Isaac Asimov: Lunatico oder Die nächste Welt

Isaac Asimov: Lunatico oder Die nächste Welt
(Heyne 06/4445)


"Lunatico" war eins der wenigen Asimov-Bücher, die mir noch fehlten in meiner Sammlung. Warum ich es mir nicht schon früher mal zugelegt habe, weiß ich nicht so recht. Vielleicht war es der komische Titel, der mich abschreckte. Bücher über Verrückte interessieren mich nämlich nicht sonderlich. Das heißt lunatic jedenfalls auf Englisch: Verrückter. Madman oder maniac sind etwas verschärftere Verrückte. Ich war allerdings erstaunt, als ich merkte, daß es sich bei dem deutschen Titel gar nicht um eine Anlehnung an das Original handelte. Das heißt nämlich "The Gods Themselves", was wohl den Wähler des deutschen Titels 1972 vor einige Verständnisprobleme stellte. Ein Buch, das "Die Götter selbst" heißt, läßt ja auch nicht viel vom Inhalt vermuten. Es ist nicht ganz uninteressant, sich einmal mit der Bedeutung der beiden Titel auseinanderzusetzen. Asimov lehnte sich ursprünglich an Schiller (!) an, der geschrieben hatte: "Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens." Das zitiert er auf Seite 84, außerdem erwähnt er auch in der Widmung des Buches den Kampf gegen die Dummheit, was die Sache ziemlich eindeutig macht.
Der deutsche Titel dürfte sich nicht wirklich auf Verrückte beziehen, sondern auf die Hauptfiguren, die auf dem Mond leben, welche aber eigentlich Lunarier genannt werden. Und die nächste Welt schließlich soll das Paralleluniversum bedeuten, das der Meister hier entwarf. Meinem Geschmack nach sind beide Titel unglücklich gewählt, der englische zu intellektuell, der deutsche zu eigenartig.
Nun genug von der Überschrift. Um es gleich vorweg zu nehmen, ein Top Hit ist "Lunatico" sicher nicht gerade, aber wenigstens ein Klassiker. Und wenn es nur der Name des Autors ist, der das Buch zu einem solchen macht.
Die Handlung entwickelt sich im wesentlichen um eine Erfindung, die sogenannte Elektronen- bzw. Positronenpumpe. Dieses Teil verspricht unbegrenzte Energie, die aus einem Nachbaruniversum abgezapft wird, wo gewisse Wesen mit ihrem Ende der Pumpe und unserem Universum dasselbe tun. Dabei werden allerdings lokal ein paar Naturgesetze, d.h. Kernwechselwirkungskräfte verändert. Nur wenige erkennen, daß dies in absehbarer Zeit zur Explosion der Sonne führen wird. Aber die kostenlose Energie ist wichtiger, auf die Warner wird nicht gehört. Die Vorgänge werden hauptsächlich aus der Sicht der menschlichen Handlungsträger beschrieben, aber auch die Aliens handeln über einen großen Teil des Buches hinweg. Am Ende geht dann doch noch alles gut aus, es wird ein Weg zur Stabilisierung der Naturgesetze gefunden.
Interessant ist der Alien-Teil, besonders auch deshalb, weil solche Geschöpfe bei Asimov eher die große Ausnahme darstellten. Er beschreibt hier jedoch sehr gut den seltsamen Lebenszyklus dieser völlig fremdartigen Wesen, die nicht einfach eine banale Spiegelung der irdischen Wissenschaftler darstellen, auch wenn sie ähnliche Probleme mit der Dummheit haben.
Der Lesbarkeit eher abträglich sind - jedenfalls von heute betrachtet - die weitläufigen wissenschaftlichen Erklärungen der Angelegenheit. Natürlich sind sie notwendig, da Asimov sich als Hintergrund der Geschichte ein Gebiet der Kernphysik ausgesucht hat, das nicht gerade zum Schulstoff gehört. Aber verstehen werden sie die wenigsten Leser.
Der Roman handelt nicht von der Erfindung und ihren Auswirkungen selbst. Eigentlich ist das nur der Aufhänger für eine Betrachtung des Verhaltens der Wissenschaftler, die mit dieser Erfindung umgehen. Ein mittelmäßiger Strahlenchemiker stößt zufällig auf das Phänomen, das von den Wesen des anderen Universums bewußt verursacht wurde. Hinfort ist er der Vater der Pumpe und von überwältigender Autorität - wenn auch noch immer mittelmäßig. Zweifel und Kritik an der Erfindung läßt er nicht zu, und die Wirtschaft und Politik steht natürlich hinter ihm, da er unbegrenzte Energie verspricht. Diese Borniertheit, die gut das Universum hätte vernichten können, ist die Dummheit, von der Asimov schreibt.
Es gibt keine durchgängig handelnden Personen in dem Roman. Der erste Teil erinnert an einen Bericht über das persönliche Problem des an der Erfindung zweifelnden Physikers Lamont mit dem Pumpenerfinder Hallam. Dann folgt der Teil im anderen Universum, wo zwei der Wesen eine Hauptrolle spielen. Schließlich kommt der dritte Teil an die Reihe, der auf dem Mond mit dem Lamont-Anhänger Denison in der Hauptrolle handelt. Denison findet mit Unterstützung der Mondbewohnerin Selene (sinniger Name) eine Möglichkeit, den Veränderungen der Naturgesetze entgegenzuwirken. Hallam, den sowieso keiner leiden konnte, wird demontiert und alle sind zufrieden.
Asimov hat sicher spannendere Bücher als dieses geschrieben, aber selbst wenn "Lunatico" nicht zu den absoluten Spitzenleistungen zu zählen ist, ein Buch, das Dummheit und Engstirnigkeit anprangert, ist schon dadurch wertvoll.

[The Gods Themselves, Isaac Asimov 1972, übersetzt von Thomas Schlück 1972, Top Hits der SF 1993, 365 Seiten, DM 12.90] 

SX 41

 

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