James P. Blaylock: Die Festung des Selznak

James P. Blaylock: Die Festung des Selznak
(Heyne 06/5288)


Dies ist der zweite Teil von Blaylocks "Elfenzyklus" aus den 80er Jahren. Ob bei Heyne weitere folgen, ist ungewiß - jedenfalls steht kein Titel "in Vorbereitung" da. Zwar endet das Buch wieder so, daß man durchaus eine Fortsetzung erwarten kann, aber vielleicht gibt es sie ja auch noch nicht. Ich weiß es nicht. Elfen spielen in diesem Zyklus allerdings eine untergeordnete Rolle. Leider konnte man die Bücher aber schlecht den Käse-Zyklus oder so etwas nennen, und so sind es also die in Luftschiffen fahrenden Elfen, die den Namen geben.
Ein Käsemacher, Jonathan Bing, ist nämlich die Hauptperson der Romane. Wie schon im ersten Band begibt er sich mit Professor Wurzel per Floß auf die Reise; zunächst einfach, um etwas Urlaub zu machen. Die beiden erforschen die verlassene Festung des bösen Zwerges Selznak, den sie ein paar Monate zuvor (in "Das Elfenschiff") zum Teufel gejagt hatten. Aber nach ein paar abenteuerlichen Situationen in diesem unheimlichen Bauwerk erfahren sie plötzlich, daß ein alter Freund, der Junker Myrkel, auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Natürlich machen sie sich auf die Suche, und das erstaunliche Geschehen kann seinen Fortgang nehmen.
Blaylock führt in seine eigentlich ziemlich beschauliche Welt nunmehr verschiedenartige Weltentore ein, durch die man in ein "Land" namens Balumnien gelangen kann. Dort treibt Selznak unter dem Namen Sikorsky sein Unwesen und dorthin hat es auch den Junker verschlagen.
Die Suche nach ihm - und nebenbei nach einem Schatz - gestaltet sich recht abenteuerlich. Der Autor hält sich nicht gerade sklavisch an Traditionen von Fantasywelten, im Gegenteil. Unverhofft treten Dinge auf, die man in einem mittelalterlichen Setting keineswegs vermuten würde. Aber warum eigentlich nicht? Warum soll es nicht Unterseeboote, Taschenuhren und Luftschiffe neben zaubernden Zwergen, Kobolden und Gespenstern geben? Irgendwie fasziniert diese Welt.
Auf Schritt und Tritt begegnen den Wanderern in Balumnien seltsame Erscheinungen und Dinge, verrückt anmutende Leute und gruselige Situationen. Vor allem letztere häufen sich am Schluß. Dabei kann man nicht von Horror sprechen, was Blaylock da aufbaut, ist auf eine eigene Art gothisch, gruselig eher im Sinne eines Märchens. Er bietet kaum Erklärungen für die Situationen, in die er seine Helden wirft, es geschieht eben und ist damit um so rätselhafter. Manches scheint ein "Scherz" des Zwerges zu sein, aber auch dessen Motive und Ziele kann der Leser nur vermuten.
Wiederum fiel mir positiv auf, daß Blaylocks Helden ganz ohne martialisches Gehabe auskommen. Als sie sich am Anfang von einer Koboldhorde bedroht sehen, kriechen sie z.B. in ein Affen- bzw. Alligatorkostüm und erschrecken die Geschöpfe damit so sehr, daß sie die Flucht ergreifen. Auch später, als es schon mal zu handfesten Auseinandersetzungen kommt, fehlen Schwerter völlig. Man greift halt zu Stühlen wie bei einer Wirtshausschlägerei. Bings einzige vorsätzlich ergriffene Waffe ist einmal eine zum Knüppel umfunktionierte alte Fackel.
Der mysteriöse Zwerg steht am Ende für seine Missetaten vor dem Tod durch Erhängen, doch beschrieben wird dies nicht. Vermutlich entkommt er im letzten Augenblick und sinnt weiter auf Rache.
Das Buch liest sich geruhsam, doch auch spannend. Die Figuren sind sehr gut gezeichnet - aber sie sind auch öfter einmal für eine Überraschung gut. Ihr Verhalten ist manchmal regelrecht bizarr - es entspricht einfach nicht dem, was der standardisierte Fantasyheld aus der Schablone machen würde. Freilich passiert nichts ungeheuer Neues, setzt der Roman inhaltlich keine neuen Genremaßstäbe. Aber die Art und Weise, wie er erzählt ist, läßt an einen Abend am Kamin denken, vor dem ein Erzähler mit einem Glas Wein und einer Tabakspfeife sitzt. Das ist auf alle Fälle eine besondere Nuance in der Welt der Fantasy, die man beachten sollte. 

[The Disappearing Dwarf, © James P. Blaylock 1983, übersetzt von Andreas Brandhorst 1995, 395 Seiten, DM 14.90] 

SX 61

 

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