James White: Der globale Eingriff
James
White: Der globale Eingriff
(Moewig 1982, Nr. 3568)
James White (1928), Nordire, ist besonders durch seine Serie um Weltraummediziner
(Sector-General-Serie) bekannt geworden. Ganz und gar im medizinischen
Bereich handelt auch der vorliegende Roman "Der globale Eingriff". Nicht
nur die Protagonisten sind Arzt und Schwester, so daß ihre Umgebung
größtenteils das Krankenhaus ist, auch der Gesamtplot geht von
einer medizinischen Vorstellung aus: Aliens wollen den Krebs der Erde heilen,
den Menschen.
Wenn im Nachwort von H. J. Alpers davon die Rede ist, daß Whites
Geschichten häufig ein moralisches, humanistisches Anliegen transportieren,
so ist zumindest das Ende dieses Romans kaum diesen Kategorien zuzuordnen.
Aber der Reihe nach. Das Buch handelt in einer waschechten 1984er Welt,
ist mit "New York 1999" zu vergleichen und einer Reihe ähnlich gelagerter
dystopischer Werke. Die Erde ist hoffnungslos überbevölkert.
Ständig sterben Millionen an Krankheiten und Hunger. In den Städten
regieren Gewalt und Terror. Nach einer absoluten Energieverknappung ist
das Fahrrad das Hauptverkehrsmittel, neben einigen Autos für Privilegierte
gibt es Pferde als gehobenes Transportmittel. Nahrung und Wohnraum sind
knapp und Energie wird von Menschen in Laufrädern erzeugt, den Energietretern.
Nur das Krankenhaus scheint mit seiner Super-High-Tec eine Insel im Chaos
zu sein, ein eigener Reaktor garantiert sogar freizügige Energie.
Allerdings rettet man auf diese Insel die Opfer des Chaos: verstümmelte,
sterbende Opfer von Unfällen und Terror, kaum "normale" Kranke. Die
Ärzte sind Schwerstarbeiter. Auch "Big Brother" fehlt nicht, zumindest
eine Abwandlung von ihm gibt es. Totale Überwachung, der man sich
nicht einmal vollständig bewußt ist, und die Stadtwacht, eine
Art Polizeitruppe, die der Gewalt nur noch mit gleicher Gegengewalt zu
begegnen weiß.
Also kurz gesagt, die Menschheit in ihren Todeszuckungen, ein beklemmendes
und vor allem recht realistisches Bild. Trotzdem geht es nicht allein um
eine Dystopie. Zu dem allgemeinen Übel kommt noch eine äußere
Bedrohung. Außerirdische haben sich die Aufgabe gestellt, derart
sich selbst vernichtende Zivilisationen zu retten, da sie überall
bisher nur auf Reste untergegangener Kulturen stießen. Ihre Methoden
dazu sind allerdings etwas drastisch. Zunächst muß die Weltbevölkerung
mal ausgerottet werden...
Nur wenige ausgewählte, speziell gezüchtete Supermenschen
werden als "Antikörper" in den kranken Organismus Menschheit eingeschleust,
um diese Aufgabe anzugehen.
Mit den Auswirkungen werden die Ärzte und ein paar Stadtwachtdetektive
konfrontiert. Sie versuchen, der Verschwörung auf die Spur zu kommen
und herauszufinden, was geschieht. Auch unter den Außerirdischen
bzw. Supermenschen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die einen wollen
es mit Überzeugungsarbeit versuchen, die anderen mit Gewalt. Also
wirken sich auch noch die Streitigkeiten der beiden Gruppen auf die Menschen
aus.
Die beiden Mediziner und ein Polizist werden, als sie den Fremden auf
die Spur kommen, nicht etwa eliminiert, sondern schnell mal auf einen anderen
Planeten gebracht (gebeamt?) und in die Zusammenhänge eingewiesen,
um sich in der Zukunft die Mitarbeit der Menschen bei ähnlichen Unternehmen
zu sichern.
Wer nun glaubt, daß die Helden den Aliens nun die Meinung sagen
oder es gar mit ein paar Atombomben regeln, die sie zufällig dabei
haben, liegt völlig falsch. Nichts dergleichen - weder seitenlange
philosophisch-moralische Bekehrung der Fremden, noch seitenlanges Niederringen
des außerirdischen Feindes. Im Gegenteil, ein solcher ist es, der
den beiden Ärzten in medizinischen Begriffen erläutert, warum
der überwiegende Teil der Menschheit sterben muß. "Das überflüssige
und verseuchte Gewebe wird entfernt werden, und zwar durch verschiedene
Massenvernichtungsmittel wie Atomwaffen, die bereits auf der Erde vorhanden
sind, Überflutung, Hungersnöte, kontrollierte Erdbeben, Feuer,
Seuchen und verschiedene Kombinationen all dieser Dinge." (S. 180) Und
die Ärzte gehen verbittert, doch einsichtig zurück an ihre Arbeit
und sehen zu, wie der globale Eingriff vorgenommen wird.
Zwar steht auf der Buchrückseite, daß James White den Menschen
nichts Böses wünscht, aber angesichts dieser Entwicklung erscheint
mir das doch etwas fraglich. Fast ununterbrochen sterben - vor allem im
letzten Drittel des Romans - haufenweise unschuldige Menschen, von Tausenden
beim Anschlag auf einen Wohnblock bis zu Millionen, wenn die noch immer
vorhandenen Atomraketen auf Befehl der Supermenschen gestartet werden.
White gibt ernsthaft die massenhafte Ausrottung als Lösung für
die eingangs dargestellten Probleme aus. (Die Weltkriege waren nur erste
versuchsweise Operationen!) Eine solche Einstellung ist für einen
Humanisten dann doch etwas befremdlich. Supermenschen und Minderlinge,
die man auslöschen kann, wie man möchte? Auch ist die Lösung
durch Reduzierung der Bevölkerungszahl vielleicht doch etwas zu vereinfacht.
Solche Zustände sind doch nicht nur durch eine demographische Transition
verursacht; im Gegenteil, sie ist nur Teil einer Summe von Wirkungen ganz
anderer Ursachen. Diese hätten Whites schlaue Aliens längst erkennen
und bekämpfen müssen. Der Schluß erscheint reichlich fatalistisch
und nicht einmal so gut durchdacht, wie es für White (nach Alpers)
charakteristisch sein soll. Bei Anwendung oben aufgezählter Vernichtungsmittel
ist nämlich die Chance für ein Überleben auch nur eines
Teils der Menschheit - von deren Kultur ganz zu schweigen - sehr unwahrscheinlich.
Das Buch kann nicht als Top-SF empfohlen werden, wer sich allerdings
am massenhaften Leiden anderer Menschen ergötzt, d.h. gern Arztromane
liest, Dystopien verschlingt und auch noch ein bißchen Action will,
sollte getrost den "Globalen Eingriff" versuchen.
SX 19
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