Isaac Asimov: Nemesis
Isaac
Asimov: Nemesis
(Heyne 9084)
Der große Meister ist wieder da - mit einem dicken Buch, das
zur Überraschung der Leserschaft mal nicht mit dem Foundation- und
Roboterzyklus verbunden ist. Zwar behält sich Asimov vor,
es mit einem weiteren Band doch noch einzubinden ("Es kann natürlich
sein. daß ich eines Tages einen weiteren Roman schreibe, der diesen
hier mit den anderen verbindet..."), doch das dürfte ziemlich schwer
fallen, wenn es nicht zu konstruiert wirken soll. Allerdings, unmöglich
ist es nicht, ein paar Hintertürchen hat sich Asimov schon
offengelassen.
Die letzten Werke des Meisters zeichnen sich vor allem durch ihren
Umfang aus. War die eigentliche Foundation-Trilogie z.B. eine eher bescheidene
Sammlung von dünnen Romanen und längeren Erzählungen,
so schrieb der Autor die Folgebände wesentlich ausführlicher,
sehr breit angelegt. So auch "Nemesis".
Zur Handlung des Romans.
Die Ausgangssituation führt uns auf eine Weltraumkolonie beim
Stern Nemesis, die um den planetengroßen Satelliten eines Riesenplaneten
kreist. In routinierter Weise stellt Asimov die Hauptpersonen vor und zeigt
die Situation auf. Eine Astronomin, Eugenia Insigna, der Gouverneur der
Weltraumkolonie Rotor und ein l5jähriges Mädchen namens Marlene
sind die wichtigsten Gestalten. Es ist bei Asimov nicht gerade häufig,
daß Frauen oder gar Kinder die Hauptrolle spielen, das sollte man
hier anmerken.
Die Vorgeschichte der Personen und Ereignisse wird in einer zweiten
Zeitebene geschildert, die im Sonnensystem handelt. Beide Ebenen (Erde
und Nemesis) laufen dann allerdings parallel weiter, bis sie sich am Ende
treffen, wobei die zweite, ursprünglich die Vergangenheit beleuchtende,
sich mit dem Ex-Mann der Astronomin und dessen neuer Frau, einer genialen
Physikerin, verselbständigt und zur Gegenwart aufschließt.
Im Sonnensystem gibt es Weltraumkolonien, die sich wirtschaftlich und
politisch von der Erde gelöst haben (ähnlich wie in der frühen
Ära der Foundation). Nachdem Rotor die Hyperbeschleunigung entdeckte,
fand die Astronomin mit Hilfe einer Fernsonde Nemesis, einen Stern, der
sich noch näher bei der Sonne befindet als Alpha Centauri. Die Kolonie
Rotor bricht auf Betreiben ihres Gouverneurs auf, um das Nemesissystem
zu besiedeln, ohne daß der Rest der Menschheit etwas von dem hinter
einer Dunkelwolke verborgenen Stern ahnt. Der Gouverneur ist der übliche
paranoide, machtbesessene Typ, der nichts mehr fürchtet als seine
Mitmenschen. Die Astronomin dagegen läßt sich immer wieder von
ihm überzeugen, daß es für Rotor wichtiger ist, bestimmte
Dinge geheimzuhalten. Auch, als sie entdeckt, daß sich Nemesis auf
die Sonne zu bewegt und das Heimatsystem in ein paar tausend Jahren vernichten
wird.
Ihre Tochter Marlene verfügt über eine besondere Gabe. Asimov
hat hier zum Glück nicht die schon so schrecklich verbrauchte Telepathie
benutzt, sondern etwas anderes, das in seiner Wirkung ähnlich ist.
Marlene besitzt die angeborene Fähigkeit, die Körpersprache eines
Menschen absolut vollständig zu verstehen. Das läuft fast auf
Gedankenlesen hinaus, Asimov erklärt es aber derart ausführlich,
daß man einen Unterschied machen muß.
Der Naturwissenschaftler Asimov kann es sich jedoch nicht verwehren,
noch viel mehr - vor allem astronomische - Details
vor dem Leser auszubreiten. Damit bewegt er sich oft hart an der Grenze
zur Belehrung. Freilich entschuldigt er sich in einer Vorbemerkung dafür,
doch seine löbliche Absicht der Verständlichkeit kann nicht die
Schwäche aufheben, daß gewisse Passagen langatmig sind. Auch
in den Dialogen leistet sich Asimov keine Verknappungen. Probleme werden
wirklich ausdiskutiert, was sicher von Realismus zeugt, aber nicht gerade
zu erhöhter Handlungsdynamik beiträgt. Manchmal glaubt man beim
Lesen, das sei ein Fachbuch, das die Prinzipien der Raumflüge im Foundation-Universum
erläutert. Aber damit tut man Asimov natürlich unrecht. Es ist
eher ein Roman, den jemand geschrieben hat, der über einem solchen
Fachbuch Alpträume bekam.
Noch eine weitere Macht greift in das Geschehen ein. Marlene fühlt
sich zum Satelliten-Planeten Erythro hingezogen, auf dem es bisher nur
eine kleine Forschungsstation gibt. Ihre Fähigkeit bedroht den paranoiden
Gouverneur, und er schickt sie mit ihrer ihm auch unbequemen Mutter bereitwillig
nach Erythro. Dort gibt es aber eine noch unentdeckte gesamtplanetare Intelligenz,
die sich aus Prokaryoten (zellkernlose Einzeller, das Primitivste des Primitiven)
zusammensetzt. Diese nimmt mit Marlene Kontakt auf, weil ihr deren Bewußtseinsstruktur
zusagt. Das Planetenbewußtsein erinnert stark an schon Dagewesenes,
z.B. an Gaia aus dem Buch "Auf der Suche nach der Erde" (Foundation‘s Edge).
Ich finde, hier hat sich Asimov die wenigste Mühe gegeben, was verwundert,
bedenkt man den Aufwand bei anderen Erklärungen im Buch. Er verzichtet
fast ganz darauf, die Funktionsweise des Prokaryoten-Bewußtseins
zu erläutern. Nun ja, eine Erklärung weniger.
Die Handlung führt dazu, daß die Erde den echten Hyperraumflug
entwickelt und ihre Vertreter (u.a. ausgerechnet der Ex-Mann!) zur Nemesis
kommen, Marlene den Kontakt zwischen Erythro und den Menschen vermittelt
und alle gemeinsam sogar einen Weg finden, die Vernichtung der Erde abzuwenden.
Marlene ist glücklich, ihre Mutter findet zu ihrer alten Liebe und
ihr Ex-Mann endgültig zu seiner neuen Frau. Soweit, so gut, das Happy
End ist perfekt, sogar der paranoide Gouverneur ist gezwungen, die Rettung
der Erde zu leiten, eine Strafe für ihn. Für meinen Geschmack
löst sich ein wenig zu viel in Wohlgefallen auf. Der Schluß
des Romans fällt gegen den Rest ab, wobei der Rest auch nicht gerade
das ist, was man Action nennen könnte. Aber das hat man bei Asimov
ja selten. Er ist eher der Autor des ausführlichen, ausgeklügelten
Handlungsablaufes - nicht ohne Grund schreibt
er auch SF-Krimis. Insgesamt gesehen ist "Nemesis" ein versiert geschriebener
Roman im altbekannten Asimov-Stil, aber er wird nicht unbedingt unter die
herausragenden Leistungen des Altmeisters gerechnet werden.
SX 11
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