Jack Williamson: Überleben
Jack
Williamson: Überleben
(Heyne 06/5040)
Fast neige ich dazu, das Buch unter space opera einzuordnen. Jedenfalls
handelt es sich um richtige Weltraum-SF. Beschrieben werden die letzten
Jahre oder Jahrzehnte des sogenannten Sonnenimperiums, das eine angeblich
auf Rasputin zurückgehende (warum eigentlich?) Familiendynastie an
der Schwelle zum nächsten Jahrtausend errichtete und etwa 100 Jahre
lang beherrschte.
Auf der Grundlage einer einzigen Erfindung, nämlich einer monomolekularen
Faser, wird eine Weltraumtechnologie errichtet, die den Menschen bis hinaus
in die Oortsche Wolke führt, ins Halo des Sonnensystems, wie der Autor
es auch nennt. Zusätzlich müssen sich die Menschen genetischen
Tests unterziehen, die feststellen, ob ihre Gene weltraumtauglich sind
- was immer das heißen soll. Sichtbar gekennzeichnet mit einem goldenen
Sonnensymbol auf der Wange machen sie sich alsdann auf, das Sonnensystem
zu erobern.
Manche Menschen sind aber auch nicht geeignet und ärgern sich.
Nach kurzer Zeit ist die unter der wirtschaftlichen Knute des Imperiums
geeinte Welt doch wieder geteilt, in Sonnenmenschen und den Rest.
Dies ist also der Hintergrund für die eigentliche Handlung des
Buches. Er schien mir etwas dünn gestrickt; daß eine einzige
"Erfindung" nicht den Lauf der Welt derartig beeinflussen kann - jedenfalls
nicht so kurzfristig - dürfte klar sein. Und selbst wenn man das noch
gelten läßt, ist es doch sehr unwahrscheinlich, daß es
sich die gegenwärtige Weltwirtschaft gefallen lassen würde, von
einem obskuren Familienklan verdrängt zu werden. Der Weltentwurf ist
also nicht gerade originell. Wie sieht es mit der Handlung aus?
Hauptperson ist Quin Dain, den der Leser als kleinen Jungen kennenlernt
und viele Jahre lang begleitet. Er lebt zunächst auf einem Außenposten
draußen im Halo, doch er verzehrt sich schier vor Sehnsucht, die
Erde und die Welt der Sonnenmenschen einmal kennenzulernen. Sein Vater
ist unbekannt, seine Mutter aus gesundheitlichen Gründen wieder zur
Erde zurückgekehrt. Gegen Ende des Buches stellt sich heraus, daß
er der Sohn des obersten Magnaten des Imperiums ist, was mir ziemlich überflüssig
vorkam.
Das Sonnenreich steht vor ein paar kleineren Problemen. Im Inneren
wird es durch Streitigkeiten im Familienklan und wachsende religiöse
Opposition zerrüttet. Und von außen kommt - obwohl es das lange
Zeit nicht wahrhaben will - die Vernichtung. Sie kommt in Gestalt eines
"Wärmesuchers", eines raumschiffgroßen intelligenten Insekts,
das durch das Vakuum flattert.
Außerdem stellt sich heraus, daß in der Oortschen Wolke
die Aliens als Untermieter der Menschheit hausen, und zwar gleich mehrere
Rassen, die alle im Vakuum existieren können. Es kommt zu Kontakt
und Mißverständnis, es gibt Tote auf beiden Seiten und den obligatorischen
Bösewicht - Halbbruder von Quin - der alles noch schlimmer macht.
Das Ende des Buches ist die allgemeine Katastrophe: Auf der Erde tobt
der Krieg jeder gegen jeden, im All ist alles durch den Wärmesucher
zerstört, nur im Halo hält man noch aus.
Ich will nicht behaupten, das alles wäre nicht gut und spannend
erzählt. Aber es häufen sich doch etliche Versatzstücke
und Klischees, die nicht hätten sein müssen, zusammen mit nicht
plausiblen Darstellungen. So fremdartig die Aliens beschrieben sind, sie
weckten bei mir kein besonderes Interesse.
Das Buch versucht, in Form einer space opera - es ist wohl tatsächlich
eine - mit Konzepten fertig zu werden, die schlecht in dieses Genre passen.
Auf einer Seite wird eine interessante fremdartige Ökologie geschildert,
auf der anderen steht ein kaum durchdachtes wirtschaftliches und gesellschaftliches
System, das man nur als Gerippe ansehen kann.
Zudem ist der jugendliche Held Quin nicht gerade eine Identifikationsfigur.
Zu naiv und starrköpfig verhält er sich. Obwohl ihn jeder vor
der Welt der Erde warnt, setzt er verblendet alles daran, sich ins Unglück
zu stürzen. Folgerichtig gerät er auf der Erde dann von einer
Gefangenschaft in die nächste Todeszelle, um das alles dennoch glücklich
zu überstehen.
Und schließlich noch ein Wort zur Übersetzungsqualität.
Mir ist völlig unverständlich, wieso Jakob Leutner es unterließ,
einige raumfahrttechnische Begriffe zu übersetzen. Warum z.B. läßt
er Life-Support-System so stehen? Was sollen diese überflüssigen
Anglismen in diesem Text? "Lifeburst", der Originaltitel, wird im Buch
übrigens als das Überschreiten der entscheidenden Schwelle durch
eine Zivilisation beschrieben, wenn sie in den Weltraum vorzustoßen
beginnt.
Wenn auch meine Äußerungen ziemlich kritisch klingen, möchte
ich doch am Ende hinzufügen, daß diese Rezension nicht
hauptsächlich Kritik üben will. Das Buch liest sich gut, ist
abenteuerlich geschrieben und bietet einige neuartige Ideen zum Thema fremde
Zivilisationen (selbst wenn sie nicht unbedingt bis ins letzte Detail überzeugen).
Man kann nicht allzu hohe Ansprüche an den Roman stellen, aber verwerfen
braucht man ihn nicht.
[Lifeburst, (c) 1984 von Jack Williamson, übersetzt von Jakob Leutner
1993, 415 Seiten, DM 14.90]
SX 43
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