James Herbert: Nachtschatten

James Herbert: Nachtschatten
(Heyne 01/8237)


"...das Grauen hat einen Namen: Jonah." Und dem begegnet Polizist Jim Kelso dann auch, jedenfalls nach dem Willen des Klappentextautors. Jonah, genauer "The Jonah" lautet auch der Originaltitel es 1981er Horrorwerkes aus James Herberts Feder. Aber vielleicht wollte man dem deutschen Leser die Denkaufgabe nicht zumuten, herauszufinden, was denn nun ein Jonah ist. Wer auch immer für die jeweiligen deutschen Titel und Klappentexte verantwortlich zeichnet, wußte es offenbar nicht. Jonas, so die deutsche Version des Wortes, bedeutet Unglücksbringer. Seeleute nannten Personen und Gegenstände so, von denen sie glaubten, daß ihre Anwesenheit Unglück bringt. Oft warf man sie kurzerhand über Bord.
Jim Kelso ist für die Londoner Polizei ein Jonas, und man wirft ihn auch sozusagen über Bord. Er wird in ein Küstenstädtchen geschickt, um bei der Drogenfahndung auszuhelfen, eine Aufgabe ohne irgendwelche Erfolgsaussichten. Trotzdem kommt er einem großen Rauschgiftring auf die Spur.
Bis dahin ist alles der reinste Krimi, tatsächlich macht die typische Kriminalstory den größten Teil der Handlung aus. Spannend ist sie, wenn auch stellenweise das Klischee arg strapaziert wird. Warum nur müssen Erzverbrecher in Film und Buch ihren endlich gefangenen Gegnern immer erst ihre Verbrechen und Pläne haarklein erläutern, bevor sie dann (natürlich ohne Erfolg) versuchen, sie ins Jenseits zu befördern? Nun ja, wir sind nicht im "wirklichen Leben", wo es nur mal kurz knallen würde, sondern in der Literatur, die ihren Helden ja noch braucht.
James Herbert ist jedoch Horrorautor, der härteste, wenn man dem Klappentext glaubt. Wieso also Krimi, wenn auch ein spannender? Die Handlung wird immer wieder durch Rückblicke unterbrochen, in denen Jim Kelso als Kind oder in jüngeren Jahren auftaucht. Und hier geschehen in seiner Umgebung nicht nur Mißgeschicke wie im Londoner Polizeidienst, sondern gar absonderliche Todesfälle treten auf. Es sind größtenteils Personen, gegen die Kelso etwas hat, oder die ihn sogar tödlich bedrohen. Aber auch andere Menschen, die mit ihm Kontakt haben, sterben oft bald. Anfänglich hat man den Eindruck, als ob Kelso einfach übernatürliche Kräfte hat, die er unkontrolliert gegen seine Feinde einsetzt. Doch später ist da auch ein Wesen, das sich in kritischen Situationen zu manifestieren scheint.
Am Schluß kommt es in der Drogenfabrik zum Showdown, der alles auflösen soll. Das Wesen - wirklich echt ekelerregend - greift während eines ungeheuren Orkans, bei dem nicht ganz klar wird, ob auch den Kelso verursachte, aktiv ins Geschehen ein und rettet ihn und seine Partnerin aus den Händen der Drogenbosse. (James Herbert verzichtet auch diesmal nicht auf seine üblichen Ratten, doch die erscheinen nur am Rande.) Die Auflösung, obwohl von Anfang an irgendwie in dieser Art erahnbar, ist dann doch recht seltsam. Das Monster ist Kelsos mißgestaltete Zwillingsschwester, die es irgendwie schaffte, zu überleben und ständig bei ihm zu sein, und die immerfort alle möglichen Leute ermordet, welche ihm ans Leder wollen. Ich fand, daß Herbert an dieser Stelle ziemlich schlampig gearbeitet hat. Wenn Schwesterchen Glibbermonster real ist, ihre Existenz von Kelso nur verdrängt wurde, wie schaffte sie es, vom Säuglingsstadium angefangen, zu überleben, ungesehen zu bleiben, überallhin - sogar in den Kerker! - mitzukommen, und unverwundbar zu sein? Woher nimmt sie ihre übernatürlichen Kräfte? Und wenn sie nicht real ist, sondern nur eine Manifestation übersinnlicher Fähigkeiten Kelsos, die in Gefahrenmomenten erscheint: "Stets zur Stelle, immer beobachtend, eine stumme Manifestation, die am Jahrestag ihrer Geburt immer am stärksten fühlbar gewesen war." Was ist dieses Monster nun eigentlich? Herbert erklärt es gleich zweifach, und keiner Erklärung gibt er dann den Vorrang. Kelso hat tatsächlich besondere Fähigkeiten: "Und durch die fremden Gedanken wußte Kelso, daß die Mißgeburt ihn verabscheute..." Aber diese seine Möglichkeit, Gedanken zu lesen, wird am Schluß nur nebenbei erwähnt.
Bei aller Spannung - und das Buch ist wirklich sehr spannend - enttäuschte mich dieser diffuse Schluß ein wenig. Sicher, ein Horrorbuch kann durchaus offen enden, aber doch wohl nicht mit ein paar hilflos und unfertig wirkenden Erklärungen, die nichts lösen, nichts umkehren und keine neue Spannung bringen. Herbert kriegt gerade noch so ganz knapp die Kurve. Er deutet in den letzten Zeilen an, daß sich das Monster in die Freundin Kelsos verwandelt (sie übernommen?) haben könnte. Na, prima - auf zur nächsten Runde?
Zwar lese ich seltener Horror, Herbert hatte ich noch gar nicht versucht, aber besonders hart ("härtester Horrorautor unter Kennern") kam mir das Buch nun doch nicht vor. Es gibt massenweise Tote, er ergeht sich über 38 Seiten in der Schilderung von Einzelschicksalen während der Flutkatastrophe (alle tot, was denn sonst?), aber besonders hart ist das nicht. Es zeugt allerdings von gutem Haandwerk, wie Herbert von völlig unbekannten Figuren, die nur eingeführt werden, damit er sie umbringen kann, über Nebenpersonen zu den Helden in der Drogenfabrik kommt.
Alles zusammen ergibt ein spannendes Buch, das man sowohl Krimilesern als auch Horrorfans durchaus empfehlen kann. 

SX 19

 

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