James P. Hogan: Unternehmen Proteus
James P. Hogan: Unternehmen Proteus
(Heyne 4461)
Eigentlich lese ich ja sehr gerne mal echte hard core SF; und eigentlich
lese ich auch Hogan gern.
Nun, wenn einer einen Satz mit "eigentlich" beginnt, folgt in der deutschen
Sprache meist ein "Aber". Bei "Unternehmen Proteus" (1985) ist das nicht
anders. Dabei ist es ein hard core SF Roman, stimmt der Klappentext
(fast) und auch die Unterschrift auf dem Cover entspricht dem Inhalt: "Mit
Zeitmaschinen kann man nachträglich die Geschichte verändern:
zum Beispiel verhindern, daß die Nazis den 2. Weltkrieg gewinnen."
Was also ärgert mich an dem 500-Seiten-Werk?
Ich habe nach dem Lesen einen recht zwiespältigen Eindruck. Das
Buch ist streckenweise sehr spannend geschrieben, etwa in der Art eines
Action- oder Kriegsbuches. Ich habe es jedenfalls nicht vorzeitig aus der
Hand gelegt wie manch anderes Werk. Es beruht wie immer bei Hogan auf einer
fundierten wissenschaftlichen Überlegung, soweit das bei einem SF-Buch
überhaupt möglich ist. Es ist logisch aufgebaut - soweit das
bei einem Zeitreisebuch überhaupt möglich ist.
Und nun kommt das "Aber". Hogan übertreibt's nämlich diesmal
mit der Wissenschaft sogar für meine Begriffe recht arg. Einer, der
hard core nicht so mag, wird es vermutlich nach den ersten 50 Seiten oder
so frustriert wieder weglegen. Langwierige Schilderungen physikalischer
und pseudophysikalischer Zusammenhänge erschweren den Text ungemein.
Und es geht hier nicht um die Newtonschen Axiome, sondern um komplizierteste
Erscheinungen der Quanten- und Atomphysik! Hinzu kommt, daß Hogan
seinen Roman benutzt, um quasi ein wissenschaftshistorisches Buch zu schreiben,
das gleichzeitig eine kurze Geschichte des 2. Weltkrieges darstellt.
Es ist natürlich hochinteressant zu lesen, was für Alternativen
(scheinbar?) zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte bestanden
haben und wie sich was aus ihnen entwickelt haben könnte. Denn die
Nazis haben gewonnen, und in der Welt von 1975 beherrschen sie diese
(außer die USA). Ein Kommando der amerikanischen Spezialeinheiten
reist nach 1939, um Einfluß zu nehmen und das Geschehen zu ändern.
Da nicht alles so klappt, wie sie es sich gedacht haben - u.a. stellt sich
heraus, daß ihr Tun gar nichts an ihrer Ursprungswelt zu ändern
vermag, sondern sie in eine Alternativwelt geraten sind - mischen sie sich
schließlich in guter amerikanischer Rambo-Manier in den Kampf ein.
Nebenpersonen der Handlung sind Winston Churchill, Präsident Roosewelt,
Edward Teller, Albert Einstein, Isaac Asimov (!) und eine Reihe anderer
namhafter Atomphysiker dieser Zeit. Besonders lustig fand ich, daß
Einstein aus einer Geschichte des Studenten Asimov seine Idee zur Schaffung
einer einheitlichen Theorie der Physik zog.
Während man Hogans Absicht anerkennen muß, zu wichtigen
politischen Aussagen zu kommen, so benutzt er doch eine Reihe von Klischees,
die zeigen, daß seine Weltsicht trotz aller guten Absichten doch
eine ziemlich einseitige bleibt. Vor allem wird das deutlich, wenn er auf
die Rolle der Sowjetunion im Krieg eingeht. Daß das Buch vor der
Perestroika geschrieben wurde, merkt man natürlich auch. In einer
der alternativen Zukünfte hat der weitere Aufstieg der SU eine quasi
sozialistische Weltordnung geschaffen. Hogan schrieb in etwa, daß
die kapitalistischen Staaten mit der Zeit immer sozialistischer wurden,
und die SU immer kommerzieller. Der Weltstaat gefällt einigen gestürzten
"Oligarchen" nicht, und sie fädeln mit der Zeitmaschine den Sieg Hitlers
ein - den die Leute der so entstandenen faschistischen Welt wiederum verhindern
wollen.
Leider dürfte ein Leser, der nicht auf dem Gebiet der Geschichte
der Physik der 30er Jahre und der des 2. Weltkrieges besonders bewandert
ist, nicht mitbekommen, was nun "in unserem Universum" geschehen ist und
was sich Hogan ausdenkt. Er demonstriert zwar profunde Kenntnis dessen,
worüber er schreibt, aber das macht sein Buch nicht lesbarer. Man
muß seinen Sachverstand anerkennen, in der Physik, der Geschichte
und sogar in seiner Kenntnis Deutschlands. Viele englische Autoren, die
über Deutsche und deutsche Orte schreiben, sind weit weniger präzise.
Bei Hogan stimmt aber alles: Namen, Plätze und Gepflogenheiten. Daß
er am Ende bei Leipzig eine unterirdische Kernexplosion hervorruft, kann
man ihm da schon mal verzeihen.
SX 33
Kommentare
Kommentar veröffentlichen