochmals heraus. (Drei Romane in einem Band für DM 18.00 ist regelrecht billig.) Der erste Band dieser Reihe enthält "Sie", "Ayesha - Sie kehrt zurück" und "Sie und Allan ". Allan Quatermain ist sicher durch die Verfilmungen seiner Abenteuer die bekannteste Gestalt des Autors.
Haggard lebte von 1856 bis 1925 und schrieb eine große Zahl von Abenteuerromanen, in denen manchmal wie im vorliegenden Buch Fantasy-Elemente zu finden sind. Man zählt ihn zu den Vorbildern von Autoren wie Burroughs. Die Art und Weise seiner Geschichten erinnert an Jules Vernes phantastische Reisen, wenn auch die technische Phantastik Vernes fehlt. Haggard hatte den Vorteil, selbst einige Jahre in Afrika gewesen zu sein, so daß er die fernen Länder, die er beschrieb, zum Teil wirklich kannte.
Einen Roman zu lesen, der 1887 erschien, erfordert heute schon ein gewisses spezielles Interesse. Ich habe schon seit langem kein Buch von Verne mehr geöffnet und auch William H. Hodgsons "The Nightland" steht ungelesen herum. (Er war Zeitgenosse Haggards.) Trotzdem habe ich mich nun an der Neuauflage versucht, nachdem ich vom Autor bisher nur ein Buch kannte. Es erübrigt sich hier wohl, eine ausführliche Inhaltsangabe zu machen. Nur soviel, es geht vor allem um eine Frau - Ayesha oder "Sie" - die seit über zweitausend Jahren lebt und praktisch unsterblich ist. Verschiedene Helden kommen mit ihr in Berührung und berichten in den drei Büchern davon. Haggard geht einen etwas umständlichen Weg, indem er behauptet, nur der Herausgeber des Manuskripts zu sein, das er von einem flüchtigen Bekannten erhalten habe. Dieser berichtet im Hauptteil der Handlung (des ersten Teiles) von den phantastischen Erlebnissen in Afrika. Eine solche Herangehensweise ist heute natürlich in den meisten Fällen überflüssig, früher versuchten Autoren aber oft, dadurch dem Leser eine Art Akzeptanz abzugewinnen, glaubwürdiger zu wirken.
Das Phantastische bezieht Haggard in den Ayesha-Büchern aus vielerlei Quellen. Hauptsächlich benutzt er mythische Vorstellungen von ägyptischen Kulturen, aus der arabischen Welt und des fernen Ostens, also wohl Gegenden, denen zu seiner Zeit noch der Hauch des Geheimnisvollen anhaftete. Wir finden Vorstellungen, die wir in der heutigen SF mit dem Begriff "lost race" belegen, also uralte, vergessene, aber mächtige Kulturen. Andererseits zieht Haggard alle Register der abenteuerlichen Reiseerzählung. Vom Schiffbruch über Gefangennahme durch böse Kannibalen bis hin zu schönen und geheimnisvollen Prinzessinnen bzw. Königinnen ist alles vertreten.
Natürlich kann man Haggards Werk nicht mit den Maßstäben einer SF oder Fantasy messen, die hundert Jahre weiterentwickelt ist. Das heißt, wenn man das Buch mit derselben Erwartung liest wie irgendein heutiges Fantasy-Werk, wird man schnell enttäuscht werden. Der Stil ist ziemlich langatmig, um nicht zu sagen, langweilig. Haggard verliert sich oft in langen philosophischen Betrachtungen oder in Beschreibungen von Landschaft und Leuten. Das schuldet er sicher dem Genre der Reiseerzählung. Wenn man sich mit dieser Tatsache abfindet und Bücher in einer solchen Art mag, kann der etwas unhandliche Band vielleicht zur unterhaltsamen Bettlektüre taugen. (Für unterwegs ist er denn doch ein wenig schwer.)
Mich persönlich störte allerdings noch etwas an dem Buch. Ich mag keine Helden, und schon gar keine Ich-Erzähler, die sich wie Schwachsinnige aufführen. Der Handlungsträger des ersten Buches, Holly, hat diesen Fehler. Permanent ignoriert er das Offensichtliche, das man als Leser sofort kapiert hat. Ständig sieht er das Phantastische vor sich und glaubt es nicht, oder sucht nach anderen, "rationalen" Erklärungen. Meine Erwartungen in die Handlung wurden immer wieder enttäuscht, weil die Personen nicht das taten, was ich als normale Folge angesehen hätte. Vermutlich hängt dieser Mangel auch mit dem Alter des Buches zusammen; vor hundert Jahren dachte man anders, und vor allem gab es keine Leser mit SF-Erfahrung.
Die Helden sind natürlich Engländer, und sie benehmen sich auch danach. Ganz der englische Kolonialherr des vorigen Jahrhunderts. Haggard selbst vertritt deutlich diese arrogante Haltung, es ist in den Büchern keineswegs irgendwie kritisch gemeint. Die Afrikaner sind eben die Wilden und damit erstens blöd, zweitens grausam und drittens umzubringen. Ein zufällig mit der Gruppe reisender arabischer Seemann wird von ihm nur eine Weile mitgeschleppt, damit er dann von den Eingeborenen getötet wird. Man merkt das sofort beim Auftauchen dieser Figur, die kaum charakterisiert wird. Und Ayesha ist, obwohl Araberin, natürlich eine weiße Frau.
Die Haltung der Engländer ist doppelt arrogant, weil sie sich außerdem als Christen und alle anderen als Heiden sehen. Woraus dasselbe folgt wie oben. Manchmal war es für mich kaum noch zu ertragen, zu lesen, mit welcher Borniertheit sich die Gestalten Haggards verhielten. Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, ob all dies die Meinung des Autors widerspiegelte. Es wäre traurig, wenn dem so wäre, aber wie sollte er auch zu einer anderen Auffassung gelangen?
Läßt man sich von diesen Punkten nicht zu sehr verwirren, kann man Haggard auch nach hundert Jahren noch lesen. Man liest ihn heute anders, das ist klar, kein Mensch glaubt noch an verlorene Kulturen irgendwo im längst erforschten Afrika. Aber warum soll man sich nicht vorstellen, daß es dort so etwas gibt? Auf eine Weise ist das Buch heute phantastischer als zu seiner Entstehung.

["She - A History of Adventure" (1886), "Ayesha - The Return of She" (1904), "She and Allan" (1919), übersetzt von Helmut Degner und Hans Maeter, 1992, 1081 Seiten, DM 18.-]

SX 35


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