James P. Blaylock: Das Elfenschiff

James P. Blaylock: Das Elfenschiff
(Heyne 06/5152)


Nach der Enttäuschung mit Blaylocks "Die letzte Münze", das von verschiedenen Leuten als unlesbar eingestuft wurde, war es fast ein Wagnis, noch einmal ein Buch des Autors zu lesen. Aber es gab für mich eine angenehme Überraschung: "Das Elfenschiff" ist nicht nur lesbar, sondern sogar ausgesprochen gut. Schade nur, daß es schon wieder einmal den Auftakt zu einem Zyklus darstellt - nicht etwa eine bloße Trilogie, nein, es muß gleich der "Elfenzyklus" sein. Kann denn kein Autor mehr einfach nur ein gutes Buch schreiben und es dabei belassen?
Offensichtlich nicht.
Blaylocks Roman läßt jedenfalls einiges an Größe und Umfang des Zyklus erwarten. Nicht nur bleibt am Ende eine Menge offen oder zunächst nur angedeutet, der ganze Stil des Buches ist derart episch, daß eine Fortsetzung einfach notwendig ist.
Da war schon ein Wort, mit dem ich versuchen will, das Buch zu beschreiben: episch. Irgendwie hatte ich den Eindruck, als müßten hier ganz neue Begriffe und Maßstäbe angewendet werden. Der Fantasyroman zeichnet sich keineswegs durch besondere Aktionslastigkeit aus, Kämpfe werden kaum ausgefochten - ja, die Protagonisten laufen fast ganz und gar unbewaffnet herum. Sie entsprechen überhaupt nicht dem Typus des Helden in diesem Genre.
Nun ist der Vergleich mit dem "Herr der Ringe" angebracht. Tatsächlich erinnerten mich die Figuren des Buches irgendwie an die Hobbits, nicht so sehr durch ihr Äußeres, aber durch ihre Lebensweise, ihre innere Ruhe, mit der sie die ungebeten auf sie einstürmenden Abenteuer bestehen. Auch Tolkien brachte mit den Hobbits eine neue Art Held in die Literatur ein, Blaylock gelang es zumindest, vom gewöhnlichen Schema positiv abzuweichen. Auch seine Erzählweise ist ein wenig anders. Sicher kann man nicht sagen, daß er wie der Altmeister der Fantasy schreibt, aber man kann vergleichen und behaupten, auch Blaylock befleißigt sich einer kunstvollen Sprache, die vom Durchschnitt abweicht. Sicher hat dazu nicht wenig das übersetzerische Talent von Andreas Brandhorst beigetragen. Es ist nicht leicht, zu definieren, inwiefern die Erzählung Blaylocks etwas Besonderes ist. Er nimmt sich Zeit, ohne zu langweilen, er beschreibt winzigste Details mit akribischer Genauigkeit, ob es nun die Landschaft ist, oder das, was die Personen gerade essen. Und dabei überrascht er immer wieder durch erstaunliche Wendungen, Verlagerungen in der Bedeutung der Figuren und Ereignisse und durch einen weiteren phantastischen Einfall.
Ohne zu zögern benutzt er Begriffe und Vergleiche, die in jener fremdartigen Welt, die er beschreibt, eigentlich anachronistisch und deplaziert wirken müßten. Aber seltsam - sie fügen sich nahtlos ein. Aus einigen dieser Widersprüche ergeben sich Rätsel, die am Ende des ersten Bandes ungelöst bleiben, und viele Möglichkeiten für die weitere Handlung offen lassen.
Der Schauplatz der Handlung ist eine fast idyllische, dünn besiedelte Gegend an einem Fluß, der irgendwo in ein Meer mündet. Im Dorf, das mitten im Wald liegt, stellt Jonathan Bing die hervorragendsten Käse her. Sie sind ein wichtiges Handelsgut, für das man alljährlich von den Zwergen und Elfen an der Küste Honigkuchen und magische "Elfengeschenke" für das Weihnachtsfest einhandelt. Als aber die Händler verschwinden und sich Anzeichen dafür mehren, daß irgend etwas faul sein muß, beschließt der Käser, die Handelsfahrt selbst zu unternehmen - nicht, um die Welt zu retten, sondern das Weihnachtsfest. Er wird auf der gefährlichen Reise mit dem Floß von einem Professor, einem scheinbar etwas einfältigen jungen Mann und einem Hund begleitet.
Es stellt sich heraus, daß das sich ausbreitende Übel von einem Zwerg namens Doktor Selznak ausgeht, der eine Uhr mißbraucht, mit der man die Zeit anhalten kann. Die Quest für Honigkuchen wird plötzlich zu einer, um die Uhr der Elfen zurückzubekommen und vielleicht doch die Welt zu retten. Das gelingt schließlich auch, und mehr will ich von der überraschenden und interessanten Handlung gar nicht verraten. Es wäre schade für alle, denen ich die Lektüre des Buches empfehlen möchte.

[The Elfin Ship, © James P. Blaylock 1982, übersetzt von Andreas Brandhorst 1994, 476 Seiten, DM 14.90]
  

SX 56

 

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